Es scheint offensichtlich, dass es sich bei den Tätern*innen um Rechtsextreme handelt – denn der Anschlag entspricht dem Muster von Attacken auf SPD-Politiker*innen und Nazi-Gegner*innen in den Berliner Bezirken Treptow und Neukölln. Zudem ist es traurigerweise nicht das erste Mal, dass „Zossen zeigt Gesicht“ Zielscheibe rechter Gewalt wurde. Erst Anfang September war der Nazi Daniel T. wegen Anstiftung zum Brandanschlag auf das Haus der Demokratie in Zossen im Januar 2010 zu drei Jahre und acht Monate Haft verurteilt worden. Daniel T. war bekannt als Kopf der rechtsextremen Szene in der Region und der „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ – die Gruppierung galt bis zu ihrem Verbot als eine der gewaltbereitesten und aktivsten Nazi-Gruppen in Brandenburg.
Die Liste der Taten, mit denen die „Freien Kräfte“ in Verbindung gebracht wurden, ist lang: der Brandanschlag auf das Haus der Demokratie, Hakenkreuze auf Gedenksteinen, Todesdrohungen gegen engagierte Bürger*innen und ein missglückter Brandanschlag auf den Wagen eines Mitglieds von „Zossen zeigt Gesicht“.
Hakenkreuze in Zossen (Foto: „Zossen zeigt Gesicht“)
Doch nicht nur die Tatsache, dass „Zossen zeigt Gesicht“ bereits mehrfach Zielscheibe von Nazis war, macht einen rechtsextremen Hintergrund so wahrscheinlich. Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, folgt der Anschlag auf Jörg Wanke einem Muster, das aus dem Berliner Süden bekannt ist: Unbekannte hatten im Sommer auf das Treptower Wohnhaus des Berliner-Juso-Vizechefs Nico Schmolke einen Anschlag verübt – sie warfen eine Scheibe ein und sprengten den Briefkasten. Das Gleiche passierte zuvor in Britz beim Haus einer Familie, die mit Anhängern der rechtsextremen NPD aneinander geraten war.
Nur zwei Beispiele einer ganzen Reihe von Vorfällen, die Kenner der rechtsextremen Szene einem Kreis junger Nazis zurechnen, die seit einigen Jahren verstärkt im Süden Berlins und im südlichen Umland aktiv sind. Sie sollen Teil eines Netzwerks um die einschlägig bekannte Internetseite „Nationaler Widerstand Berlin“ sein. Die Verbindung zu diesen Berliner Vorfällen wurde Jörg Wanke selbst erst durch den „Tagesspiegel“-Artikel bewusst.
Ermittlungen nur wegen Sachbeschädigung
„Dass es einen rechtsextremen Hintergrund gibt, dachte ich mir dagegen gleich“, sagt er. Für ihn ein klarer Hinweis auf die Verbindung: Die Täter*innen benutzten einen Feldstein, den sie im Hof des Hauses fanden. Anstatt aber gleich hier die Terrassenfenster einzuschmeißen, was viel einfacher gewesen wäre, gingen sie wieder zurück zum Hauseingang, um sich hier am Fenster der Haustür zu probieren, das glücklicherweise aus Sicherheitsglas besteht. „Wahrscheinlich wollten sie nicht von ihrem Schema weg“, so Wanke. Dennoch ermittelt die Polizei bislang nur wegen Sachbeschädigung – leider kein Einzelfall bei Taten mit rechtsextremem Hintergrund. Immerhin hat mittlerweile der Staatsschutz vorsorglich Ermittlungen aufgenommen.
