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Rechtsrock „Es ist eine Art Schattenwirtschaft entstanden“

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Beim konspirativen „Rocktoberfest“ im Schweizer Kanton St. Gallen wurden die indizierten und strafrechtlich relevanten Tonträger der Rechtsrock-Band „Erschießungskommando“ zum Verkauf angeboten. (Quelle: antifa.ch)

Seit Jahren forscht Musikwissenschaftler Dr. Thorsten Hindrichs von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Musik der extremen Rechten. Kürzlich beteiligte er sich an der Studie „Finanzierungsmuster und Netzwerke gewaltorientierter rechtsextremer Akteur:innen in Deutschland“ des „Counter Extremism Project“ (CEP).

Belltower.News: Ist Rechtsrock ein Markt?
Dr. Thorsten Hindrichs:
Rechtsrock ist, daran besteht kein Zweifel, essentieller Bestandteil der extremen Rechten. Essentiell meint: Zwar ist die Rechtsrock-Szene lediglich ein Teil der extrem rechten Szene. Aber die Teilszene braucht die Gesamtszene – und die Gesamtszene braucht die Teilszene. Denn Rechtsrock ist nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein finanzielles und soziales Netz. Daher finde ich eine isolierte Betrachtung der Rechtsrock-Szene falsch. Sicher ist Rechtsrock aber auch ein Markt.

Ist Rechtsrock aber nur ein Business für die Szene?
Der Rechtsrock-Markt erfüllt aus meiner Sicht zwei zentrale Funktionen: Zum einen schafft und stabilisiert er Netzwerke, zum anderen setzt er Geld um. Die kurze Phase der Online-Konzerte, die zu Beginn der Corona-Pandemie zu beobachten war, hat gezeigt, wie wichtig der Faktor Geld ist. Es gab nichts zu verdienen, daher wurden die Konzerte rasch eingestellt.

Wer nimmt am Rechtsrock-Markt teil?
Es sind offensichtliche Protagonist:innen wie Bands und Multifunktionär:innen – also Personen, die zum Beispiel gleichzeitig Labelchef, Konzertveranstalter und Parteifunktionär sind. Die Musiker:innen teilen das Alleinstellungsmerkmal, dass sie nach eigenem Verständnis niemals „nur“ Musiker:innen sind. Vielmehr ist das Musikmachen ein Teil ihres politischen Aktivismus. So sind die Balladen des Neonazi-Liedermachers Frank Rennicke ein fester Bestandteil seines Aktivismus. Die untrennbare Verbindung zwischen Aktivismus und Musik ist in dieser Dichte in keiner anderen Musikszene zu beobachten. Trotzdem sind die Musiker:innen auch Teilnehmende am Rechtsrock-Markt. Die Multifunktionär:innen besitzen Labels und Vertriebe, suchen und pflegen deutsche wie internationale Kontakte, planen und veranstalten Konzerte. Sowohl für die Musiker:innen als auch für die Multifunktionär:innen gilt: Sie sind meist Männer und mit extrem rechten Netzwerken wie „Blood & Honour“ und der „Hammerskin Nation“ verwoben.

Wer gehört noch zur Szene dazu?
Neben den offensichtlichen Protagonist:innen gibt’s die „hidden musicians“, die verborgenen Musiker:innen. Das sind im Bereich der Tonträgerproduktion zum Beispiel die Grafiker:innen der Booklets und im Bereich der Musikveranstaltungen zum Beispiel die Techniker:innen oder die Essens- und Getränkeverkäufer:innen. Über das weite Feld der „hidden musicians“ ist wenig bekannt. Deshalb können wir kaum Aussagen über Umsätze und Gewinne im Rahmen von Tonträgerverkäufen und Konzertevents machen. Entsprechende Modellrechnungen sind daher selbstverständlich immer mit Vorsicht zu genießen.

Wie funktioniert der Rechtsrock-Markt?
Wir müssen zwei, miteinander verknüpfte Geschäftsfelder unterscheiden: Tonträger und Musikevents. Im Geschäftsfeld der Tonträger gibt es derzeit 38 relevante Unternehmen. An den meisten Firmen, die Tonträger produzieren, hängt ein Vertrieb. Heutzutage bieten nicht mehr Tonträger, sondern das Merchandising um die Tonträger die Möglichkeit, viel Geld zu generieren. Das ist durchaus eine Parallele zum Musikgeschäft des Mainstreams: Tonträger werden in 27 Versionen angeboten. Als CD oder Vinyl. Signiert, mit extra Songs, in einer Holz- oder Stahlbox, mit passendem Shirt und Schlüsselanhänger. Es wird deutlich: Die Zielgruppe sind keineswegs Jugendliche, sondern ältere Sammler:innen mit dem nötigen Geld. Das wird nicht zuletzt am Trend der vergangenen Jahre deutlich: Alte Platten werden neu veröffentlicht. Der Gedanke: Junge Neonazis, die in den 1990er-Jahren sozialisiert wurden und kein Geld hatten, um die neueste „Kraftschlag“-Platte zu kaufen, haben heute das Geld und kaufen das Album von damals – bestenfalls auf Vinyl. Man braucht keine neuen Songs und kann mit wenig Auswand Umsatz machen.

