Es herrscht Alarmzustand in Mecklenburg-Vorpommern, besser gesagt, ein Ausnahmezustand, der sich gut mit aktuellen russischen Verhältnissen messen kann. Vom 5. bis 8. Juni 2007 findet der G-8-Gipfel im Ostsseebad Heiligendamm statt und 17.000 Polizisten und Soldaten werden im Einsatz sein. Gipfelkosten: bislang 92 Millionen Euro. Schon Wochen voraus warf das Treffen der ‚G8‘ unübersehbare Sicherheits-Schatten voraus: Ein 12 Kilometer Schutzzaun im großen Umkreis um den Tagungsort, bundesweite Razzien zur Einschüchterung potenzieller Gewalttäter in der linkautonomen Szene und eine halbseitige amtliche Bekanntmachung der Polizei in der örtlichen Ostseezeitung, die über die Einrichtung einer Bannmeile vor dem Schutzzaun und weit hinaus ins Meer informierte – bis zu 6 Kilometer breit. „Das ist der Gipfel! Warum wurden nicht Hiddensee, Helgoland oder Sylt als Tagungsorte ausgewählt?“, lästerten meine Kritzmower Verwandten, „dann würde zur Gipfel-Sicherung kostensparend die Marine reichen“.
Erster ‚Großkampftag‘ am 2. Juni
Nicht nur zwischen dem 5. und 8. Juni fürchteten die Einheimischen inzwischen deja-vu-Erlebnisse mit willkürlichen Polizeimaßnahmen, wie sie sie allenfalls noch aus DDR-Zeiten in Erinnerung haben. Als Großkampftag stellten sich Einwohner und Polizei zunächst auf Samstag, den 2. Juni ein. Für diesen Tag mobilisierten die Gipfelkritiker nach Rostock, 100.000 Demonstranten wurden erwartet, 80.000 kamen – am Ende stand der schon im Vorfeld befürchtete Krawall von rund 2000 vermeintlich Linksautonomen, in e-mails an unsere Redaktion haben sich aber auch schon vermeintlich Rechtsautonome der Mittäterschaft bekannt.
Mindestens 60 weitere Demonstrations-Veranstaltungen hatten Gipfelkritiker und –gegner in den Folgetagen angemeldet. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) malt bereits Angstszenarien, um den Polizeiaufwand zu rechtfertigen. „Gefahren aus der linksextremistischen Szene gibt es genauso wie von der rechtsextremistischen Szene“, berichtete er am 12.5. besorgt der „Welt am Sonntag“. Diese Qualität ist dabei neu. Auch der rechtsextremen Szene wird schon im Vorfeld Gewalt zugetraut, nachdem am 1. Mai in Erfurt unerwartet Neonazis als Steinewerfer gegen Polizisten in Aktion traten. Das Ziel, beim G-8-Gipfel auf sich aufmerksam zu machen, verfolgt die Neonaziszene schon lange, „Zukunft statt Globalisierung“ gaukelt sie vor. Weshalb die Rechtsextremisten so intensiv auf eigenen Gipfelprotest setzen, hat zwei Gründe. Längst haben auch die rechtsextremen Rädelsführer begriffen, wie einfach mit dem Thema G8 und den Reizvokabeln „Globalisierung“ und „Kapitalismuskritik“ insbesondere Jugendliche zu mobilisieren sind. Und hinter abstrakter Globalisierungskritik lässt sich besser verbergen, was NPD und rechtsextreme Kameradschaften eigentlich möchten: Zurück zu völkisch geprägten Nationalstaaten, in denen gelebter Rassismus ‚Nichtdeutsche’ ausgrenzt.
Gezielte NPD-Schulungen
Schon Anfang 2006 wurden in Arnstadt bundesweit mehr als 1000 Neonazis zu einem solchen Aufmarsch gegen Globalisierung mobilisiert. Seitdem wird das Thema dem Nachwuchs gezielt in Schulungen nahegebracht. Zum ideologischen ‚Warmlaufen’ mobilisierten alle NPD-Landesverbände zuletzt am Sonnabend (19.5.) „mit Infoständen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Materialverteilungen massiv den Standpunkt der nationalen Opposition zum G-8-Gipfel kundzutun“. „Sozial statt global“ heißt die fadenscheinige Kampagne. Die Partei sieht sich bei dem Thema selbst unter Druck, denn nicht wenigen jungen Leuten in ihrem Gefolge imponiert auch, was sich – totz aller Feindschaft – auf der linken Seite tut.
