Seit Jahren stellt die Linksfraktion im Deutschen Bundestag pro Quartal eine Kleine Anfrage zur Anzahl extrem rechter Musikveranstaltungen in Deutschland. Nun veröffentlichte die Bundesregierung auf Grundlage der Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ihre Antwort zum 4. Quartal. In Summe geben die vier Kleinen Anfragen des vergangenen Jahres eine Auskunft (Datum, Ort, Bands) über 34 Rechtsrock-Konzerte, 80 Liederabende und 92 „sonstige Musikdarbietungen“, die in Veranstaltungen (Demonstrationen, Vortragsabende etc.) extrem rechter Organisationen eingebunden sind.
Jedoch sind das lediglich diejenigen Musikveranstaltungen, die öffentlich angekündigt wurden. Es fehlen (1) die aus Gründen des Quellenschutzes verheimlichten Musikveranstaltungen sowie (2) die geheim durchgeführten Musikveranstaltungen, von denen das BfV nichts weiß. Das BfV hat eigenen Angaben zufolge Kenntnis über 55 Rechtsrock-Konzerte, 141 Liederabende und 148 „sonstige Musikdarbietungen“ im Jahr 2019. Die Angaben sind vage, denn der Kriterienkatalog, der die Grundlage für die Messung bildet, ist unklar. Abseits dessen ist die Dunkelziffer zur Ermittlung des tatsächlichen Ausmaßes extrem rechter Musikveranstaltungen unbekannt. Kürzlich stellte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion fest, dass die Anzahl der extrem rechten Liedermacher und Solo-Musiker*innen sowie der extrem rechten Liederabende zunimmt. Sie prognostiziert: „Mit einer Fortsetzung dieses Trends ist zu rechnen“. Warum?
1. Liederabende als Vernetzungsplattform
Im Vergleich zu Rechtsrock-Konzerten sind Liederabende einfach und ohne allzu viel Aufwand durchführbar. Ein Liedermacher mit Akustikgitarre, eine kleine Location und ein, zwei Dutzend Neonazis reichen aus, um einen geheimen Liederabend abseits der kritischen Öffentlichkeit zu veranstalten. Es bleibt daher ein Rätsel, wie viele Liederabende die Neonazi-Szene pro Woche und Monat in der Bundesrepublik stattfinden. Was an diesen Liederabenden geschieht, bleibt ebenso ein Rätsel. Aber eines steht fest: Geheim organisierte sowie öffentlich angekündigte Liederabende bieten Neonazis eine Plattform für eine bessere Vernetzung, aus der beispielsweise konkrete Planungen für strafbare Handlungen hervorgehen können.
Ein Liedermacher, der häufig bei öffentlich angekündigten Liederabenden auftritt, ist Frank Rennicke (*1964). Gelegentlich spielt er bei großen Rechtsrock-Konzerten, aber meist tritt Rennicke im Rahmen kultureller Veranstaltungen von extrem rechten Organisationen wie der NPD auf. Die Balladen sind meist Bestandteil von Veranstaltungen der Bundespartei bzw. einzelner Landes- und Kreisverbände. Zudem dienen sie als Begleitmusik von Demonstrationen und Vortragsabenden. Sie schaffen eine behagliche, gemeinschaftliche Atmosphäre, die Jung und Alt anspricht. Deshalb sind Liedermacher wie Rennicke wichtige Integrationsfiguren zwischen Partei, Freien Kameradschaften und extrem rechter Jugendkultur.
2. Liederabende als inszenierte Antimoderne
Frank Rennicke ist eine der angesehensten Personen in der bundesdeutschen Neonazi-Szene. Eine Erklärung liefert der Titel eines Liedes, das er 1994 veröffentlichte: „Ich bin nicht modern – denn ich fühle deutsch“. Die inszenierte Antimoderne ist der Garant seines Erfolgs. Anfang der 1980er Jahre, in einer Zeit, in der sich Rennicke der extrem rechten „Wiking Jugend“ anschloss, trug er erstmals Balladen mit der Gitarre am Lagerfeuer vor. In dieser Zeit, so erzählte Rennicke in einem Gespräch mit der NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“, habe ihn gestört, „dass so viele Liedermacher gegen Deutschland singen“. Er meinte damit seine musikalischen Vorbilder Reinhard May und Hannes Wader. Rennicke hatte Ende der 1980er seine ersten Auftritte als extrem rechter Liedermacher. Somit war er der erste Musiker, der die Liedermacher-Tradition mit ihren Ursprüngen in der Bündischen Jugend aufgriff und für die extreme Rechte nutzte. Im Laufe der Jahrzehnte veröffentlichte er mehr als 30 Tonträger, mit seinen Liedern ist er auf zahlreichen Samplern der Rechtsrock-Szene vertreten.
