In Mecklenburg-Vorpommern erzielte die NPD besonders dort hohe Wahlergebnisse, wo Parteifunktionäre seit Jahren lokal verankert sind. „Das Stammwählerpotential der NPD ist ungebrochen hoch in einigen ostdeutschen Regionen, wie beispielsweise im Wahlkreis Usedom-Stadt mit zwölf Prozent der Stimmen“, stellt Timo Frank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, fest.
Das neue Handbuch „Region in Aktion – Wie im ländlichen Raum demokratische Kultur gestaltet werden kann“ der Amadeu Antonio Stiftung zeigt, wie sich Menschen vor Ort gegen Nazis und für eine demokratische Alltagskultur einsetzen können. Der Band versammelt unter anderem Beiträge des Frankfurter Soziologen Sighard Neckel, der Opferberatung LOBBI und des Mitinitiators der 3ten Generation Ostdeutschland Johannes Staemmler. Anhand konkreter Beispiele werden Methoden vorgestellt, die auch in schwierigen sozialen Kontexten und infrastrukturschwachen Regionen anwendbar sind.
Wissenschaftliche Grundlage: Die Theorie der Schweigespirale …
Herausgestellt wird die Bedeutung von Kommunikation bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus im ländlichen Raum. Die Artikel zur wissenschaftlichen Betrachtung stellen die Theorie der Schweigespirale in Kontext mit der Lokalberichterstattung und der Sichtbarkeit zivilgesellschaftlicher Arbeit.
Laut dieser Theorie hängt die Bereitschaft vieler Menschen, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, in bestimmten Fällen von der wahrgenommenen Mehrheitsmeinung ab. Das führt dazu, dass vermeintliche Minderheitsmeinungen, wie ein Widerstand gegen Nazis oder andere nicht-rechte Positionen, dezent im öffentlichen Diskurs verschwinden können. Dabei haben die Massenmedien, vor allem das Fernsehen, aber auch die (Lokal-)Presse, einen erheblichen Einfluss auf die Rezipientinnen und Rezipienten und somit auf die öffentliche Meinung.
… und wie man sie durchbrechen kann
Johannes Staemmler plädiert deshalb in seinem Text dafür, den Menschen vor Ort positive Erfahrungen mit nicht-rechtem Gedankengut zu ermöglichen und diese sichtbar zu machen. Dabei liege die Chance lokaler Kommunikation in der Nähe der verschiedenen Akteure zueinander. Wichtig ist auch das Aufgreifen von Themen, die für die Menschen vor Ort von Bedeutung sind. So können Menschen ihre Mitsprachemöglichkeit erkennen, eine bunte und offene Gesellschaft wird ermöglicht.
Mehrere Artikel berichten von best pratice Ansätzen der Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft und Medienlandschaft. Michael Seidel, ehemaliger Chefredakteur des „Nordkuriers“, unterstreicht im Interview die Wichtigkeit der Lokalpresse, um die Schweigespirale zu durchbrechen. Bei den aktuellen Entwicklungen des Zeitungssterbens und der Rückentwicklung der Tageszeitungen würden besonders in struktur- und bevölkerungsschwachen Regionen Redaktionen personell gekürzt oder ganz geschlossen.
Die öffentliche Meinung wird nicht nur von Medien gestaltet. Dafür gibt Frank Meinke von der Serviceplangruppe Berlin Tipps und Tricks für die Öffentlichkeitsarbeit von Bürgerinitiativen. Er kennzeichnet die Kommunikation als zentrales Mittel für die erfolgreiche Arbeit der Initiativen und benennt als Basis aller erfolgreichen Kommunikation, Aufmerksamkeit zu generieren. Dabei schaffe Sprache Bewusstsein: „Die Nähe zur Lebenswelt der Menschen ist dabei besonders wichtig, inhaltlich wie kommunikativ“, erklärt Meinke. Sprache sollte ideologisch offen und auf Augenhöhe mit dem Zielpublikum gestaltet werden. Außerdem müsse sie positiv sein, da Menschen negative Medien meiden würden. Das lässt sich in kommunikationswissenschaftlichen Studien immer wieder nachweisen. Dabei kann es helfen, unterhaltsam zu kommunizieren. Dies müsse nicht im Widerspruch zur Ernsthaftigkeit des Anliegens stehen. Als best practice Beispiel nennt Meinke die Kampagne „Storch Heinar“, die durch Witz und Charme kommunikativen Erfolg generiere, ohne das Problem Nazikleidung ins Lächerliche zu ziehen.
