Die besten Jahre der sogenannten „Identitären Bewegung“ (IB) sind vorbei. Da mittlerweile gesellschaftlich durchgedrungen ist, dass es sich bei der IB, trotz hippem Erscheinungsbild, um eine rechtsextreme Gruppe handelt, wird es für sie zunehmend schwerer, offen als IB in Erscheinung zu treten. Und dann haben Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter und YouTube ihnen auch noch ihre Propagandakanäle genommen. Zahlreiche offiziellen IB-Kanäle, aber auch Accounts von reichweitenstarken Aktivist:innen, wie der vom deutschsprachigen Kopf der IB, Martin Sellner, wurden gesperrt. Auch wenn sie sich als „Bewegung“ bezeichnet, war die IB nie sonderlich mitgliederstark, derzeit rechnet die Bundesregierung etwa 575 Aktivist:innen zur IB.
Noch immer aktive und ehemals führende Kader der IB nutzen ihr breites Netzwerk innerhalb der Szene, um ihre Aktivitäten zu professionalisieren, sich finanzielle Standbeine aufzubauen, eine politische Karriere aufzubauen und weiterhin unter neutralem Label in der politischen Landschaft wirken zu können. Und so sind in jüngster Zeit zahlreiche Projekte rund um die IB entstanden, die auf den ersten Blick nicht unbedingt den Rechtsextremen zuzuordnen sind. Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von der Linken Bundestagsabgeordneten Martina Renner, die Belltower.News exklusiv vorliegt, gibt Aufschluss.
„Okzident Media“: Extrem rechte Marketingagentur
Eines dieser IB-Unternehmen ist „Okzident Media“. Die extrem rechte Medienagentur bietet Dienstleistungen, Kampagnenplanung und Marketingberatung an. Im Oktober 2018 startete das Rostocker Projekt, das sich als „nonkonforme Medienagentur“ versteht und seinen Kund:innen eine angebliche „Gegenöffentlichkeit“ bietet. Auf der unverfänglich daherkommenden Website versteht man sich jedoch als „Werbe- und Kommunikationsagentur“. Verantwortlich für die Agentur ist der Rostocker IB-Kader Daniel Fiß,ehemals Bundesleiter der IB in Deutschland.
„Schanze Eins“: IB-Immobilienprojekt
Ähnlich verhält es sich mit dem Unternehmen „Schanze Eins“, „einem Finanzdienstleister, durch den Investorinnen und Investoren für ‚identitäre‘ Immobilienprojekte gewonnen werden sollen“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Im Gegensatz zu „Okzident Media“ verschleiert der extrem rechte Finanzdienstleister seine Nähe zur IB nicht. Auf der Website heißt es, „Schanze Eins“ wird „von Führungsaktivisten der Identitären Bewegung geleitet“.
Ziel sei eine „lebendige Gegenkultur in Deutschland zu etablieren“, indem Immobilien gekauft werden. So war das „identitäre“ Immobilienprojekt maßgeblich am finanziellen Aufbau des österreichischen Hausprojekts „Castell Aurora“ in Steyregg bei Linz beteiligt. Die Konzeption des „Castell Aurora“ als Begegnungs-, Wohn- und Arbeitsstätte für Aktivist:innen der „neuen“ Rechten weist deutliche Parallelen zum ehemaligen deutschen IB-Hausprojekt „Flamberg“ in Halle auf.
„Kohorte UG“ steht hinter dem IB-Shop „Phalanx Europa“
Ein weiteres Unternehmen im IB-Netzwerk ist die „Kohorte UG“. 2016 wurde es von dem Münchner IB-Aktivisten Philipp Mosig unter dem Namen „Identitäre Bewegung BY UG“ gegründet. 2018 wurde dann der IB-Aktivist Daniel Sebbin Geschäftsführer, Ende 2019 erfolgte die Umbenennung in „Kohorte UG“. Das Unternehmen hat sich auf den Vertrieb von Merchandise-Artikeln, Organisation von Vortragsveranstaltungen, Förderung des Kunst- und Kulturbetriebs, „Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde sowie Förderung des traditionellen Brauchtums“ spezialisiert und steht als Unternehmen hinter dem IB-Shop „Phalanx Europa“, über welchen Merchandise-Artikel der „Identitären Bewegung“ verkauft werden. Auch hier ist Sebbin Geschäftsführer.
Darüber hinaus, so die Bundesregierung, hat die IB unverfänglich klingende Vereine gegründet, um mit ihnen unter anderem Räumlichkeiten für Veranstaltungen zu mieten. Für ein „Aktivistenwochenende“ hat die Regionalgruppe Schwaben im März 2020 in Baden-Württemberg etwa unter der Bezeichnung „Schwäbischer Kulturverein e.V.“ eine Unterkunft angemietet.
