Die 62.000 internen NPD-Mails, die vor kurzem verschiedenen Medien zugespielt wurden, gewähren interessante Einblicke ins Innenleben der Nazipartei. So berichtete Spiegel-Online Mitte Februar 2011 von einer geplanten Posse im Zusammenhang mit der letztlich gescheiterten Abwahl des parteilosen Leipziger Kulturbürgermeisters Michael Faber. Nachdem die zwei NPD-Stadträte Rudi Gerhard und Klaus Ufer im Dezember noch für die Abwahl des ungeliebten Beigeordneten gestimmt hatten – und die Partei damit laut einer Mitteilung ihrer „Kommunalpolitischen Vereinigung“ (KPV) zum „Zünglein an der Waage“ geworden war –, sollten die beiden Rentner bei der zweiten Abstimmungsrunde am 19. Januar 2011 für Fabers Verbleib im Amt votieren.
Mit diesem geänderten Wahlverhalten wollte sich der KPV-Vorsitzende Hartmut Krien dafür rächen, dass die „etablierten Parteien“ nicht auf das Gesprächsangebot der NPD eingegangen sind: „Wenn es klappt, daß wir quasi als Bestrafung für unsere Ausgrenzung die Abwahl verhindern, wäre das ein Erfolg, der die bisherigen Nadelstiche weit in den Schatten stellt“, heißt es in einer E-Mail Kriens an seine Stellvertreterin Katrin Köhler aus Chemnitz. Diese sollte am Tage der Abstimmung in Kriens Auftrag dafür sorgen, dass die Leipziger NPD-Stadträte auch mitspielen: „Übermittle bitte den Beiden, dass das eine dringende Weisung ist. Ob man das Wort Befehl verwenden sollte muß Du in der Situation entscheiden.“
„Bitte lügen!“
All zu viel politischen Sachverstand traut die NPD ihren Abgeordneten offenbar nicht zu: Köhler sollte ihnen die veränderte Strategie („Das Schwierige ist, daß das sie anders abstimmen sollen als beim ersten Mal!“) vor der Sitzung gut erklären und dabei besonders um denjenigen der beiden kümmern, „der etwas schwerfälliger versteht“, wies Krien seine Emissärin an: „Zeit lassen und wiederholen!“ Für den Fall, dass Faber doch abgewählt worden wäre, sollten Gerhardt und Ufer hinterher behaupten, auch sie hätten gegen den Kulturbürgermeister gestimmt: „Bei gelungener Abwahl bitte lügen!“ Die NPD wollte sich so oder so als entscheidende Kraft darstellen. Um dieses falsche Spiel nicht zu gefährden, sollten die Leipziger am besten „absolut die Klappe halten“.
So weit sollte es nicht kommen, da am Ende nur 44 Abgeordnete für Fabers Rausschmiss votierten – vier weniger als im Dezember. Auf die NPD-Stimmen kam es also gar nicht an. Enttäuscht tönte Möchtegern-Strippenzieher Krien daher in einer Pressemitteilung: „Vertreter der Altparteien sind aus Angst vor NPD-Einfluß umgekippt“.
„Marketing-Berater“ in Nordsachsen
Auch bei den „Nationalen Schulungszentren“, welche die Partei im September und Oktober vergangenen Jahres in Delitzsch und Eilenburg eröffnet haben will, steckt hinter den vollmundigen Erklärungen („ausgebuchter Veranstaltungs- und Aktionskalender“) offenbar mehr Schein als Sein. Bei dem angeblichen „Zentrum“ in Eilenburg soll es sich lediglich um einen Raum in einer Gaststätte im benachbarten Doberschütz handeln, der für eine „Geburtstagsfeier“ angemietet wurde. In Delitzsch nutzen die Neonazis für ihre Treffen ebenfalls nur einen Gasthof im Ortsteil Zschepen. Der nordsächsische NPD-Kreisvorsitzende Maik Scheffler räumte gegenüber der LVZ inzwischen ein, dass es schwierig sei, hier ein „festes Domizil“ zu finden.
Möglicherweise gehen die herbeigeflunkerten „Schulungszentren“ auf den „Marketing-Berater“ zurück, über den die nordsächsische NPD seit kurzem verfügt. Dieser solle „neue und modernere Wege in Sachen öffentlicher Wahrnehmung umsetzen“, heißt es in einem Bericht von der Jahreshauptversammlung des Kreisverbandes im Oktober. Das Landesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass die NPD mit ihren „überzogenen Verlautbarungen“ der Öffentlichkeit und den eigenen Anhängern suggerieren möchte, „dass es sich bei ihr um eine starke und aktive Organisation mit vermeintlich hoher Akzeptanz und Wahrnehmung handelt“.
Zoff um die Odermannstraße
Noch mehr Probleme gibt es anscheinend mit dem seit 2008 bestehenden Leipziger NPD-Zentrum in der Odermannstraße. Wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die erteilte Baugenehmigung wächst der Druck auf die Stadtverwaltung, ein baupolizeiliches Verfahren einzuleiten. Dies könnte zu einer Nutzungsuntersagung für die Mehrzweckhalle auf dem Gelände führen, in der immer wieder Konzerte und Vortragsveranstaltungen stattgefunden haben. Die endgültige Schließung des Nazi-Zentrums hat sich die antifaschistische Kampagne „Fence Off“ zum Ziel gesetzt.
In einem Artikel im überregionalen „Antifaschistischen Infoblatt“ (Nr. 89) wird zudem von einem „Kleinkrieg unter Kameraden“ berichtet: Von einer Spaltung zwischen den jüngeren „Freien Kräften“ sowie der Hooligan-Gruppe „Blue Caps LE“, die in der Odermannstraße ihren Sitz haben, und Altkadern wie dem Kreisvorsitzenden Helmut Herrmann oder den Stadträten Gerhardt und Ufer. Gestritten wird u.a. um die Miete, welche die Jung-Nazis für die Nutzung des „Nationalen Zentrums“ entrichten müssen. Unterstützung für die parlamentarische Arbeit kommt von ihnen keine. Das bleibt Hartmut Krien und seiner KPV überlassen, der die fraktionslosen NPD-Stadträte von Dresden aus „berät“.
Von chronik.LE, zuerst erschienen in „Leipziger Zustände NEWS 1/2011“ des Leipziger Dokumentationsprojekts „chronik.LE“.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).