Es gab schon bessere Wochen für die WerteUnion: Zunächst wurde der Ökonom und Fondsmanager Max Otte am 29. Mai zum Bundesvorsitzenden des CDU/CSU-nahen Vereins gekürt – ein rechtsoffener AfD-Fan, der selbst am rechten Rand der Union als umstritten gilt. Alleine diese Personalentscheidung hätte reichlich für kritische Schlagzeilen und innerparteiliche Distanzierungen gesorgt. Doch Ottes Nähe zum Rechtsradikalismus wurde von seinem neuen stellvertretenden Vorsitzenden Klaus Dageförde schnell überboten: Dageförde war mindestens bis 1990 ein militanter Neonazi. Seine rechtsextreme Vergangenheit belegen Dokumente, die Belltower.News vorliegen: Er soll Kameradschaftsführer in Bamberg gewesen sein, sich als „Gausekretär“ bezeichnet haben und wurde angeklagt, in einer verbotenen Neonazi-Organisation aktiv zu sein.
2017 wurde die WerteUnion gegründet, zunächst als „Freiheitlich-konservativer Aufbruch“. Der Verein ist vor allem als eine Reaktion auf die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel entstanden, deren Rücktritt Mitglieder immer wieder fordern. Eine anerkannte Vereinigung innerhalb der Partei ist die WerteUnion allerdings nicht, wie die CDU/CSU diese Woche nicht müde zu betonen wird: So behauptete Parteichef und Kanzlerkandidat Armin Laschet im Deutschlandfunk, die Werteunion hätte „mit der CDU 0,0 zu tun“.
Doch nach eigenen Angaben sind rund 80 Prozent der 4.000 Mitglieder in den Unions-Parteien: Nur Mitglieder der CDU/CSU oder der Jungen Union dürfen Vollmitglieder in der WerteUnion werden, Parteilose können lediglich Fördermitglied ohne Stimmrecht werden. Auch wenn die Mitgliederzahl der WerteUnion nicht mal ein Prozent der über 500.000 Mitglieder der CDU/CSU ausmacht, ist die ultrakonservative Gruppierung eine laute Stimme in innerparteilichen Machtkämpfen: Im Ringen um den Parteivorsitz machte sich die WerteUnion für Friedrich Merz stark. Und trotz mangelnder inoffizieller Anerkennung versteht sie sich durchaus als „rechtskonservatives“ Flügel und Teil der Union.
Zu den Feindbildern der WerteUnion gehören die Klimawissenschaft, Migration und die „vorherrschenden linken Ideologien“. Schon vor der Wahl Ottes zum Bundesvorsitzenden fiel die WerteUnion immer wieder AfD-nah auf, auch wenn der Verein offiziell eine Zusammenarbeit mit der rechtsradikalen Partei ablehnt: Alexander Mitsch, bis Mai 2021 Bundesvorsitzender der WerteUnion, hat zweimal an die AfD gespendet und habe mit einem Parteibeitritt geliebäugelt (siehe taz). Führende Mitglieder der WerteUnion, darunter der ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende Hinrich Rohbohm und das Ex-Bundesvorstandsmitglied Klaus-Dieter Kurt, waren früher Mitglieder der AfD (siehe Die ZEIT). Die höchst kontroverse Wahl des FDPlers Thomas Kemmerich im Februar 2020 zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD begrüßte die WerteUnion (siehe Spiegel). Schon damals forderten deshalb einige Parteifreund:innen wie der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz einen Unvereinbarkeitsbeschluss für WerteUnion-Mitglieder – vergeblich.
AfD-Fan und „Querdenken“-Freund
Mit der Wahl Max Ottes zum Chef der WerteUnion wurde aber offenbar eine neue Stufe der innerparteilichen Eskalation erreicht: Otte ist seit 1991 Mitglieder der CDU, hat aber gute Kontakte in die AfD. Von Juni 2018 bis Januar 2021 war er Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, hat selber angegeben, die AfD gewählt zu haben und hat das Vorwort zu einem Buch verfasst, das u.a. von Jörg Meuthen (AfD) herausgegeben wurde. In einem Interview mit der Wirtschaftswoche sagte Otte 2017, bis auf Björn Höcke sei die AfD nicht rechtsradikal. 2018 veranstaltete Otte das „Neue Hambacher Fest“, mit diversen Redner:innen aus der rechtspopulistischen Blase wie Meuthen, dem rassistischen Autoren Thilo Sarrazin und der neurechten Autorin Vera Lengsfeld.
Otte sorgt immer wieder für Kontroversen auf Social Media: Er teilt Tweets von Pandemieleugner:innen und Covid-Verharmloser:innen wie die Partei „Die Basis“ oder die Stuttgarter Gruppe „Querdenken 711“. Den Mord an den Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) relativierte und verharmloste Otte in einem Tweet 2019: „Lübcke – endlich hat der Mainstream eine neue NSU-Affäre und kann hetzen“, schrieb er. Der Täter, der Neonazi Stephan E., sei zudem ein „minderbemittelter Einzeltäter“ und Otte beklagte die „Hetze gegen die rechte Szene“ in den Medien. Damals forderte die WerteUnion unter Alexander Mitsch, Otte aus der CDU auszuschließen. Otte löschte den Tweet und entschuldigte sich. Ende Mai 2021 wurde Otte mit 115 von 223 möglichen Stimmen im ersten Wahlgang selber zum Chef der WerteUnion gewählt.
