Die Fragen beantwortet der Fachjournalist und Rechtsextremismusexperte Robert Andreasch.
MUT: Wie sieht Rechtsextremismus in Bayern derzeit aus?
Laut Bundesamt für Verfassungsschutz leben in Bayern die meisten Neonazis. Deshalb ist hier die Dynamik der Szene sehr hoch. Gruppen verändern sich schnell, Organisationsansätze werden ausprobiert, es gibt viele Konzerte, viele Veranstaltungen. Bis vor wenigen Jahren waren die Kameradschaften die wichtigste Organisationsform in der bayerischen extrem rechten Szene. Jetzt hat die NPD ihnen erstmals den Rang abgelaufen, denn im Moment engagieren sich große Teile der Szene für die NPD. Wichtige Konzepte für die bundesweite NPD wurden in Bayern erdacht – etwa auch die Strategie für den sächsischen Wahlkampf. Nicht zuletzt stammen führende NPD-Köpfe aus Bayern wie der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt und auch Holger Apfel, der stellvertetender NPD-Bundesvorsitzender und Vorsitzender der sächsischen NPD-Fraktion im Landtag, wohnte früher dort. Die Zahl von Neonazi-Konzerten und auch die Zahl rechter Gewalttaten steigt beständig – dies umfasst Randale und rassistische Übergriffe wie auch Brandanschläge und Friedhofsschändungen. Allerdings gibt es, soweit ich weiß, bisher keine „national befreite Zonen“ mit politischer Hegemonie oder permanenter Straßengewalt. Dafür ist Bayern Sitz wichtiger rechter Infrastruktur. Die Zeitung „Nation und Europa“ und das DVU-Organ „Nationalzeitung“ kommen aus Bayern, außerdem gibt es in Inning am Ammersee die Verlagsgesellschaft Berg. Wichtige Figuren sind z. B der in Oberbayern wohnende Horst Mahler oder der Publizist Jürgen Schwab, der u.a. für altermedia und die Deutsche Stimme schreibt. Einige wichtige Versände beliefern die Nazis von Bayern aus, beispielsweise der Wikingerversand, der seinen Sitz in Geiselhörning hat.
Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Ansätze rechter Hegemonie unter Jugendlichen gibt es in Franken, um Wunsiedel und Hof herum, wo auch der Kameradschaftsbund Hoch-Oberfranken aktiv ist. Auch im Main-Spessart-Gebiet und um Aschaffenburg und Würzburg gibt es viele Aktivitäten,. In München gibt es die Kameradschaft München, die ziemlich in der NPD / JN aufgegangen zu sein scheint, und als Sammelpunkt für autonome Nationalisten (und Überbleibsel des ehemaligen Freien Widerstand Süddeutschlands) „Nationales München“. Regelmäßig gründen sich Kameradschaften neu oder um, z. B. der Widerstand Weißenburg und der Widerstand Weiden in der Oberpfalz.
Welche sind die wichtigsten Organisationen?
Die NPD hat in Bayern 36 Kreisverbände und eine Basis von über 1000 Mitgliedern – das sind fast dreimal so viele wie in Mecklenburg-Vorpommern! Dies wurde möglich durch den „Volksfront-Gedanken“ in der rechtsextremen Szene, der seit einigen Jahren in Bayern äußerst konsequent umgesetzt wird. Vorher war die Szene klein-klein organisiert, in Deutschlandbewegung, DVU, Kameradschaften, Republikaner. Jetzt engagieren sich die meisten für die NPD. Militantere Strategien, wie sie etwa die Kameradschaft von Martin Wiese mit den Bombenanschlagsplänen auf den Synagogenneubau von München verfolgte, stehen jetzt stark unter dem Auge des Gesetzes. Aktivisten, die früher in der Kameradschaftsszene wichtig waren, beispielsweise in der 2004 verbotenen Fränkischen Aktionsfront, arbeiten jetzt für die NPD. Die NPD deckt auch mehr und mehr den sog. Freizeitbereich ab, der früher fest in Kameradschaftshand war, Konzerte, Aktionstage, Angebote für Familien oder Jugendliche. Das sind jetzt entweder NPD-Veranstaltungen oder sie laufen unter „Volksfront“-Decknamen. In der Öffentlichkeit wenig Präsenz zeigt die DVU, die in München-Pasing ihre Bundeszentrale hat, etwas mehr die Deutsche Partei, die viele ehemalige Republikaner-Anhänger aufnahm.
Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?
Die bayerischen extrem Rechten scheinen seit kurzem eine Affinität zu Umweltschutz-Themen zu haben. In Bayern gibt es außerdem immer wieder bewaffnete Gruppierungen. Neben der Wiese-Kameradschaft sei an die Wehrsportgruppe Süd erinnert, deren Waffenlager 2005 entdeckt wurde. Sie hatte 44 Mitglieder und ein Waffenlager, dass unter anderem Maschinengewehre, Maschinenpistolen, gut ein Kilogramm Sprengstoff, die Bordkanone eines Bundeswehr-Jets, Panzergranaten, Handgranaten, Sprengzünder, sowie über eine Tonne Munition enthielt. Im November 2006 fanden sich bei Neonazis im Raum Rosenheim mehr als 100 einsatzfähige Waffen. Dieser starke Hang zu Waffen ist wahrscheinlich in der bayerischen Gesellschaft verankert. Einen Schützenverein gibt es in jedem Dorf. Es ist auf den Dörfern offensichtlich üblich, Militaria zu sammeln, so dass es vermutlich schlicht weniger auffällt, wenn jemand einen Schrank voll Waffen zuhause hat.
Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?
Generell ist die Angebotsbreite in Bayern sehr hoch. Es gibt Angebote für rechtsextreme Radikale, für Spießer, für Umweltschützer, für Familien. Die Aktivitäten reichen von familiär-harmlosen kommunalen Veranstaltungen bis zu radikalen, militanten Aktionen. Mitten in München haben sie im August 2006 eine Mahnwache für Rudolf Hess offiziell angemeldet und abgehalten – und keinen in den Behörden hat es offenbar gestört! Zugleich ist das der Spagat, den die NPD Bayern ausbalancieren muss: zwischen einem bürgerlichen Erscheinungsbild und dem Image, dass keiner so hart und radikal ist wie sie. Eine Figur, an der dieser Konflikt deutlich wird, ist Norman Bordin, führender Kameradschaftsaktivist und inzwischen NPD-Mitglied, an dessen illegalen und gewalttätigen Aktivitäten sich die Geister scheiden. Viele bürgerlich orientierte NPD-Mitglieder würden ihn gern aus der Partei ausschließen, fürchten wohl aber, dass dann alle Neu-NPDler aus dem Kameradschaftsspektrum verärgert austräten.
Thematisch beschäftigen sich die Rechtsextremen mit dem histrorischen Nationalsozialismus, huldigen etwa Rudolf Heß oder dem extrem rechten Selbstmörder Reinhold Elstner, der sich 1995 mit 75 Jahren auf den Treppen der Feldherrenhalle mit Benzin übergoss und anzündete, um gegen die „Verteufelung eines ganzen Volkes“ nach dem 2. Weltkrieg zu protestieren. Sie beschäftigen sich aber auch mit neuen Themen wie Antikriegs-Aktivitäten und Friedensbewegung, Globalisierung, Antikapitalismus und Genfood. In München versuchen sie sich an den Protest gegen den Ausbau des Münchner Flughafens zu hängen, was dessen zivilgesellschaftliche Gegner mittlerweile nicht mehr so blauäugig geschehen lassen.
In Bayern finden außerdem besonders viele Nazi-Konzerte statt – offiziell ist von 26 Konzerten die Rede, doch allein, wenn man unter anderem die Polizei-Pressemitteilungen eines Jahres zusammenzählt, kommt man auf mindestens 60 Konzerte.
Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Bayern derzeit ein und warum?
Für die Lokalwahlen im März 2008 wird sich die NPD auf einige Städte konzentrieren, sie müssen hier keine 5-Prozent-Hürde überwinden, um im Stadtrat zu sitzen. Noch bessere Chancen hat die NPD vermutlich unter dem Mantel lokaler Initiativen wie der „Initiative Ausländerstopp“ in Nürnberg. Hauptziel der NPD-Arbeit wird die Landtagswahl im Herbst 2008 sein, bei der sie sich große Chancen ausrechnen, weil nirgendwo der Anteil von Bürger*nnen mit extrem rassistischer, antisemitischer und chauvinistischer Einstellung so hoch ist wie hier. Die NPD will sich im Zuge der „Normalisierungstaktik“ als „normale“ akzeptierte politische Kraft im Bewusstsein etablieren, im Wahlkampf ist mit hunderten Veranstaltungen und Infotischen zu rechnen. Grundsätzlich nehme ich aber an, dass die NPD in Bayern schlecht punkten wird. Die Leute mit extrem rechten Einstellungen wählen überwiegend nicht rechtsextrem. Allerdings stimmen viele den Aussagen stillschweigend zu. Ein Problem ist die mangelnde politische Arbeit in Bayern und oft fehlende zivilgesellschaftliche nicht-rechte Aktivitäten. Auch die CSU zerbröselt, und die NPD bietet sich als Lückenfüllerin an.
Gefährlicher aber finde ich, dass Rechtsextremismus in Bayern oft mit Naivität, Desinteresse und Ignoranz begegnet wird. Zudem gibt es ein massives staatliches Misstrauen gegen Antifa-Arbeit. Wer sich in Bayern gegen Rechtsextremismus engagiert, kriegt schnell Ärger mit den Behörden. Das hat massiven Einfluss auf das Auftreten der Bürger*innen zum Beispiel bei Neonazi-Aufmärschen – da gehen viele nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor Repressionen haben. Ein anderes Problem ist, dass es neben der „Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (A.I.D.A. e. V).“ in München fast keine zivilgesellschaftlichen Einrichtungen gibt, die in Bayern gegen Rechtsextremismus arbeiten. Für Bürger*innen und Parteien gibt es so kaum Ansprechpartner*innen außer dem bayerischen Verfassungsschutz. Mehrere Gruppen der autonomen Antifa bemühen sich redlich, aber Ansprechpartner*innen, die sich hier persönlich engagieren, sind oft nur den eh eingeweihten Kreisen bekannt. Dadurch, dass nur wenige Initiativen Kenntnis über rechte Aktivitäten und Strukturen haben und in der Lage sind, z.B. Pressemitteilungen zu verfassen, ist es dann auch mit einer qualitativ guten Medienpräsenz zum Thema in vielen Regionen nicht weit her.
Interview: Simone Rafael
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).