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Rechtsextreme Strukturen Kein Grund zum Feiern – Ein Jahr „Hexogen“ in Berlin

Frühere Schnittstelle rechter Infrastrukur in Berlin-Schöneweide, Foto: Mut, c

Vor einem Jahr berichtete bereits Netz gegen Nazis über die Eröffnung eines neuen Neonazi-Szeneladens im Berliner Stadtteil Schöneweide. Mittlerweile hat sich der nach einem Sprengstoff benannte Laden „Hexogen“ fest in der rechtsextremen Szene etabliert und unterstreicht damit die Gefahr, einer sich weiter verstärkenden rechten Infrastruktur in diesem südöstlich gelegenen Bezirk.
Der Laden, der laut Eigenwerbung „Alles für den Aktivisten“ anbietet, gehört dem stadtbekannten Szenekader Sebastian Schmidtke. Dieser ist nicht nur ein zentraler Akteur bei den „Autonomen Nationalisten“, sondern seit Februar 2012 auch der neue Berliner NPD-Vorsitzende. Mit dieser  Wahl schreiten die ideologische sowie die organisatorische Annäherung zwischen  Parteikadern und Rechtsextremen aus dem Kameradschaftsspektrum immer weiter voran. Gleichzeitig ist es die konsequente Fortsetzung der zunehmenden neonazistischen Ausrichtung der Partei. Wie gefährlich und ernstzunehmend dieser Kurs ist, belegt auch die Tatsache, dass Schmidtke aller Wahrscheinlichkeit nach einer der führenden Köpfe des rechten Internetportals „NW Berlin“ ist, welches im April 2012 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde, da „es zum Rassenhass anreizt und die Ideologie des Nationalsozialismus propagiert“.

Auch als Anmelder von Demonstrationen und Redner tat er sich in der Vergangenheit immer wieder hervor, so bei dem Versuch der NPD, das Gedenken an die Opfer des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 zu vereinnahmen oder bei einem Aufmarsch der Partei quer durch den multikulturellen Bezirk Kreuzberg. Bei dieser Demonstration griffen  Rechtsextreme am Rand stehende Migranten und Passanten an, und verletzten einige von ihnen schwer.

Rechte Infrastruktur als vermeintliche Normalität

Neben seinen Bemühungen, sich durch solche Aktivitäten bundesweit als Kader zu etablieren und als Bindeglied zwischen der NPD und den gewalttätigen „Autonomen Nationalisten“ zu fungieren, ist es vor allem auch die Funktion seines Ladens, die Sorgen machen muss. Denn bereits seit vielen Jahren gehört der Bezirk Schöneweide zu einem der wichtigsten regionalen Aktionsschwerpunkte der rechten Szene. Nicht nur die Parteizentrale der NPD hat hier ihren Sitz und sorgt immer wieder für Aufsehen, sondern im Gebiet existieren auch etliche weitere rechte Treffpunkte und Geschäfte. So befindet sich die, von Nazis für Musikveranstaltungen und Kameradschaftstreffen genutzte, Kneipe „Zum Henker“ nur wenige Häuser vom Laden „Hexogen“ in der Brückenstraße entfernt. Beide sind längst feste Eckpfeiler der rechten Kiezstruktur: Während die Kneipe als Vernetzungs- und Kommunikationsort fungiert, bekommt man im benachbarten Laden alles für den rechten Lifestyle. Von Informationsmaterial über szenetypische Zeitungen und CDs, bis hinzu Waffen, welche unter dem Label „Militär- und Sicherheitsbedarf“ angeboten werden.

Das Register Treptow-Köpenick beobachtet seit Bestehen des Ladens einen starken Anstieg rechter Propagandaaktivitäten, darunter Neonazi-Plakate, Aufkleber oder auch aufgesprühte Losungen wie „NS Jetzt!“ und immer wieder Hakenkreuze. Einen Großteil der registrierten Vorfälle (77 von 200) verzeichnet das Register genau in jenen Straßen rund um das „Hexogen“ und dem Bahnhof Schöneweide. Neonazis versuchen in diesem Gebiet, durch ihren offen zur Schau getragenen rechten Lebensstil, den zahlreichen rechten Parolen an den Häuserwänden und vor allem durch die Etablierung einer rechten Infrastruktur, darunter  Buch- und Klamottenläden sowie Kneipen, ihre Strukturen weiter zu verfestigen und vor allem ihren Hegemonialanspruch  auf eine „National befreite Zone“ zu demonstrieren. So sollen die Anwohner schrittweise an eine scheinbare rechte Normalität gewöhnt werden.

Mit diesem Problem haben zwar auch andere Berliner Bezirke zu kämpfen, doch in diesem Viertel ist es besonders drastisch, da Nazis Schöneweide seit langem als ihren „nationalen Kiez“ betrachten und er ihnen als Wohn- und Rückzugsraum dient. Darüber hinaus, gehen von den rechten Läden immer wieder gewalttätige Angriffe auf Menschen, die nicht in das neonazistische Weltbild passen, aus und sorgen dadurch für eine permanente Bedrohungskulisse.

Zeit, dass sich was ändert!