Wenige Tage später musste sich Otte wegen seiner Nähe zur AfD im Deutschlandfunk verteidigen: Er sei „felsenfest und bombenfest CDU-Mitglied“, betonte er. Auch seine Nähe zur „Querdenken“-Bewegung wurde in der Sendung thematisiert: Während der Covid-19-Pandemie ist Otte auf drei „Querdenken“-Demonstrationen als Redner aufgetreten, in Darmstadt, Stuttgart und Aachen, Michael Ballweg kenne er persönlich. Otte war bereits zu Gast bei „SchrangTV“, der Sendung des esoterischen Verschwörungsideologen Heiko Schrang (siehe Belltower.News). „Querdenken“ wird inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet – und daher wirft Otte der Sicherheitsbehörde vor, „politisch instrumentalisiert“ und nicht mehr „parteiisch“ zu sein. Der frühere Verfassungsschutzchef Maaßen sei zudem abgelöst worden, um den Weg für eine Beobachtung der AfD freizumachen. Eine Rechtsaußen-Rhetorik, die an Verschwörungsglauben grenzt. Auf eine Anfrage von Belltower.News reagierte Otte nicht.
Wegen solcher Vorfälle wollen sich einige CDU-Politiker:innen von Otte und der WerteUnion nun distanzieren. Generalsekretär Paul Ziemiak betonte, die WerteUnion sei nicht Teil der „Unionsfamilie“, es gebe keinen Gesprächsbedarf mit dem Verein. Peter Mair, CDU-Landespolitiker in Berlin, twitterte: „Die Werteunion hat einen Rechtsradikalen zum Vorsitzenden gewählt“. Tilman Kuban, Vorsitzende der Jungen Union, plädierte für eine Auflösung des Vereins: „Das hat mit der Union nichts zu tun“, schrieb er auf Twitter. Und der umstrittene Ex-Verfassungsschutzchef und Rechtsaußen-Bundestagskandidat der CDU Thüringen Hans-Georg Maaßen, bislang der Posterboy der WerteUnion, lässt seine Mitgliedschaft im Verein ruhen – auch wenn dies bloß eine wahltaktische Entscheidung sein dürfte. Eine Bitte um Stellungnahme von Belltower.News ließ die Presseabteilung der CDU unbeantwortet. Selbst die Landesvorstände der WerteUnion in Sachsen und Bayern wollen sich von ihrem neuen Bundesvorsitzenden distanzieren und sprechen von einer Radikalisierung des Bundesvorstands.
Kameradschaftsführer Dageförde
Nun sorgt die rechtsextreme Vergangenheit Ottes neuen Stellvertreter Klaus Dageförde ebenfalls für scharfe Kritik: Dageförde soll in den 1980er Jahren die verbotene Neonazi-Organisation „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) um die einstige Szenegröße Michael Kühnen in der „Bewegung“ weitergeführt haben. Das belegt eine Anklageschrift des Landgerichts Stuttgart aus dem Jahr 1990, die das antifaschistische Pressearchiv „apabiz“ archivierte und Belltower.News vorliegt. Insgesamt 21 Neonazis waren damals angeklagt: Der Prozess begann 1991, wurde aber jahrelang verschleppt und platzte 1994 nach 124 Verhandlungstagen.
Der Anklageschrift zufolge war Dageförde spätestens seit dem 20. September 1985 Mitglied in der Nachfolgeorganisation „Bewegung“ – zwei Jahre nach dem Verbot der ANS/NA. Rund 400 Neonazis gehörten damals zur ANS/NA, gegliedert in 30 Kameradschaften – damals die größte neofaschistische Organisation in der Bundesrepublik. Ziel der Gruppe war die Wiederzulassung der NSDAP zu Wahlen, ideologisch und strategisch diente die SA als Vorbild. Im Oktober 1986 soll Dageförde aus der „Bewegung“ aus nicht bekannten Gründen ausgeschlossen, danach aber wieder auf Probe aufgenommen worden sein. Er soll zudem ab Dezember 1985 „Kameradschaftsführer Bamberg“ gewesen sein und sich zum „Beauftragten für den Gau Bayern“ mit dem Titel „Gausekretärs“ hochgearbeitet haben.
