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Rechtsextremismus Warum das Heulen der Grauen Wölfe endlich verboten werden muss

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Türkische Nationalisten zeigen beim Fanmarsch Richtung Olympiastadion während der Fußball-EM den "Wolfsgruß". (Quelle: picture alliance/dpa | Christoph Soeder)

Mit der EM ist der Party-Patriotismus wieder in großem Stil zurück in Deutschland. Und damit auch das Gefühl, endlich wieder ohne Reue stolz auf das eigene Land sein zu können. Wie gefährlich diese Romantisierung von patriotischen Werten aber sein kann und welche reale Bedrohung von ihr ausgeht, bewiesen vor allem türkische Fußballfans. Vor dem Teamhotel der türkischen Nationalmannschaft in Berlin versammelten sich Hunderte Fans – rot-weißes Fahnenmeer, martialischer Jubel und der umstrittene Wolfsgruß inklusive. Der EM-Skandal um den türkischen Nationalspieler Merih Demiral und die Debatten über türkischen Rechtsextremismus stießen bei der lauten Mehrheit der türkischen Fans aber vor allem auf Unverständnis.

Der Mittel- und Ringfinger auf den Daumen gepresst, der kleine und der Zeigefinger in die Höhe gestreckt: Demiral zeigt nach seinem Tor im Achtelfinale der Europameisterschaft einem Millionenpublikum den Wolfsgruß (Bozkurt işareti) und entfacht damit eine längst überfällige Debatte über die Salonfähigkeit von türkischem Rechtsextremismus. Denn was auf den ersten Blick wie eine harmlose Jubelgeste erscheinen mag, ist das bekannteste Erkennungszeichen der ultranationalistischen und türkisch-rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung (Idealisten-Bewegung), deren Anhänger*innen sich selbst als Graue Wölfe (Bozkurtlar) bezeichnen. Die Ülkücü-Bewegung hat hierzulande 12.100 Anhänger*innen und ist damit die größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland.

Der Wolfsgruß – ein Symbol für Hass und Intoleranz

Der Wolfsgruß sei nur ein türkisches Symbol, heißt es von den Fans, so wie der französische Hahn oder der deutsche Adler oder er sei Teil einer türkischen Legende, ein Mythos. Aber mit Faschismus und Extremismus habe der Wolfsgruß nichts zu tun. Tatsächlich propagieren die Grauen Wölfe aber ein nationalistisches, antisemitisches und rassistisches rechtsextremes Weltbild. Der Wolfsgruß ist Symbol der Zugehörigkeit und der Verherrlichung ihrer gefährlichen Ideologie. Und wer den Wolfsgruß zeigt, bekundet offen seine Sympathie. Dass die Organisation und Symbole der Grauen Wölfe in Deutschland immer noch nicht verboten sind, ist eine weit unterschätzte Gefahr für die Demokratie und offenbart das konsequente Versagen der deutschen Behörden im Kampf gegen türkischen Rechtsextremismus.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte die UEFA in der Causa Merih Demiral zu einer Prüfung von möglichen Sanktionen aufgefordert. Die Disziplinarkammer der Fußball-Föderation hat Demiral wegen des Wolfsgrußes für zwei Spiele gesperrt. Die Sperre erfolgte unter anderem „wegen Nutzung von Sportveranstaltungen für Bekundungen nichtsportlicher Art und wegen Verunglimpfung des Fußballsports”. Ein wichtiger erster Schritt – aber bei weitem nicht ausreichend für die Tragweite dieses Skandals. Denn auch abseits des Rasens war der Wolfsgruß in den Fan-Blöcken und bei Fan-Umzügen allzeit präsent, das Auftreten vieler türkischer Fans war besonders aggressiv und manche ihrer skandierten Rufe brandgefährlich. Und so entstand der Eindruck, dass einzelne Fans einen vermeintlich friedlichen Umzug in ein deutsches Fußballstadion mit einer Rückeroberung des Osmanischen Reiches gleichsetzen. Für die Opfer und Angehörigen von Gewalt durch türkische Rechte waren diese Bilder nur schwer zu ertragen. Und so bleibt eine wichtige Frage offen: Warum setzt die Bundesinnenministerin nicht endlich ein bundesweites Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland durch, anstatt die Verantwortung auf die UEFA zu lenken?

