In den Siebzigern standen hier die RAF-Terrorist*innen vor Gericht. Ab diesem Dienstag wird in Stuttgart-Stammheim vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) gegen die „Gruppe S.“ verhandelt. Terrorismus wirft der Generalbundesanwalt den ursprünglich 13, nach dem mutmaßlichen Suizid eines Beschuldigten in der Untersuchungshaft nunmehr noch zwölf Angeklagten vor. Der Prozess findet unter hohen Sicherheitsstandards statt.
Die mutmaßliche Terrorzelle soll laut Bundesanwaltschaft Anschläge geplant haben. Ziel sei es gewesen, einen politischen Umsturz herbeizuführen. Laut Anklageschrift des Generalbundesanwalts hatten die Gründungsmitglieder der „Gruppe S.“ das Ziel, „mit ihrer Vereinigung die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden“. Den Männern wird vorgeworfen, Anschläge auf Moscheen und Politiker*innen geplant zu haben, um „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeizuführen. Die nach ihrem mutmaßlichen Rädelsführer Werner S. benannte Gruppe soll sich im September 2019 gegründet haben.
Spitzel verrät die Terrorzelle
Auf die Spur gekommen waren die Ermittler*innen der Terrorzelle durch einen Informanten, der sich zunächst der Gruppe angeschlossen, dann aber das rechtsextreme Treiben an die Polizei verraten hatte. Deswegen konnte die Gruppe schon bei ihrem Gründungstreffen in Alfdorf im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis ebenso überwacht werden, wie bei einem späteren wichtigen Planungstreffen in Minden in Nordrhein-Westfalen. Am 14. Februar 2020 hoben dann Ermittler*innen die bundesweit verteilte Gruppe aus.
Rädelsführer soll aus dem Gefängnis Mord an Hauptbelastungszeugen in Auftrag gegeben haben
Doch das von den Mitgliedern selbst im Gefängnis noch eine Gefahr ausgeht, belegen Recherchen des SWR. Demnach soll Rädelsführer Werner S. aus der Untersuchungshaft in Augsburg heraus Ende des vergangenen Jahres versucht haben, einen Auftragsmörder für den Spitzel in der Gruppe anzuwerben. In der Haft, so sehen es die Ermittler*innen, war Werner S. einem Mann begegnet, der als Mitglied der italienischen Mafia in Haft sitzt. Ihn soll S. angesprochen und nach einem Killer gefragt haben. 50.000 Euro könne er zahlen, wenn der Hauptbelastungszeuge verschwinde, soll er dem Camorra-Mann gesagt haben. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat deswegen ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Werner S. eröffnet, wegen versuchter Anstiftung zu einem Verbrechen.
Wer sind die Mitglieder der „Gruppe S“
Zwölf Männern, zwischen 31 und 60 Jahren, wird seit Dienstag, den 12. April, der Prozess gemacht. Wer sind die Männer, die sich zusammengeschlossen hatten, um – nach Möglichkeit im großen Stil – Menschen zu ermorden?
- Werner S., Rädelsführer
- Tony E., Rädelsführer
- Michael B.,
- Frank H.,
- Thomas N.,
- Paul-Ludwig U.,
- Marcel W.
- Wolfgang W.
- Steffen B.,
- Stefan K.
- Markus K.
- Thorsten W. Unterstützer
- Ulf R., der ebenfalls am 14. Februar 2020 vorläufig festgenommen worden war, ist während der gegen ihn vollzogenen Untersuchungshaft verstorben. Ermittler*innen gehen von Suizid aus.
Was ist die „Gruppe S.“?
In den vergangenen Jahren wurden immer wieder rechte Terrorzellen aufgedeckt. Der Generalbundesanwalt hatte immer wieder die Verfahren frühzeitig an sich gezogen – so auch jetzt im Fall der „Gruppe S.“. In ihr fanden sich offenbar in kürzester Zeit Personen zusammen, die sich nur teilweise oder zunächst gar nicht im realen Leben kannten, darunter auch Personen, die den Behörden nie zuvor aufgefallen waren. Beunruhigend fällt bei der „Gruppe S.“ die schnelle Radikalität auf und die augenscheinliche Opferbereitschaft, die in abgehörten Telefonaten und Chats deutlich wurde.