In der Praxis: „held/in dorf“
Eine andere Form von Kommunikation findet sich in der Aktion: „Die Reise held/in dorf“. Katharina Husemann schreibt über die Kunst, mit Kunst zu bewegen. Um regionale Held/innen kennenzulernen, hat das Projekt „Region in Aktion“ eine außergewöhnliche Busreise mit anschließendem Festessen organisiert. Auf der Reise stellten lokale Vereine und Initiativen ihre Angebote vor und schufen vielfältige Begegnungen. Immer wieder hielten die Busse, damit die Reisenden Tanz und Theater auf Feldern und Plätzen erleben konnten. Dabei entstanden nachdenkliche, aber auch witzige Bilder: Vor dem Kulturhaus Kino Brüssow kehrte gerade eine Frau Pferdeäpfel von der Straße, während die Reisenden wenige Meter von ihr und mit Blick auf sie eine schauspielerische Annäherung an das Thema Kino-Helden verfolgten. Die Tour verband so Theater und die Vorstellung der Initiativen. Auf der Reise wurde die Herausforderung gemeistert, Kommunikation zwischen den weit verstreuten zivilgesellschaftlichen Initiativen herzustellen und sie den Menschen in der Region vorzustellen. Zusammen mit den schauspielerischen Darbietungen und einer Audio-Collage mit Interviews von Menschen aus der Region zum Thema Heldinnen und Helden entstand so ein Gesamtkunstwerk, das sich auch mit Heldenmythen und demokratischen Alltagshelden auseinandersetzte.
Am Abend fand die Aktion mit einem Erntedankfest der besonderen Art ihren Abschluss. Kunstschaffende aus Stuttgart waren über die Dörfer gefahren, hatten Gärtnerinnen und Gärtner kennengelernt und aus ihrem Gemüse zwei Töpfe voller Suppe für 200 Gäste gekocht. Viele Gärtnerinnen und Gärtner kamen auch selbst zum Abendessen, einige waren schon auf der Busfahrt dabei. Über die Reise erschien vor kurzem auch die neue Broschüre „Eine Reise durch Vorpommern“.
Fazit:
Insgesamt bietet das Buch einen umfassenden Überblick über das Projekt „Region in Aktion“. Ausgehend von der wissenschaftlichen Perspektive schaffen es die Autorinnen und Autoren, Theorie und Praxis zu verbinden, um so eine Sammlung mit best practice Ansätzen zu schaffen. Das Buch zeigt, wie vielfältig die Arbeit im ländlichen Raum sein kann und wie effektiv es ist, sich auf die Partnerschaften und Menschen vor Ort einzulassen. Die Beispiele machen Lust, sofort mit eigenen Initiativen aktiv zu werden.
Mehr Informationen
Region in Aktion – Wie im ländlichen Raum demokratische Kultur gestaltet werden kann (laendlicher-raum.info)
Bisher in der Reihe zum Thema „Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ erschienen:
„Der Kampf gegen Nazis kann nicht warten!“„Wir waren die Nestbeschmutzer“: Anti-Nazi-Arbeit in Limbach-OberfrohnaRaus auf’s Land! Arbeit gegen Rechts in der Peripherie„Wir müssen auf die Volksfeste!“: Strategien für die Arbeit gegen Rechtsextremismus im ländlichen Raum