So schrieb schon Anfang Januar ein ‚grimnir‘ in einem Gesprächskreis der Thüringer NPD: „…Die Linken machen seit ewigen Zeiten schon Wind mit x Seiten im Weltnetz und Filmen und Treffen und hast Du nicht gesehen. Und bei uns? Von einer angekündigten Demo der Partei in Schwerin erfährt man aus einem Zecken-Verteiler. antikap.de schweigt sich aus und begnügt sich mit alten Bildern und Jubelmeldungen über zwanzig verteilte Flugzettel. Zum FdV gehen par Bands hören und Bier trinken kann doch irgendwie nicht alles sein, oder?“ Doch dies holt die NPD jetzt nach.
Die ideologischen Vorgaben dazu hat an Ostern die Jugendorganisation der NPD, JN, in „Bundesschulungslagern“ verbreitet. So heißt es wörtlich im Bericht von einer solchen Indoktrinationsveranstaltung sächsischer Neonazis in der Lausitz:
„Bereits am Freitagabend konnte ein Großteil der Teilnehmer in der Lausitz begrüßt werden. Am Sonnabendmorgen war dann die Lagermannschaft komplett. Die Teilnehmer kamen aus Brandenburg, Thüringen, Süd-Tirol und natürlich Sachsen. Sie kamen aus JN-Gruppen und parteifreien Zusammenhängen. Schulungsschwerpunkt war die nationale Kapitalismuskritik. Es wurde klargestellt, daß sich diese nicht nur gegen das Produktivkapital richtet, wie es bei der verkürzten Kapitalismuskritik der Kommunisten der Fall ist, sondern vor allem gegen das Finanzkapital. In mehreren, aufeinander abgestimmten Vorträgen, Filmen und Referaten, gingen die Seminarleiter auf die Geld- und Weltpolitik aus nationaler Sicht ein, klärten die Teilnehmer über politische Grundbegriffe auf, erläuterten die Funktionsweise des Zinssystems und gingen zudem auf den US-Imperialismus ein. Auf diese Weise konnte allen Anwesenden ein fundiertes Wissen über die Mechanismen des Kapitalismus und dessen Auswirkungen vermittelt werden“.
Westliche Wertegemeinschaft als Feindbild
Bei solchen Schulungen ist es in rechtsextremen Kreisen üblich, insbesondere USA, Wallstreet und Judentum so miteinander zu vermischen, dass sowohl ein USA-feindlicher als auch antisemitischer Vorurteilsbrei herauskommt. Unter dem Begriff „Ostküste“ wird solche Kritik gerne subsumiert. Der Begriff taucht auch prompt unter „Theorie“ im Wörterbuch auf der neonazistischen Website antikap.de auf: Dort wird als Feindbild die ‚Westliche Wertegemeinschaft‘ definiert als „Hohle Phrase, mit der die Liberalisten der US-Ostküste und ihre Nachbeter in Europa ihre lehre als nicht nur richtig, sondern allgemeinverbindlich und unumkehrbar ausgeben wollen. Abweichende Absichten werden nicht geduldet. Kern der westlichen Wertegemeinschaft sind Individualismus, Internationalismus, „Menschenrechte“ sowie die Vorherrschaft der Wirtschaft und Kapitalanliegen, die durch Wegfall von grenzen und nationalen Unterschieden zu einem globalen System von Markt, Gewinnvorrang und Gleichmacherei führen…“
Zu den im rechtsextremen Spektrum veranstalteten ideologischen Schulungslagern gehört aber auch das Stärken von „Kameradschaftsgeist“ und das Stillen von Erlebnishunger. So heißt es weiter in der Beschreibung der o.g. Schulung in der Lausitz:
„… Nach den doch recht anstrengenden Schulungsstunden ließ man den Abend mit einer Feierstunde und deutschem Liedgut ausklingen. Am nächsten Morgen hieß es „Sport frei!“. Der Sonntag stand ganz im Zeichen der körperlichen Ertüchtigung und des Mannschaftsgeistes. Bei Gruppenspielen und dem „Germanischen Sechskampf“ konnte sich jeder mit den Anderen messen. Bei Messer- und Speerwurf, Bogenschießen, Standsprung, Sprint und Baumstammwurf lieferten sich einige ein spannendes Kopf an Kopf Rennen…Nach dem Sportnachmittag warteten auf die Teilnehmer zwei Arbeitsgruppen. Während sich die Einen bei der AG „Transparente“ kreativ betätigen konnten, ging es im freien heiß her. Die AG „Selbstverteidigung“ traf sich. Gezeigt wurden effektive Selbstverteidigungstechniken des Ju-Jutsu. Es gab Tips rund um den Umgang mit linken Provokateuren und sonstigen Angreifern. Defensives Verhalten wurde den Lehrgangsteilnehmern empfohlen, da es Linksfaschisten geradezu darauf anlegen, Gewaltszenen zu provozieren…“
