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Replik auf die Kritik zu „Wildes Berlin“

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Im BKA-Theater (Außenansicht) sind verschiedene Künstler_innen und Gruppen zu Gast. "Wildes Berlin" ist eine Eigenproduktion in Kooperation mit dem "Theater Mogul", basierend auf dem gleichnamigen Roman von Robert Löhr & Christoph Rode. (Quelle: Flickr.com / Creative Commons CC by-SA 2.0 / Michael Coghlan)

 

Das BKA-Theater ist seit nunmehr 30 Jahren ein Leuchtturm der Berliner Off-Kultur – und wegen  des  hohen  Anteils  an  LGBT-Künstlern  oft  genug  Zielscheibe  von  diskriminierenden Anfeindungen.  Die  jüngste  Eigenproduktion  Wildes  Berlin  ist  ein  Musical  über  echte  und zugezogene Berliner Wildtiere, die sich gegen die alltägliche Ausgrenzung zur Wehr setzen und die verhindern müssen, dass alle Tiere einer Säuberung zum Opfer fallen.

Dementsprechend hat es uns kalt erwischt, auf einer so angesehen und aufrichtigen Seite wie Belltower.news des Rassismus bezichtigt zu werden. Shlomit Tulgan war Gast der Show – und hat sich darüber so sehr geärgert, dass ihre Wut für zwei Tiraden ausreichte: eine vor Ort,  gegen  den  Betreiber  des  Theaters  und  alle  anwesenden  Gäste  gerichtet,  und  eine weitere  im  Netz,  unter  der  Überschrift  „Wildes  Berlin?  Weißes  Berlin.“  Wir  fühlen  uns  zu Unrecht gebrandmarkt und möchten kurz Stellung beziehen.

Hier soll es mal nicht um den Umgangston und die -art der Autorin gehen, die sich damit brüstet, das Publikum als „…-Pack“ (Dreckspack? Nazipack?)  beschimpft zu haben. Die die Fassung verliert, weil der Theaterleiter sich in der Pause nicht auf eine Diskussion  mit ihr einlassen kann, da er Getränke für 200 Gäste zapfen muss. (Nach der Show wäre vielleicht ein passenderer Zeitpunkt für ein Gespräch gewesen.)

Auch,  dass  man  sein  Geld  nicht  zurückfordert,  wenn  man  mit  einem  Theaterstück unzufrieden  ist,  sollte  Shlomit  Tulgan  als  Theaterleiterin  eigentlich  wissen.  Eine  seltsame Auffassung von Kunst, dass man den Kaufpreis eines Theatertickets, eines Films oder Buchs erstattet bekommt, wenn man dessen Aussage nicht teilt!

Nein, erwähnenswert sind insbesondere zwei Aspekte: Dass Shlomit Tulgan es okay findet, dass man sich über schwäbische Biber lustig macht, dass Witze über türkische Tauben aber der pure Rassismus sind.  Oder,  in  ihren  Worten:  „Wenn  sich  eine  Türkin  über  Türkinnen lustig macht, ist es das eine“ – das heißt im Umkehrschluss, dass jeglicher Humor außerhalb der ethnischen Gruppe Rassismus ist? Ist das tatsächlich ihr Ernst? Wie arm wäre es denn um  die  deutsche  Theaterlandschaft  und  vor  allem  um  den  öffentlichen  Diskurs  bestellt, wenn wir nur noch Aussagen über unseresgleichen treffen dürfen? Soll / darf ich als weißer deutscher  Mann  nur  noch  Komödien  über  weiße  deutsche  Männer  schreiben,  weil  alles andere Diskriminierung wäre?

Außerdem  findet  die  Autorin  scheinbar  nichts  dabei,  die  anderen  Theatergäste  –  deren Schuld allein schon darin besteht, „ausschließlich weiß-deutsch, bürgerlich gekleidet, und 45 aufwärts“ und zweifellos Touristen zu sein – nicht nur zu beschimpfen (im Theater), sondern auch  ihrerseits  (im  Text)  zu  diskriminieren.  Freimütig  bedient  sie,  die  die  Stereotypen  zu bekämpfen vorgibt, sich dabei  der gängigsten Vorurteile: Von „frisierten alten Damen mit Sekt“ und „Herren in fescher Lederweste und Bierchen“ ist die Rede, die natürlich Angst vor einem „Terroranschlag“ haben, wenn eine Nicht-weiße Deutsche laut wird, und die hernach „beim heimischen  Stammtisch  etwas  zu erzählen  haben“. Denn diese biodeutschen  Gäste sind natürlich allesamt, na klar: „Schweine.“

Zu bedauern ist aber vor allem, dass Shlomit Tulgan schon nach der Pause gegangen ist. So hat sie in der zweiten Hälfte z.B. Ülkers Klagelied über den Rassismus der deutschen Tauben verpasst,  Ülkers  Kampf  gegen  den  rassistischen  deutschen  Schäferhund  und  natürlich  die multikulturelle Endaussage des Stückes. Wir kämpfen nämlich gegen die gleichen Tendenzen – aber ja, zugegeben, unsere Taube trägt ein Kopftuch.

Wir würden die Autorin daher bitten, sich bei nächster Gelegenheit zumindest beide Hälften anzuschauen, bevor sie ein Urteil über das ganze Stück fällt. Und – falls sie tatsächlich an Auseinandersetzung statt an selbstgerechter Attacke interessiert ist – als erstes den Dialog mit  den  wirklich  Verantwortlichen  zu  suchen:  mit  den  Autoren  der  Show.  Und  nicht  mit jemandem, der gerade Bier zapfen muss. 

 

Dieser Meinungstext ist Teil eine Debatte und eine Replik des Autors Robert Löhr auf die Kritik „Wildes Berlin? Weißes Berlin“ von Shlomit Tulgan, die Sie hier lesen können 

Diese Foto wurde und wird unter der Lizenz CC by-SA 2.0 veröffentlicht.

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