Die Grauen Wölfe und der Traum vom großtürkischen Reich

Das Ziel der Grauen Wölfe ist die Vereinigung aller Turkvölker im Staat Turan in den Grenzen des ehemaligen Osmanischen Reiches. Dieses sogenannte pantürkische oder auch als turanistisch bezeichnete Weltbild ist das prägende Ideologieelement der Ülkücü-Bewegung. Diese Vision basiert auf extremen Nationalismus und einer Abgrenzung sowie Herabwürdigung gegenüber anderen ethnischen und religiösen Gruppen, insbesondere gegenüber Kurd*innen, Armenier*innen und Griech*innen sowie Jüdinnen*Juden, Alevit*innen und Jesid*innen. In der Vergangenheit wurden die Grauen Wölfe mit zahlreichen gewaltsamen Aktionen und politischen Morden in Verbindung gebracht. Ihre Brutalität und ihr Hass auf Andersdenkende führen zur tiefen gesellschaftlichen Spaltung – auch weit über die türkischen Grenzen hinaus. So sorgte vor vier Jahren ein geplanter Mordanschlag auf die österreichische Grünen-Politikerin Berîvan Aslan für Schlagzeilen: Der Auftragsmörder gestand, dass er Aslan im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT ermorden sollte. Aslan war bekannt dafür, dass sie die Netzwerke der Grauen Wölfe außerhalb der Türkei öffentlich kritisierte.

Die Grauen Wölfe wurden in den 1960er Jahren als paramilitärischer Arm der ultranationalistischen Milliyetçi Hareket Partisi (MHP) in der Türkei gegründet, seit 2018 regiert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zusammen mit der MHP. Kein Wunder also, dass die türkische Regierung den deutschen Botschafter einbestellte, nachdem deutsche Medien und Politiker*innen den türkischen Nationalspieler Demiral für seinen Wolfsgruß öffentlich kritisierten. Doch wie immer nimmt die deutsche Bundesregierung lieber eine Duck-dich-Haltung ein, wenn die türkische Regierung pfeift und sich empört, anstatt entschieden gegen türkischen Rechtsextremismus vorzugehen. Und solange der Kuschelkurs mit dem rechts-konservativen Bündnis um Erdoğan kein Ende findet, können türkische Rechte auch weiterhin ihr Netzwerk in Deutschland ausweiten und neue Anhänger*innen rekrutieren.

Über die Kritik aus Deutschland an Demirals Wolfsgruß zeigte sich der türkische Außenminister Hakan Fidan besonders empört. Laut Fidan „werde niemand angegriffen”, es handele sich lediglich um ein „historisches und kulturelles Symbol”. Doch der übersteigerte Nationalstolz und rücksichtslose Jubel über den 2:1 Sieg der türkischen Nationalmannschaft gegen Tschechien endeten für einen Fußgänger aus Berlin tödlich. Der 67-jährige Rentner wurde beim türkischen Autokorso totgerast. Er sei mehr als 20 Meter durch die Luft geschleudert worden und erlag noch am Unfallort seinen Verletzungen. Der Autofahrer flüchtete laut Behörden zunächst und ließ sein Fahrzeug zurück, aus dem zuvor Türkei-Fahnen geschwenkt worden sein sollen. Auch kam es am Rande der türkischen Fan-Feiern in Berlin zu Stein- und Flaschenwürfen, ein Mann schoss aus der Menge heraus mit einer Schreckschusswaffe mehrfach in die Luft.

Jung, radikal, gewaltbereit

Besonders beunruhigend sind solche extremen Exzesse des Party-Patriotismus mit Hinblick auf die Wirkungskraft der Radikalisierung junger Menschen. Die Grauen Wölfe nutzen neben Sportveranstaltungen auch soziale Medien, Musik und andere Kulturveranstaltungen, um ihre Hassbotschaften unter jungen Menschen zu verbreiten. Sie propagieren, dass es cool sei, rechtsextrem und gewaltbereit zu sein und dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sie ohnehin nicht akzeptiere – egal wie sehr sie sich auch um Integration und Anerkennung bemühten. Durch das Zeigen des Wolfsgrußes fühlen sich junge türkischstämmige Menschen rebellisch, zugehörig und gesehen. Ein gefährlicher Trugschluss. Denn der Wolfsgruß ist und bleibt ein rechtsextremes Symbol und Erkennungszeichen für den Vernichtungswunsch gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sowie zunehmend auch der queeren Community. Ein Verbot der Organisation und der Symbole der Grauen Wölfe würde ein klares Signal senden, dass solche extremistischen Ideologien in dieser Demokratie keinen Platz haben.

Die Grauen Wölfe haben eine lange Geschichte der Gewalt und des Terrorismus. Ihre Präsenz in Deutschland erhöht das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen. Ein Verbot würde ihre Organisationsstrukturen schwächen und ihre Fähigkeit zur Mobilisierung und Durchführung von Gewalttaten erheblich einschränken. Solch ein Verbot muss Hand in Hand gehen mit umfassenden Bildungsmaßnahmen, die darauf abzielen, über die Geschichte und Gefahren des türkischen Rechtsextremismus aufzuklären. Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen müssen bildungspolitische Aufklärungsarbeit leisten, die das Bewusstsein für die Geschichte und die Auswirkungen dieser extremistischen Bewegung schärfen und mehr Solidarität für die Betroffenen vermitteln.

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