Schon am Donnerstag war ein ähnlicher Anschlag auf das Nachbarhaus verübt worden, in dem ein Berliner Polizist wohnt. „Mein Nachbar hat gleich vermutet, dass das nicht ihm galt“, führt Wanke aus. Das habe aber niemanden interessiert, nicht mal die Polizei sei vorbei gekommen. In seinem Fall wären zwar noch in der Nacht Beamte gekommen, die allerdings wenig Initiative gezeigt hätten. Wanke berichtet: „Sie haben ein paar Fotos gemacht, aber nicht viel mehr.“ Seine Nachbarn habe er selbst informiert und befragt …
Keine Hoffnung auf die Stadt
„Zossen zeigt Gesicht“ lasse sich durch den Anschlag nicht einschüchtern. Resignation trete höchstens im Umgang mit der Stadt auf. „Das Verhältnis zur Stadt ist eine ganz eigene Geschichte“, kommentiert Wanke. Vor allem Bürgermeisterin Michaela Schreiber bewege sich nicht und werde das wohl auch nicht mehr tun. „Wir fordern von der Stadt nichts mehr ein, da ist Hopfen und Malz verloren“, bilanziert der Sprecher von „Zossen zeigt Gesicht“. Als Initiative habe man beschlossen, weiterzumachen – ohne auf die Stadt zu hoffen.
Beschmierte Stolpersteine in Zossen (Foto: „Zossen zeigt Gesicht“)
Bislang gab es von der Stadt auch noch keine offizielle Erklärung zu dem Anschlag oder eine Pressemitteilung. Gegenüber der „Märkischen Allgemeinen“ sagte Bürgermeisterin Schreiber, dass es ihr „für Herrn Wanke persönlich leid tue, so wie für jeden anderen auch, der von einer solchen Sachbeschädigung betroffen sei“. Allerdings rechtfertige der Anschlag nicht, dass die Stadt durch den Sprecher der Initiative zum wiederholten Mal in der Öffentlichkeit bewusst als „Hort des Rechtsextremismus“ dargestellt werde. Zudem schickte Rathaus-Sprecher Axel Jürs eine Email an Jörg Wanke, aus der zitiert werden darf. So schrieb er: „Und auch, wenn es im Falle einer nicht politisch orientierten ‚Sachbeschädigung‘ immer noch ein Anschlag auf Euer Sicherheitsgefühl wie auch Eigentum und damit nicht wesentlich weniger bestürzend wäre, möchte man doch hoffen, dass es kein Signal dafür ist, dass sich Neonazis in der Region wieder zu neuen Gewalttaten hinreißen lassen.“
Jetzt erst recht
Der Anschlag auf Jörg Wanke ist der Höhepunkt verstärkter rechtsextremer Aktivitäten in der Stadt. So wurden in den vergangenen Wochen wieder vermehrt Nazi-Schmierereien festgestellt. Nur einige Beispiele: Unbekannte besprühten das Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Zossener Stadtpark mit Hakenkreuzen. Als Schriftzug hinterließen die Täter*innen die Internetadresse der rechtsextremen Seite „NW Berlin“. Auf der Seite führen Nazis eine Feindesliste mit Namen von Politikern*innen, Antifa-Aktivisten*innen und linken Einrichtungen, aber auch Journalisten*innen. Neben weiteren Hakenkreuzschmierereien entdeckten Passanten*innen zwei mit schwarzer Farbe übermalte Stolpersteine, darunter den drei Meter breiten Schriftzug „Schweine“ – wahrscheinlich aus der gleichen Nacht wie der Anschlag auf Wanke. Dennoch gilt für ihn anscheinend „Jetzt erst recht.“ Er lobt die starke Solidarität im Ort und betont: „Die wunderbare Bürgerinitiative lässt gar nicht den Gedanken daran aufkommen, aufzuhören!“
Wahrscheinlich ist die wertvolle Arbeit, die „Zossen zeigt Gesicht“ seit Jahren leistet, ein Ergebnis der Verbundenheit innerhalb des Netzwerks. Traurig genug, dass die Bürgerinitiative so wenig Rückendeckung durch die offiziellen Strukturen vor Ort erhält. Umso wichtiger ist aber auch Solidarität von außen – auch und gerade von engagierten Bürger*innen, die nicht in der Region leben.
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