Trainierte Gewalt
Genau diese Form von trainierter Gewaltbereitschaft ist für die Polizei zum zusätzlichen Sorgenpaket gewachsen. Der damalige Innenminister Caffier befürchtete bei einer am 2. Juni angemeldeten NPD-Demonstration in Schwerin gewalttätige Ausschreitungen, wenn rechte und linke Gruppierungen aufeinander treffen sollten. Rund 1.500 Anhänger erwartet die NPD, die sie am 2. Juni auf dem Parkplatz der Schweriner Sport- und Kongresshalle versammeln will. „Möglichst mit Bussen“ empfiehlt die NPD die Anreise. Denn im Internet kursieren längst Aufrufe linker Gruppen, den NPD-Aufzug zu verhindern, so unter dem Motto: „Nazidemo in Schwerin am 2. Juni 2007 abzieh´n!“ Dass derlei gelingen kann, haben Linksautonome jüngst am 1. Mai in Dortmund überraschend bewiesen. Dorthin wollten NPD Chef Voigt und der Neonaziführer Christian Worch das rechtsextreme Spektrum gemeinsam mobilisieren, Linksautonome legten allerdings Feuer auf den Schienen und damit den Bahnzubringerverkehr still. Die theatralisch geplante NPD-Großdemo platzte.
Schwerin als Ausgangspunkt für eine neue „Querfront“?
Die Rechtsextremen hofften nun vergeblich, dass ihre Propagandaschau stattdessen in Schwerin gelingt. Dort fühlten sie sich besonders sicher, weil sich die NPD seit den letzten Landtagswahlen mit ihrer Parlamentsfraktion als Teil der Gesellschaft betrachtet. Wie gut ihr das gelingt, konnten jüngst Leser von ZEIT-Online lernen (>klick). Dort wurde der Organisator des rechtsextremen Antiglobalisierungsprotests portraitiert, der Berliner Rechtsaktivist Jörg Hähnel, der Anfang Mai 2007 den Schweriner Landtag mit einem einen 40cm langen Teleskopschlagstock betreten wollte. Im ZEIT-Text heißt es:
„…Hähnel ist dafür zuständig, dass sich noch aus dem hintersten Zipfel der sächsischen Schweiz Neonazis auf den Weg nach Heiligendamm machen. Er ist Mitglied des NPD-Bundesvorstandes, stellvertretender Landesvorsitzender in Berlin, Bezirksverordneter in Berlin-Lichtenberg, tritt in seiner Freizeit als rechtsradikaler Liedermacher auf und hat aktuell die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in seiner Partei übernommen. Was die Linken als Neoliberalismus und Globalisierung bezeichnen, soll nun auch von Rechtsaußen angegriffen werden. „Der Neoliberalismus ist die absolute Herrschaft des Mammons“, sagt Hähnel und stört sich nicht am jüdischen Ursprung des Wortes. Wir sitzen in einer Bar im Sony-Center, in der Höhle des Löwens, wenn man so will. „Globalisierung ist Nivellierung“, fährt Hähnel fort, „und sie zerstört den Menschen. Sie nimmt ihm seine Grundbedürfnisse: Gemeinschaft und Kultur.“ Die amerikanische Mainstream-Kultur walze alles platt. Weltweit. Überall nur noch Hollywood und Halloween, Fast Food und Fettsucht, Black Music und Bling-Bling. Das klingt gar nicht so rechtsradikal. Sondern eher nach deutschem Konsens.“
„Deutscher Konsens“? Du liebe Zeit! Aber so geschickt haben Hähnel & Co. bereits nach außen für diesen Eindruck gesorgt.
Seit geraumer Zeit mobilisieren die rechtsextremen Stimmungsmacher auf zwei zentralen Websites gegen den G8-Gipfel, die auf den ersten Blick so wirken, als hätten sie eher Linke ins Web gesetzt. ‚antikap.de‘ ist eher an parteiungebundene nationale Gruppen gerichtet, ‚gib8.org‘ mehr an die Anhänger der NPD, beide sind aber schon vom Layout eine bewusste Irreführung, um zusätzliche Mitläufer aus anderen politischen Lagern zu gewinnen. „Wünschenswertes Fernziel“, so bezeichnete es unlängst NPD-Sprecher Beier auf „spiegel online“ (>klick), sei „eine antiglobalistische Querfront aus Linken und Rechten“, schon beim G-8-Gipfel in Heiligendamm seien „Überraschungen“ möglich.