Laut Informationen von „Frontal 21“ und Stuttgarter Nachrichten hatte Werner S., der aus dem Raum Augsburg stammt, kurz vor seiner Festnahme im Februar 2020 versucht, Waffen in seinen Besitz zu bringen. Demnach wollte S. ein Kalaschnikow-Sturmgewehr mit 2.000 Schuss Munition, eine Maschinenpistole sowie Handgranaten erwerben. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen verfügten dem Bericht zufolge bereits über 27 erlaubnispflichtige Waffen. Nicht auszumahlen, was sie damit hätten für Grausamkeiten anstellen können.
Die „Gruppe S.“ soll bundesweit aktiv gewesen sein. Die Angeklagten trafen sich nach ihrer Gründung 2019 offenbar mehrfach persönlich. Große Teile ihrer Kommunikationen wie auch Pläne zu Anschlägen diskutierten sie online in Chatgruppen verschiedener Messengerdienste und Sozialer Netzwerke (v.a. Facebook, VK). In den Chatgruppen wurden auch Fotos von selbstgebauten Waffen ausgetauscht und entsprechende Baupläne diskutiert, wie Recherche von Belltower.News zeigt. Ihre Chats sind eine Mischung aus Reichsbürgertum, germanischer Kriegermythologie und blankem Rassismus und Hass auf Migrant*innen.
Außerdem versuchte der mutmaßliche Anführer Werner S., online Männer zu rekrutieren, die „intelligent, hart, brutal, schnell“ seien. Laut Spiegel plante er offenbar anfangs, eine Art Untergrundarmee aufzubauen, nach dem Vorbild der rechtsradikalen Freikorps in der Weimarer Republik. Später war von einem „Freiwilligenverband zur Kräftemobilisierung“, die Rede. Es solle auch eine „Ausbildung im militärischen Sinne“ geben.
Aktivitäten in Bürgerwehren
Nach Informationen von WDR, NDR und SZ waren zehn der zwölf Angeklagten Mitglieder von rechtextremen Bürgerwehren. So war Werner S. seit Jahren in der rechten Szene vernetzt. Er soll die Position des „Sergeant at Arms“ bei der Gruppe „Soldiers of Odin Germany“ innegehabt haben. Dabei handelt es sich um eine Bürgerwehr, die 2017 nach dem Vorbild eines finnischen Rechtsextremen gegründet wurde. Sie ist die einzige Bürgerwehr, die in fast allen Bundesländern Unterabteilungen unterhält. Acht weitere Mitglieder der mutmaßlichen Terrorzelle waren in Bürgerwehren aktiv. Sie hatten teilweise hochrangige Führungspositionen im „Freikorps“, in der „Bruderschaft Deutschland“, „Vikings Security“, und „Wodans Erben Germania“.
Seit 2015 organisierten sich viele Rassist*innen in sogenannten „Bürgerwehren“. Viele dieser Gruppen, die im lokalen Raum „Streifen“ organisierten und organisieren, bestanden und bestehen zumindest teilweise aus organisierten Rechtsextremen und Neonazis, haben auch Bezüge zum rechten Rocker-Milieu. Sie treten auf wie Rocker, tragen sogar Kutten und geben sich Namen wie in Biker Clubs üblich. Eines der zentralen Themen dieser Bürgerwehren ist der vermeintliche Schutz der Frauen vor Übergriffen durch Migranten. Generell ist der Schutz der „deutschen Frau“ ein sehr beliebtes Narrativ dieser Szene.
Der Vergewaltiger Frank H.
Auch der Angeklagte Frank H. war in einer solchen Bürgerwehr aktiv. Er behauptet, Anführer der „Wodans-Erben“-Bürgerwehr gewesen zu sein, so die Süddeutsche Zeitung, deren angebliches Ziel es sei, Schwächeren zu helfen und Frauen schützen zu wollen. Und dabei vergewaltigte er selber zwei Frauen im Beisein ihrer Partner.
1994 wurde Frank H. wurde verurteilt, weil er damals zweimal Pärchen auf einem Parkplatz in München abgepasst hatte und sie mit vorgehaltener Waffe bedrohte. Er fesselte die Männer und vergewaltigte die Frauen. Über sieben Jahre saß H. dafür im Gefängnis, so berichtet die Süddeutsche. Bei einer Hausdurchsuchung bei ihm am 14. Februar 2020 fanden die Ermittler*innen neben zahlreichem Propaganda-Material auch eine Schrotflinte, die er wegen seiner Verurteilung gar nicht hätte besitzen dürfen. Werner S., ein ehemaliges Mitglied der „Soldiers of Odin“, lernte H. 2016 kennen, angeblich als sie in Augsburg einer Frau zu Hilfe geeilt seien.