Rechtspopulist*innen sprechen gar nicht selten über sich als Teil von Europa. Sie möchten ein – ethnopluralistisch-rassistisch gemeintes – „Europa der Vaterländer“ oder gehen als „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) auf die Straße. Europa als Kulturraum ist also durchaus ein emotional positiv besetztes Thema – die Europäische Union allerdings können Rechtspopulist*innen aus ganz Europa nicht leiden. Der niederländische Partij van de Vrijheid (PV)-Vorsitzende Geert Wilders sagte etwa 2017 auf einem Kongress der EU-feindlichen, aber im EU-Parlament sitzenden Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF): „Brüssel ist eine existenzielle Gefahr für unsere Nationalstaaten.“. Frankreichs Marine Le Pen, Vorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (damals noch: Front National), stimmt bei: „Eine desaströse Organisation.“
Die EU, die auf der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)“ der 1950er Jahre fußt, will militärische Konflikte in Europa verhindern und durch den größeren Markt das Wirtschaftswachstum und damit den Wohlstand der Bürger*innen stärken. Eine europäische Öffentlichkeit und Identität soll entstehen – doch das trifft auf Gegenwehr von Nationalist*innen und Rechtspopulist*innen.
Denn die bevorzugen starke Nationalstaaten statt eines übergeordneten supranationalen politischen Systems, nach Möglichkeit ohne europäisch gedachte Kompromisse und erst recht ohne gemeinsam gedachte Verbindlichkeiten und Hilfen. Auf einen fruchtbaren Boden fielen solche Argumentationen beim Brexit-Referendum 2016.
Aktuell bilden 19 der 28 EU-Staaten eine Wirtschafts- und Währungsunion und haben als Währung den Euro. Es gibt Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber Drittstaaten. Die EU ist weltweit der zweitgrößte Wirtschaftsraum hinter den USA. Die Mitgliedsstaaten haben einen der höchsten Lebensstandards weltweit, wobei es jedoch auch innerhalb der EU deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern gibt. Im Jahr 2007 erlebte die EU eine Finanzkrise, ab 2015 stellten Fluchtbewegungen nach Europa eine Herausforderung dar – was kritische Stimmen gegen die EU aufkommen ließ, wobei unter dem Begriff des Europaskeptizismus sehr unterschiedliche politische Strömungen zusammengeworfen werden: Ordnungsliberale Gegner*innen des Euro oder Kritiker*innen der Bewältigung der Europäischen Staatsschuldenskrise meint dies genauso wie linke, nationalkonservative oder rechtsnationale Gruppierungen.
Zur Kritik an der EU gehören:
- Kritik an den supranationalen Institutionen der Union; manchmal wird stattdessen ein Staatenbund gewünscht, ohne gemeinsame Institutionen. Oft steckt dahinter Angst, eine politische Machtstellung zu verlieren (z.B. Großbritannien).
- Sorge um nationale Unabhängigkeit, die eigene Lebensart und Identität.
- Angst vor zu verschiedenen Werte-Systemen bei einer zu raschen Erweiterung der EU.
- Im Zuge der Fluchtbewegungen ab 2015 spielte die Argumentation eine Rolle, man habe die Kontrolle der eigenen Grenzen an die EU abgegeben.
- So heißt es etwa bei Brexit-Befürworter*innen „Take back control“ („Kontrolle wiedererlangen!“) bzw. „I want my country back“ („Ich will mein Land zurückhaben“).
- die Brüsseler EU-Bürokratie bremse die wirtschaftliche Dynamik der EU und sei daher besser durch eine reine Freihandelszone zu ersetzen.
- Furcht vor dem Ausverkauf nationaler Vermögensgüter (Osteuropäische EU-Länder)
- Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen (Westeuropäische EU-Länder) und Angst vor dem Abbau sozialer Standards (vor allem Skandinavien).
- viele auf EU-Ebene getroffene politische Regelungen wären, sinnvoller auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene aufgehoben – die EU verletzte das Subsidiaritätsprinzip.
- Kritik an Verschwendung von Geldern, an der Verteilung von Subventionen, Vorwürfe von Korruption.
Rechtspopulistische Europa-Feindlichkeit im EU-Parlament
In vergleichsweise schärfster Opposition zur europäischen Integration stand die von Rechtspopulist*innen gebildete EU-Parlaments-Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF), in der u.a. der französische Rassemblement National (bis 2018: Front National), die niederländische Partij voor de Vrijheid, die italienische Lega Nord und die Freiheitliche Partei Österreichs vertreten sind.
Ebenfalls zu den euroskeptischen Fraktionen gehören Europäische Konservative und Reformer (EKR) mit der britischen Konservativen Partei und der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) als größten Teilhabern. Bewahrung oder Stärkung der nationalen Souveränitätsrechte stehen hier programmatisch im Vordergrund.
Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) bildet eine weitere euroskeptische Fraktion, in der sich die britische UKIP sowie die italienischen Abgeordneten der Partei MoVimento 5 Stelle zusammenfinden. Die Haltung der EFDD-Fraktion zur europäischen Integration ist nicht eindeutig; die meisten ihrer Mitglieder lehnen jedoch die Mitgliedschaft ihrer jeweiligen Nationalstaaten in der Europäischen Union ab oder fordern deren Umwandlung in einen rein intergouvernementalen Staatenbund.
Rechtspopulist*innen arbeiten sich stark an der gemeinsamen Währung, am Euro, ab. Sie propagieren territoriale Grenzen als wirtschaftliche, politische und kulturelle Schutzfunktion und wollen gemeinsame Folgelasten der Einheitswährung und die Liberalisierung von Güter- und Arbeitsmärkten nicht mittragen. Von Rechtspopulist*innen wird die Kritik an der EU kulturalistisch und immigrationsfeindlich-rassistisch aufgeladen. Die eigene Nation wird also als einzigartig beschrieben und aufgewertet, indem andere abgewertet werden und als minderwertig beschrieben werden.
Deutscher Rechtspopulismus und EU-Feindlichkeit
Die rechtspopulistische AfD entstand in Deutschland als Anti-EU-Partei und als Anti-Euro-Partei. Dies ist inzwischen in der Kommunikation nicht mehr so entscheidend, wird aber zur Europawahl 2019 wieder wichtiger.
Heute klingen AfD-Positionen zu Euro und Europa etwa so:
- Austritt Deutschlands aus dem Euroraum
- Keine weiteren Haftungsrisiken für Schuldenländer
- Schluss mit der Nullzinspolitik der EZB zu Lasten von Rentnern und Sparern
- Keine Haftung deutscher Banken und Steuerzahler für marode europäische Banken
- Erhaltung des Bargelds und Rückholung der deutschen Goldreserven
Die Erzählung ist also: Deutschland allein zahlt für alles und wäre deshalb besser dran, wenn es die anderen – hier „Schuldenländer“ genannt – los wäre. Die Vorteile der EU-Mitgliedschaft Deutschlands werden verschwiegen – etwa, dass durch den gemeinsamen Wirtschaftsraum deutsche Firmen mehr Waren innerhalb Europas verkaufen können, weil die EU-Maßnahmen weniger entwickelte Volkswirtschaften zu wohlhabenderen gemacht hat. Und dass die Wirtschaftsmacht Europa größer ist als die USA und bedeutender als China.
Beim Europaparteitag der AfD im November 2018 in Magedeburg wird die AfD-Liste zur Europawahl 2019 zusammengestellt. Dort klingen Stimmen laut eines Berichts des Tagesspiegels so:
„Ich will, dass das zentralistische Monster EU zurückgebaut wird“, ruft ein Listenkandidat, ein anderer sagt, als ehemaliger DDR-Bürger wisse er, wie es sei, „von einer fernen Zentrale aus regiert zu werden. Früher war es Moskau, heute ist es Brüssel“. In den Reden der Bewerber ist die Rede von einer „EUdSSR“, immer wieder wird die EU also mit der Sowjetunion verglichen. Das passt ins Narrativ der Partei, deren Chef Alexander Gauland die Bundesrepublik gerne mit der DDR vergleicht.
Sie wollen sich trotzdem ins EU-Parlament wählen lassen, um die EU „von innen heraus zurückzubauen“. Der Gastgeber in Magdeburg, Landeschef Martin Reichardt, sieht die Wahl deshalb als „Volksabstimmung gegen den Euro-Superstaat“.
Im „Leitantrag“ der AfD zum Europawahl schreibt die „Bundesprogrammkommission“: „Die Vielfalt der nationalen Kulturen und Traditionen ist die Grundlage für die politische, ökonomische und soziale Stärke Europas. Wir lehnen ab, die EU zu einem Staat mit Gesetzgebungskompetenz und einer eigenen Regierung umzuwandeln, ebenso die Idee der ‚Vereinigten Staaten von Europa‘. Stattdessen tritt die AfD für ein Europa als Wirtschafts – und Interessengemeinschaft souveräner Staaten ein.“
Weiter heißt es dort, passend zum Konzept des Ethnopluralismus: Das „Prinzip der Volkssouveränität“ werde „ausgehölt“, ein „europäischer Superstaat“ statt Nationalstaaten sei zum Scheitern verurteilt: „Es ist eine Illusion, dass die nationalen Identitäten nach und nach durch eine europäische abgelöst werden könnten. Weder gibt es ein europäisches Staatsvolk, das für ein solches Vorhaben konstitutiv wäre, noch ist erkennbar, dass sich ein solches auf absehbare Zeit herausbildet. Kulturen, Sprachen und nationale Identitäten sind durch Jahrhunderte dauernde geschichtliche Entwicklungen entstanden.“ Die EU sei dagegen ein undemokratischer Klüngel mit „Regulierungswut“. Sollte die EU nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre zurückgebaut werden, empfiehlt die AfD den „Dexit“ – also den Austritt Deutschlands aus der EU.