Dem Bericht zufolge fürchten Verfassungsschützer, junge Rechtsextreme wollten bei den linken Protesten mitmischen, „selbst auf die Gefahr hin, von Linken Prügel zu beziehen“. Warum? „Viele Ostdeutsche, die sich als Globalisierungsverlierer sehen, empfänden rechte Parolen ‚gegen die Zerschlagung der Völker‘ glaubwürdiger als die Argumente der antinationalen Linken“, wird ein anonymer Verfassungsschützer zitiert. Nach den Erkenntnissen der Geheimdienstler versuche sich die NPD zunehmend das Gesicht einer „sozialrevolutionären Partei mit antikapitalistischer Diktion“ zu geben. Schon vor sechs Jahren habe Parteichef Udo Voigt angekündigt: „Wir werden uns an die Spitze einer neuen deutschen Friedensbewegung und aller Globalisierungsgegner stellen“. Und bereits zum 1. Mai 2004 wurden NPD-Demonstrationen unter das Motto „Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn“ gestellt.
Im Mittelpunkt stehe nicht mehr „rechts gegen links“ sondern „unten gegen oben“ als ein Thema, „mit dem sich viel mehr Menschen einfangen ließen“. Die eigentlichen Argumente seien jedoch die alten geblieben. In einer Studie, die „spiegel online“ zitiert, beschreibe der Verfassungsschutz die Agitation als durchwoben von verschwörungstheoretischen Konstrukten: „Böse Mächte hindern die Deutschen daran, in volksgemeinschaftlicher Eintracht zu leben.“ Bedrohlich seien demnach „Finanzkapitalisten, Ausländer, die USA, Israel und die Juden“. Auf diese Weise sollten Vorurteile und Ängste geschürt werden, „wo sich die Menschen als Verlierer und Abgehängte der Gesellschaft empfinden“. Besonders in Ostdeutschland falle das vielerorts leicht.
Schwerin am 2. Juni ’stillgelegt‘?
Doch leicht gemacht wurde den Rechtsaußen solche Propaganda diesmal nicht. Auch die Schweriner Zivilgesellschaft half die rechtsextremen Täuscher zu blockieren, das örtliche Bürgerbündnis gegen Rechts und der Jugendring vereinnahmten am 2. Juni mit einem „Bürgerfest für Demokratie und Menschlichkeit“ die Innenstadt, so dass die NPD-Strategen nicht im Zentrum der Landeshauptstadtzum Zuge kommen konnten. Und schon am Bahnhof und allen Zufahrtsstraßen wies die Polizei alle trotzdem anreisenden zurück.Geprobt hatte die Polizei eine solche hermetische Abriegelung bereits im Jahr zuvor, am 1. Mai 2006 in Rostock.
Damals hatten NPD und Neonazigruppen bundesweit zu einem Aufmarsch mobilisiert, ihre Gegner im linken Spektrum ebenfalls, wie auch Gewerkschaften, Parteien und Roctocks zivilgesellschaftliche Gruppen. Alle wurden hermetischst voneinander abgeriegelt. Sogar ein Konzert mit dem Liedermacher Konstantin Wecker in der Innenstadt wurde quasi isoliert, denn kaum jemand konnte dorthin gelangen: den ganzen Tag über blieben Zufahrtsstraßen gesperrt und der öffentliche Nahverkehr eingestellt.
Ähnlich drakonische Maßnahmen wurden daher auch in Schwerin erwartet. Zudem brütete die Polizei, wie Demotourismus zwischen Rostock und Schwerin unterbunden werden konnte. Verhindert werden sollte, dass ‚Linke‘ aus Rostock spontan nach Schwerin aufbrechen und umgekehrt, ‚Rechte‘ von Schwerin aus nach Rostock ausweichen (Die Bahnverbindung dauert regulär nur rund eine Stunde). Der Hintergrund: In rechtsextremen Internetforen war die Diskussion, ob es möglich ist, sich unerkannt unter die sonst so verhassten Linken zu mischen, schon lange in Gang, denn die Angleichung des typischen Demo-Outfits hat beide Seiten mittlerweile verwechselbar gemacht. Zumindest äußerlich.
Nur innerlich bleibt der Unterschied gravierend: „Unser Protest ist vom Gedanken der Solidarität und der Gleichheit der Menschen geprägt“, sagt Monty Schädel, der Demonstrationsanmelder der Linken, „die Nazis stehen für Ungleichheit und passen da nicht rein.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).