Gibt es Konkurrenz zwischen den Labels?
In gewisser Weise stehen die Produktionsfirmen zwar in einer Konkurrenz, aber es ist auffällig, dass alle Tonträger bei allen Vertrieben zu bekommen sind. Was Label A produziert, haben auch Label B und C im Angebot. Klar gibt es Ausnahmen. Aber teilweise sind Tonträger, die vom Label A produziert wurden, bei Label A ausverkauft, aber noch bei den Labels B und C verfügbar. Das wäre auf dem Musikmarkt des Mainstreams so schwer vorstellbar. Deshalb scheint der Rechtsrock-Markt im Vergleich zum Mainstream eher kooperativ zu funktionieren.

Und wie sieht’s im Geschäftsfeld der Musikevents aus?
Abseits des Online-Handels sind Konzerte wichtige Handelsknotenpunkte. An den Verkaufsständen der Vertriebe gibt es neben Tonträgern und dem üblichen Merchandising, das im Netz angeboten wird, auch ein spezielles T-Shirt mit dem Line-Up des Konzerts. Im Rahmen klandestin organisierter Konzerte kommen indizierte und strafrechtlich relevante Tonträger, die nicht im Online-Shop verkauft werden dürfen, hinzu. Gerade hinsichtlich strafrechtlicher Inhalte auf und neben der Bühne sind Konzerte im Ausland für deutsche Neonazis natürlich besonders attraktiv.

An Ihren Worten wird bereits deutlich: Rechtsrock ist ein Business. Aber wer profitiert?
Die extreme Rechte insgesamt profitiert. Wir müssen uns vor Augen führen, dass das Geld, das in der extremen Rechten umgesetzt wird, größtenteils in der extremen Rechten bleibt. Das ist ein Aspekt, der in der Öffentlichkeit häufig unterschätzt wird. Aus meiner Sicht ist eine Art Schattenwirtschaft entstanden. Es ist inzwischen ein beinahe geschlossener Wirtschaftskreislauf. Von Nazis für Nazis.

Von wie viel Geld sprechen wir hier? Wie viel Gewinn könnte ein großes Konzert erzielen?
Ich schätze, dass eine Person, die einen Liederabend oder ein Konzert der extremen Rechten besucht, rund 50 Euro pro Abend ausgibt. Eintrittsspende, Erwerb neuer Tonträger, Erwerb eines neuen Shirts, Essen und Getränke. Das ist in Anbetracht der vielen Posten eine vorsichtige Schätzung. Die 50 Euro sind, würde ich sagen, schnell erreicht. 2019, vor Beginn der Covid-19-Pandemie, haben nach Angaben der Sicherheitsbehörden etwa 35.000 Personen die extrem rechten Musikevents in der Bundesrepublik besucht. Das würde schon einen Umsatz von knapp zwei Millionen Euro bedeuten. Ich denke, die Schätzung zeigt ansatzweise, in welcher Größenordnung wir denken müssen.

Können Protagonist:innen der Rechtsrock-Szene von ihren Aktivitäten also leben?
Einzelne Multifunktionär:innen können wohl vom Business leben. Jedoch sind die Geschäftspraktiken vieler Funktionär:innen undurchsichtig. Das hat natürlich Gründe. Was die meisten Musiker:innen betrifft: Sie sind, im Gegensatz zur Musikbranche des Mainstreams, keine Profimusiker:innen. Das bedeutet, sie haben entweder (im weitesten Sinne) einen bürgerlichen Beruf – oder beziehen Sozialleistungen.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Rechtsrock und Immobilien?
Die grundsätzliche Frage lautet, was Neonazis mit den Geldern, die generiert werden, machen. Natürlich sichern Multifunktionär:innen durch die Geschäfte ihren Lebensunterhalt ab. Aber was geschieht über die Absicherung des Unterhalts hinaus? Vor ein paar Jahren räumte der Neonazi-Aktivist Axel Schlimper auf offener Bühne ein, dass der ökonomische Erfolg die einzige Chance sei, um eigene Strukturen aufzubauen. Das Aufbauen eigener Strukturen bedeutet in erster Linie, Immobilien zu pachten oder bestenfalls zu kaufen. Denn der Immobilienbesitz bringt einige Vorteile. Der private Besitz ist weitestgehend vor dem Zugriff von Ordnungs- und Sicherheitsbehörden geschützt. Das gilt für Konzerte, aber auch für Proberäume, Schulungen etc.

Was muss getan werden, um den Rechtsrock-Markt in die Schranken zu weisen?
Da die Rechtsrock-Szene essentiell zur extremen Rechten gehört und zum Funktionieren der extremen Rechten beiträgt, sind dahingehend vor allem Finanzbehörden gefragt – von der obersten bis zur untersten Ebene. Die Behörden müssen Geldflüsse und Geschäftsmodelle anschauen und, wo möglich, intervenieren. Die lokalen Ordnungs- und Sicherheitsbehörden sind gefordert, den stetigen Aufbau extrem rechter Strukturen in den Blick zu nehmen. Es braucht eine klare Kante und keinen gewohnheitsmäßigen Routinekontakt zwischen Neonazis und Ordnungsamt. Genaueres Hinsehen und konsequentere Repressionen würden der extremen Rechten in Deutschland ohne Zweifel enorm schaden.

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