Rennicke verkörpert für viele Neonazis das Ideal des „deutschen“ Mannes: Er lebt seit mehreren Jahren gemeinsam mit seiner Frau und zahlreichen Kindern auf dem Land in Oberfranken. Im gepflegten Erscheinungsbild mit Hemd und Scheitel macht er, so die Auffassung, eine bodenständige Musik mit seiner Akustikgitarre. Rennicke kritisiert seit Anbeginn die „undeutsche“ Rockmusik der Rechtsrock-Szene und fordert, den „deutschen Sangesreichtum“ in „nationalen“ Kreisen zu pflegen. Bereits Anfang der 1990er Jahre äußerte er im Neonazi-Fanzine „Frontal“: „Ob Skin oder Hooligan, beides sind Modeerscheinungen, die aus England gekommen sind. Ich habe manchmal meine Schwierigkeiten, bei etlichen Vertretern dieser Gruppen ein Deutschtum zu entdecken.“ Rennicke ist, davon sind viele in Neonazi-Kreisen überzeugt, ein Mann, der sich und seinen Idealen treu bleibt. Im Rahmen seiner Liederabende gibt er die inszenierte Antimoderne an Jung und Alt weiter.
3. Liederabende als Wolf im Schafspelz
Rennicke kombiniert sein antimodernes Erscheinungsbild und die ruhigen Wohlfühlmelodien seiner Balladen mit Themen wie Ehre, Freiheit und Heimat. Es sind zeitlose Themen, die Neonazis aller Altersgruppen ansprechen und sich hervorragend zur Vermittlung extrem rechter Ideologie eignen. Das zentrale Thema in Rennickes Balladen ist die Sehnsucht nach der „deutschen“ Heimat. Die Balladen beginnen oftmals harmlos („Heimat, Dich hab‘ ich so gern‘“). Er besingt die Berge, Felder und Küsten. Aber schnell wird deutlich, dass die ruhigen Klänge und gesungenen Strophen ein Wolf im Schafspelz sind. Denn er verknüpft die Sehnsüchte mit Werten wie Loyalität („Vaterland, Dir gilt mein Leben | Der Heimat diene ich | Denn ich liebe Dich“) und Traditionspflege („Deutschland, mein Sohn | Das ist Deine Heimat | Deutschland – das ist Deiner Väter Land“). Heimat ist eine – ausschließlich – nationale Kategorie, die die einen ein- und die „Fremden“ ausschließt.
Oft verbindet er mit der Sehnsucht nach Heimat die ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches. In unzähligen Liedern mit bezeichnenden Titeln wie „Restdeutschland“, „Über Länder, Grenzen, Zonen“ und „Die Grenze“ beklagt er sich über die Alliierten, die „unser deutsches Land gestohlen“ und „besetzt“ hätten. Im Lied „Wenn unser Land ist wieder frei“ singt er: „Das Reich geteilt und geschändet | Ein Ungeist treibt uns entzwei“. Die Behauptung, Deutschland werde besetzt und fremdregiert, reicht über die Frage der ehemaligen Ostgebiete hinaus. Das zeigt sich im Lied „Ich will mein Land zurück“ besonders deutlich. Die geneigten Hörer*innen fragen sich im Refrain, wer ihm „sein“ Land stahl: „Ich will mein Land zurück | Das lass‘ ich mir nicht nehmen | Ich will mein Land zurück | Kommt, rückt die Heimat raus | Ich will mein Land zurück | Das müsst ihr doch verstehen | Denn dieses ist mein Vaterland | Hier bin ich zu Haus‘“. Der Liedermacher gibt im Folgenden eine klare Antwort: Die Demokratie sei eine „Diktatur der Scheindemokraten“, in der „fremdbestimmte Politiker“, gelenkt durch die USA („mancher reiste über’n großen Teich“), die „Endlösung des deutschen Volkes“ anstrebten. Im Heimatverständnis des Liedermachers steckt die Propaganda verschwörungsideologischer Bedrohungsszenarien.
Das Auftreten und die Balladen Frank Rennickes zeigen exemplarisch, welche Wirkung Liederabende für die extreme Rechte entfalten können: Er inszeniert die Verkörperung „deutscher“ Ideale und meint reaktionäre Werte, er singt über die Sehnsucht nach Heimat und meint das Deutsche Reich. Die Liederabende jener Musiker, die abseits der großen Rechtsrock-Konzerte im kleinen Kreis der extremen Rechten stattfinden, schaffen eine gemeinschaftliche Atmosphäre, die zum Feiern und Singen, zum Planen und Vernetzen einlädt. Eine unterschätzte Gefahr.
Mehr Informationen über Frank Rennicke, seine Bedeutung in der extremen Rechten und sein Heimatverständnis finden Sie im Buch „Der Begriff ‚Heimat‘ in rechter Musik. Analysen – Hintergründe – Zusammenhänge“ (2020) von Timo Büchner. Es erscheint im Wochenschau Verlag und kostet 12,90 € (hier: https://wochenschau-verlag.de/der-begriff-heimat-in-rechter-musik-3003.html)