Dageförde bestreitet, „Kameradschaftsführer“ in Bamberg gewesen zu sein. Aufgrund der zurückliegenden Zeit von über drei Jahrzehnten könne er allerdings nicht ausschließen, dass er „als Verantwortlicher für organisatorische Fragen in Bayern von der damaligen Szene betrachtet bzw. geführt wurde“, heißt es auf Anfrage von Belltower.News. Zu seiner politischen Ideologie und Rolle innerhalb der Szene damals will er nichts sagen, seine Erinnerungen seien verblasst. Der damals 20-Jährige sei zu dem Zeitpunkt ein „Heranwachsender und in einem noch nicht abgeschlossen Reifeprozess“, behauptet er. Durch „falsche Freunde“ sei er „im sogenannten nationalen Lager“ geraten. Seit 1990 will er sich von der rechtsextremen Szene „komplett distanziert“ haben. Die Frage, ob er an einem Aussteiger-Programm teilnahm, ließ er unbeantwortet.
Alles nur Jugendsünden?
Eine interne Erkenntnismeldung der Polizei Hannover aus dem Jahr 2001, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zugespielt wurde und Belltower.News vorliegt, stellt diese Behauptung allerdings in Zweifel: Auf einer Liste von Personen im Umfeld der rechtsextremen „Kameradschaft Hannover-Celle 77“ wird Dageförde als Kontaktperson und als Freund deren Kameradschaftsführers Jörg R. genannt. Die Auflistung schickte das niedersächsische Innenministerium 2012 an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, weil ein Neonazi in deren Umfeld auch Verbindungen zum NSU hatte. 2001 war Dageförde über 30 Jahre alt, von einer „Jugendsünde“ kann also keine Rede mehr sein.
Auch diesen Vorwurf bestreitet Dageförde gegenüber Belltower.News, in die Hannoveraner Neonazi-Szene will er zufällig geraten sein: „Leute aus Hannover haben mich damals scheinbar rein privat angesprochen und mir ihren politischen Hintergrund verschwiegen. Als ich realisiert habe, aus welchem Umfeld diese Leute stammten, habe ich alle Verbindungen abgebrochen und es ist keinerlei Kontakt entstanden.“
Seit 2004 ist Dageförde Mitglied der CDU, er ist zudem auch Vizevorsitzender des Vereins „Bürgerlich-Freiheitlicher Aufbruch“, der der CDU und FDP vorwirft, sich „lieber einem grassierenden, links-grünen Zeitgeist“ anzubiedern, „als solide, problemlösende Maßnahmen zu erarbeiten und für diese um politische Zustimmung zu werben.“ Dageförde will seine damaligen Fehler, die er als „Verirrung“ bezeichnet, wieder gut gemacht haben: Er arbeite haupt- wie ehrenamtlich im pädagogischen Bereich mit Menschen mit Migrationshintergrund, betont er. Dageförde teilte Belltower.News ebenfalls mit, dass er mit sofortiger Wirkung vom „bekannten Medienanwalt“ Ralf Höcker vertreten wird – ebenfalls ein umstrittenes Ex-WerteUnion-Mitglied, der die AfD gegen den Bundesverfassungsschutz vertritt und in dessen Kanzlei Hans-Georg Maaßen zwischen 2019 und 2021 arbeitete.
Ein Dammbruch
Die Wahl Ottes und Dagefördes sorgt in den Reihen der parlamentarischen Opposition für Unruhe: Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen, spricht von einem „Dammbruch“ und fordert umgehende Konsequenzen seitens der CDU wie ein Unvereinbarkeitsbeschluss für WerteUnion-Mitglieder: „Rechtsextreme Vergangenheiten und Verbindungen in die rechtsextreme Szene können nicht einfach weggewischt und als Jugendsünden abgetan werden“, sagte Mihalic Belltower.News. „Wenn bei CDU-nahen Organisationen nun rechtsextreme Akteure Raum finden, ist der vermeintliche Kampf gegen Rechtsextremismus der Unionsfraktion nicht länger glaubwürdig“, so Mihalic weiter.
Auch Martina Renner, stellvertretende Vorsitzende der Linken und Fraktionssprecherin für antifaschistische Politik, ist alarmiert: „Die Wahl Ottes und Dagefördes in Spitzenpositionen der Werteunion manifestiert ihr reales Bild als stramm rechte Organisation, die dem einzigen Zweck dient, die CDU weiter nach rechts zu rücken und auf parlamentarische Koalitionen und Absprachen mit der AfD vorzubereiten – so, wie es auf kommunaler Ebene an vielen Stellen bereits Realität ist“, sagt Renner gegenüber Belltower.News. Die Scharnierfunktion der WerteUnion bereite den ideologischen Boden für eine Zusammenarbeit mit der extrem rechten und konservativen Lager vor, so Renner. Dass der CDU-Chef Armin Laschet und seine Partei sich zum Fall so gut wie gar nicht äußern, findet Renner „beschämend“. Sie fordert neben einem Unvereinbarkeitsbeschluss bezüglich der WerteUnion auch ein Ausschlussverfahren gegen Otte und Dageförde.
In der Tat ist das laute Schweigen der Unionsführungsregie beängstigend. Und in der Zwischenzeit blockiert die CDU/CSU weiterhin das Demokratiefördergesetz, das Demokratieprojekte gegen Rechtsextremismus langfristig sichern soll (Belltower.News berichtete). So sind die jüngsten Entwicklungen nicht nur schlecht für die Union, sondern für Deutschland.