„Rechtsklick“ gegen die „Corona-Zwangsmaßnahmen“
Um ein breites, über das neurechte Spektrum hinausgehendes Publikum zu erreichen, verwendete die IB in Kampagnen mittlerweile Symbole und Farben, die nicht auf den ersten Blick der IB zugerechnet werden. Im Februar 2021 launchten sie die Website „Rechtsklick“, auf der zum Widerstand gegen die „Corona-Zwangsmaßnahmen“ aufgerufen wird. Lediglich im Impressum können User:innen lesen, dass die „Identitäre Bewegung Deutschland e.V.“ für die Inhalte verantwortlich ist.
Weitere Formate der IB mit eigener Web-Präsenz sind der „identitäre“ Theorieblog „Originem“, die sogenannte „GefährderMap“, die vor Islamist:innen warnen will, „Aktionsmelder“, eine Website, die von rassistischen und Demonstrationen und völkischen Veranstaltungen berichtet und „GegenUni“, einer Art rechtsextreme YouTube-University.
Die Mär von der Gewaltfreiheit: 383 Straftaten
Im Gegensatz zur alten Rechten grenzt sich die sogenannte „neue“ Rechte, zu der die „Identitäre Bewegung“ zählt, strategisch vom Nationalsozialismus ab. Durch ihr scheinbar modernes und hippes Auftreten war und ist die IB teilweise anschlussfähig für ein Publikum auch außerhalb der rechtsextremen Szene. Zur Selbstverteidigung sieht die IB Gewalt als legitimes Mittel, ansonsten wird nach außen ein gewaltfreier Aktionismus propagiert. Wenn man sich die Realität anschaut, gibt es jedoch immer wieder Beispiele, in denen von der IB Gewalt ausgeübt wird. Die Lüge, zu behaupten, sie seien gewaltfrei, ist im realen Leben absolut nicht haltbar. Wenn man sich auf der anderen Seite ihre Ideologie anschaut und ihre Forderung nach ethnisch homogenen Völkern bis zum Ende denkt, wird schnell klar, dass dieses Ziel gar nicht ohne Gewalt umzusetzen wäre. Ihr Ziel ist im Endeffekt eine Eskalation und Zuspitzung auch der staatlichen Gewalt. Von 2018 bis zum 2. September 2021 zählte das Bundeskriminalamt 383 Straftaten im Bereich rechts in Zusammenhang mit der IB.
Zwar geht auch die Bundesregierung nach Auswertung ihrer Quellen nicht davon aus, dass sich die IB bald von ihrem angeblichen gewaltfreien Grundsatz abweichen wird, allerdings muss „eine Radikalisierung einzelner Mitglieder oder Sympathisanten der IBD, in Einzelfällen auch ganzer Ortsverbände, insbesondere angesichts der Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, zumindest einkalkuliert werden.“
Martina Renner: „Die IB nimmt als ideologische Vorfeldorganisation auf die AfD Einfluss“
Neben dem Firmengeflecht der „Identitären Bewegung“ und weiterer Organisationen der „neuen“ Rechten gibt es für Aktivist:innen noch eine andere Karrieremöglichkeit: In den Büroräumen der AfD, auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner meint dazu gegenüber Belltower.News: „Während die deutschen ‚Identitären‘ seit Jahren daran scheitern, öffentliche Versammlungen zu organisieren, die mehr als eine Handvoll Mitglieder anziehen, gelingt es ihnen einerseits, ein Netzwerk von Vereinen und Unternehmen aufzubauen, mit dem sie Geld verdienen und rassistische Propaganda verbreiten und andererseits als ideologische Vorfeldorganisation auf die AfD Einfluss zu nehmen.“
Dabei ist eine Aufnahme von Aktivist:innen der „Identitären Bewegung“ laut eines Unvereinbarkeitsbeschlusses der AfD aus dem Jahr 2016 formal nicht möglich. Doch die personellen Überschneidungen sind nicht zu übersehen, besonders in der Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA). Auch der Bundesregierung sind „virtuelle sowie realweltliche Verbindungen“ zwischen IB-Aktivist:innen und JA-lern bekannt. „Nicht selten weisen Anhängerinnen und Anhänger oder Funktionäre der JA einen Vorlauf in ‚identitären‘ Strukturen auf bzw. können auch gegenwärtig noch als IB-Aktivistinnen und Aktivisten bezeichnet werden“, so die Bundesregierung weiter.
Und auch im neu gewählten Bundestag werden mindestens drei JA-ler für die AfD im Bundestag sitzen, die einen Bezug zur IB haben. Von den Mitarbeitenden in den Büros einmal ganz zu schweigen.