Die Fragen beantwortet Alexander Häusler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf.
Wie stellt sich die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen aktuell dar?
Das Spektrum der extremen Rechten reicht von Revanchistenverbänden und neurechten Diskussionszirkeln über die Wahlparteien NPD, REP, DVU und „pro NRW“ bis hin zu den neonazistischen Kameradschaftsszenen, wobei dort die ?Autonomen Nationalisten? zunehmend an Einfluss gewonnen haben. Die NPD in NRW ist eng mit der neonazistischen Szene der ?Kameradschaften? verbunden, ohne die sie öffentlich gar nicht handlungsfähig wäre.
Seitens der ?Kameradschaften?, besonders seitens der ?Autonomen Nationalisten?, besteht ein widersprüchliches Verhältnis zur NPD, das von der Ablehnung jeglicher ?parteilicher Systemanbiederung? bis hin zu funktionaler Unterstützung reicht. Die Wahlparteien von Rechtsaußen stehen zunehmend in offener Konkurrenz zu einander.
Der von NPD und DVU beschlossene ?Deutschland-Pakt?, der auch die Aufteilung von Wahlkandidaturen beinhaltet, ist am Beispiel der Stadt Dortmund brüchig geworden. Dort tritt die NPD in Konkurrenz zur DVU zu den Kommunalwahlen 2009 an.
Ebenso gibt es offene Anfeindungen zwischen der NPD und der neuen Wahlpartei der extremen Rechten in NRW, der ?Bürgerbewegung pro NRW?. Alle diese Wahlparteien ringen um Vorherrschaft auf das Angst- und Kampagnenthema ?Islamismus?, das als Erfolgsschlager gilt. In der militanten Neonazi-Szene treten seit dem Jahr 2003 zunehmend Gruppen unter dem Label ?Autonome Nationalisten? in Erscheinung, die mittlerweile ca. ein Viertel der nicht parteiförmig organisierten Neonaziszene in NRW ausmachen.
Existieren besondere regionale Agitationsschwerpunkte von Rechtsaußen?
Als aktuelle räumliche Schwerpunkte für überregionale Mobilisierungen können die Städte Dortmund, Köln un der Aachener Raum genannt werden. Die Ruhrgebietsstadt Dortmund hat sich schon seit dem Jahr 2000 zunehmend zu einem Knotenpunkt für die neonazistische Szene entwickelt. ?Dortmund ist unsere Stadt? heißt eine Parole der örtlichen Szene. Dies wird begleitet von regelmäßigen Aufmärschen anlässlich des Antikriegstages und weiterer Gedenktage unter bundesweiter prominenter Beteiligung extrem rechter Führungskräfte.
In Köln wirkt die rechtsextreme ?Bürgerbewegung pro Köln?, Ursprungsorganisation von ?pro NRW?, seit ihrem Einzug in den Stadtrat im Jahr 2004 mit populistischen öffentlichen Inszenierungen. An einem von ?pro Köln? in der Domstadt im Jahr 2008 und 2009 veranstaltetem ?Anti-Islamisierungskongress? beteiligten sich Vertreter europäischer Rechtsaußenparteien. Beide Veranstaltungen waren begleitet von einem breit aufgestellten antifaschistischen Bündnis, das gegen jenes Spektakel öffentlichkeitswirksam demonstrierte.
In Stolberg bei Aachen versuchen NPD und Kameradschaften seit dem Jahr 2008 den tragischen Tod eines jungen Erwachsenen nach einer Messerattacke in perfider Form zu instrumentalisieren, indem alljährlich zu einem ?Trauermarsch? in rassistischer Manier mobilisiert wird. Überregionale Zusammenschlüsse der neonazistischen Kameradschaften und darin speziell der ?Autonomen Nationalisten? existieren über Aktionsgruppen wie der ?AG Rheinland?, der ?AG Ruhr-Mitte? oder der ?AG Ruhr-Lippe?.
Gibt es besondere Trends in den Szenen?
Die Aktionsorientierung der neonazistischen Kameradschaften und dort speziell der ?Autonomen Nationalisten? übt steigende Anziehungskraft auf rechtsorientierte junge Leute aus. Dort wirkt das Angebot zum Einstieg in ein neonazistisches ?Abenteuer? mehr als dröge Parteiwerbung der NPD.
Auf der anderen Seite ist eine Zunahme der Zusammenarbeit der unterschiedlichen neonazistischen Gruppen der ?Kameradschaftsszene? mit der NPD festzustellen. Die NPD sucht auch bei Zugewanderten nach speziellen Zielgruppen zur Agitation wie etwa der Gruppe der so genannten Russlanddeutschen. Eine neue Form des Rechtspopulismus stellt der Versuch der extrem rechten ?Pro-Bewegung? dar, unter dem Deckmantel einer Bürgerbewegung mit populistischen Kampagnen gegen ?den Islam? auf Stimmenfang zu gehen und damit neue Zielgruppen und zugleich auch Wählerschichten zu erreichen.
Welche Chancen räumen Sie der NPD und anderen rechtsextremen Gruppierungen bei den kommenden Kommunalwahlen ein?
Nordrhein-Westfalen ist traditionell keine Erfolgsregion für die Wahlparteien der extremen Rechten. Das wird sich voraussichtlich auch nicht im Jahr 2009 grundlegend ändern, obwohl mit ?pro NRW? erstmals eine weitere Kraft dieses Spektrums auf den Wahlzetteln steht. Gemessen am aktuellen Stand von deren organisatorischer Entwicklung wird wohl auch dort kein großartiger Wahlerfolg erreicht werden. Allerdings gibt es da noch einige Unsicherheitsfaktoren wie einen möglichen Überraschungserfolg durch die rechtspopulistischen Plattitüden ohne kommunale Verankerung.
Welche Bedrohung geht von der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen aus?
In NRW ist ein rapider Anstieg von Gewalttaten zu verzeichnen, der teilweise neue Dimensionen erhalten hat, wie ein Angriff von ca. 300 Personen aus dem Kreis der ?Kameradschaften? auf eine DGB-Demonstration anlässlich der Kundgebungen zum 1. Mai 2009 in Dortmund gezeigt hat. Das gewalttätige und offene Auftreten der Neonazis hat Sogwirkung auf die umliegenden Städte, wo ebenfalls rechte Gewalt zunimmt. Auch das Bestreben nach kommunaler ?Verwurzelung? des extrem rechten Milieus ist erkennbar.
Auf der anderen Seite droht die Gefahr eines propagandistischen Einbruchs von Rechtsaußen hinein in die Mitte durch rechte Kampagnen. Diese zeichnen sich aktuell aus durch rechten Populismus gegen die EU sowie durch die Kanalisierung vorhandener Ängste und Vorurteile gegen Muslime und den Islam in der Bevölkerung. Die aktuelle Dimension solcher Einflussnahme im Lebensalltag wird politisch immer noch nicht annähernd erfasst.
Eine wirkungsvolle antifaschistische Gegenstrategie muss konkret vor Ort ansetzen. Die konkreten Facetten extrem rechter Erscheinungsformen müssen kontinuierlich erforscht werden, um handlungsfähig gegen Rechts zu sein. Dafür bedarf es einer lebendigen und antifaschistisch aktiven Zivilgesellschaft. Antifaschistische und antirassistische Netzwerke müssen gefördert werden, um dem Streben der extremen Rechten nach Vorherrschaft im Alltag wirkungsvoll etwas entgegensetzen zu können.
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