Doch im Bezirk bewegt sich was. In der Vergangenheit entstanden einige Bündnisse und Gruppierungen von engagierten Bürgern, die keine Lust auf rassistische Hetze oder gewalttätige Übergriffe in ihrem Kiez haben und den rechten Umtrieben etwas entgegen setzen wollen. Bereits 2000 taten sich verschiedene Jugendclubs zusammen und gründeten das Netzwerk „Bunt statt Braun“. Auslöser war die Ansiedlung der NPD-Bundeszentrale im Bezirk. Seit 2010 liegt der Schwerpunkt der vielfältigen Aktionen auf den rechten Strukturen in Schöneweide. Höhepunkt ist die fantasievolle Initiative „Schöner weiden ohne Nazis“, welche aus einem Wettbewerb heraus entstanden ist.


Ausschnitt aus dem Logo der Kampagne „Schöner Weiden ohne Nazis“

Seitdem tauchen im Straßenbild vermehrt bunte Kühe auf: sei es als Pappaufsteller oder großflächig auf Plakaten. Auch Postkarten mit den Kuhmotiven sind sehr begehrt. Unterstützt wird die Initiative bei ihrem Vorhaben durch das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“. Über 50 Initiativen und Einzelpersonen machen sich in diesem Zusammenschluss für eine demokratische Alltagskultur stark und veranstalten unter anderem regelmäßig das „Fest für Demokratie und Toleranz“.

Ganz neu ist das Bündnis „Uffmucken“, in welchem sich alternative Jugendliche, Jugendprojekte aus dem Bezirk und andere zivilgesellschaftliche Akteure vereinen und es sich zum Ziel gesetzt haben, „dem braunen Treiben und dem alltäglichen Rassismus auf der Straße, mit einer bunten und lebendigen (Gegen-)Kultur ein Ende zu bereiten. Dabei geht es nicht nur um den Spaß an der Sache, sondern auch darum, ein politisches Signal zu setzen. Denn: Schöneweide ist unser Kiez!“

Keine Vereinnahmung des öffentlichen Raumes

Obwohl es erst seit dem April 2012 besteht, hat dieses Bündnis schon einige Aktionen auf die Beine gestellt: so gab es im Juni unter anderem ein Konzert, Infostände, eine symbolische Straßenumbenennung und ein Graffiti- und Skate-Jam. Auch an dem vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ organisierten Kiezspazierganz nahmen die „Uffmucken“-Leute teil. Dabei wurde aktiv gegen Nazipropaganda vorgegangen. Trotz Einschüchterungsversuche durch Neonazis, beteiligten sich rund 50 Personen und entfernten rechte Aufkleber und Plakate. „Eine Vereinnahmung des öffentlichen Raumes durch Neonazis wird das Bündnis nicht dulden, sondern aktiv mit dem Spaziergang dagegen angehen“, heißt auf der Internetpräsenz.

Es soll aber nicht nur ein punktuelles Zeichen gegen Rassismus und die dominante rechte Szene gesetzt werden, sondern der Schwerpunkt liegt vor allem auch auf dem Aufbau einer alternativen Gegenkultur. Dafür versucht das Bündnis, das zivilgesellschaftliche Potential des Bezirks zu nutzen. Denn im Umkreis der neu angesiedelten Hochschule für Technik und Wirtschaft und der Kulturstätte Rundfunkzentrum haben in der letzten Zeit einige interessante Ateliers, Galerien und Cafés eröffnet, die dem Viertel ein frisches und buntes Gesicht geben und damit neue Möglichkeiten für eine Vernetzung und Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure bieten. „Tatsächlich leben in und um Schöneweide viele aktive und kreative Menschen, die den Nazis nicht widerstandslos das Feld überlassen wollen“.

Öffentliches Bewusstsein stärken

Wie wichtig die Kooperation der unterschiedlichen Akteure ist, haben die Erfahrungen der vergangenen Jahre in den verschiedenen Berliner Bezirken gezeigt. Denn neben einer konsequenten juristischen Strafverfolgung von rechten Übergriffen oder Propagandadelikten, ist es vor allem auch die Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins, die zu einer nachhaltigen Zustandsänderung beiträgt. Die Aufklärungsarbeit über rechte Szenestrukturen und ihrer Akteure muss darüber hinaus einhergehen mit einer Stärkung und Unterstützung einer alternativen, demokratischen Alltagskultur. Dafür ist die gesamte Zivilgesellschaft gleichermaßen gefordert!

Die organisierten Nazi- Strukturen sind nämlich nicht nur ein Problem für Schöneweide oder den Bezirk, sondern für die ganze Stadt. Daher ist es umso wichtiger, sich dem Aufruf vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und verschiedenen anderen Gruppen zu einer Demonstration anlässlich des einjährigen Bestehens von „Hexogen“ anzuschließen: „Trefforten von Rechtsextremen wie Henker und Hexogen werden wir mit allen rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Mitteln und Möglichkeiten entgegentreten, um deutlich zu machen, dass dieser Bezirk ein weltoffener, toleranter und demokratischer Ort ist.“

Diana Buhe

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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