Das BKA-Theater ist seit nunmehr 30 Jahren ein Leuchtturm der Berliner Off-Kultur – und wegen des hohen Anteils an LGBT-Künstlern oft genug Zielscheibe von diskriminierenden Anfeindungen. Die jüngste Eigenproduktion Wildes Berlin ist ein Musical über echte und zugezogene Berliner Wildtiere, die sich gegen die alltägliche Ausgrenzung zur Wehr setzen und die verhindern müssen, dass alle Tiere einer Säuberung zum Opfer fallen.
Dementsprechend hat es uns kalt erwischt, auf einer so angesehen und aufrichtigen Seite wie Belltower.news des Rassismus bezichtigt zu werden. Shlomit Tulgan war Gast der Show – und hat sich darüber so sehr geärgert, dass ihre Wut für zwei Tiraden ausreichte: eine vor Ort, gegen den Betreiber des Theaters und alle anwesenden Gäste gerichtet, und eine weitere im Netz, unter der Überschrift „Wildes Berlin? Weißes Berlin.“ Wir fühlen uns zu Unrecht gebrandmarkt und möchten kurz Stellung beziehen.
Hier soll es mal nicht um den Umgangston und die -art der Autorin gehen, die sich damit brüstet, das Publikum als „…-Pack“ (Dreckspack? Nazipack?) beschimpft zu haben. Die die Fassung verliert, weil der Theaterleiter sich in der Pause nicht auf eine Diskussion mit ihr einlassen kann, da er Getränke für 200 Gäste zapfen muss. (Nach der Show wäre vielleicht ein passenderer Zeitpunkt für ein Gespräch gewesen.)
Auch, dass man sein Geld nicht zurückfordert, wenn man mit einem Theaterstück unzufrieden ist, sollte Shlomit Tulgan als Theaterleiterin eigentlich wissen. Eine seltsame Auffassung von Kunst, dass man den Kaufpreis eines Theatertickets, eines Films oder Buchs erstattet bekommt, wenn man dessen Aussage nicht teilt!
Nein, erwähnenswert sind insbesondere zwei Aspekte: Dass Shlomit Tulgan es okay findet, dass man sich über schwäbische Biber lustig macht, dass Witze über türkische Tauben aber der pure Rassismus sind. Oder, in ihren Worten: „Wenn sich eine Türkin über Türkinnen lustig macht, ist es das eine“ – das heißt im Umkehrschluss, dass jeglicher Humor außerhalb der ethnischen Gruppe Rassismus ist? Ist das tatsächlich ihr Ernst? Wie arm wäre es denn um die deutsche Theaterlandschaft und vor allem um den öffentlichen Diskurs bestellt, wenn wir nur noch Aussagen über unseresgleichen treffen dürfen? Soll / darf ich als weißer deutscher Mann nur noch Komödien über weiße deutsche Männer schreiben, weil alles andere Diskriminierung wäre?
Außerdem findet die Autorin scheinbar nichts dabei, die anderen Theatergäste – deren Schuld allein schon darin besteht, „ausschließlich weiß-deutsch, bürgerlich gekleidet, und 45 aufwärts“ und zweifellos Touristen zu sein – nicht nur zu beschimpfen (im Theater), sondern auch ihrerseits (im Text) zu diskriminieren. Freimütig bedient sie, die die Stereotypen zu bekämpfen vorgibt, sich dabei der gängigsten Vorurteile: Von „frisierten alten Damen mit Sekt“ und „Herren in fescher Lederweste und Bierchen“ ist die Rede, die natürlich Angst vor einem „Terroranschlag“ haben, wenn eine Nicht-weiße Deutsche laut wird, und die hernach „beim heimischen Stammtisch etwas zu erzählen haben“. Denn diese biodeutschen Gäste sind natürlich allesamt, na klar: „Schweine.“
Zu bedauern ist aber vor allem, dass Shlomit Tulgan schon nach der Pause gegangen ist. So hat sie in der zweiten Hälfte z.B. Ülkers Klagelied über den Rassismus der deutschen Tauben verpasst, Ülkers Kampf gegen den rassistischen deutschen Schäferhund und natürlich die multikulturelle Endaussage des Stückes. Wir kämpfen nämlich gegen die gleichen Tendenzen – aber ja, zugegeben, unsere Taube trägt ein Kopftuch.
Wir würden die Autorin daher bitten, sich bei nächster Gelegenheit zumindest beide Hälften anzuschauen, bevor sie ein Urteil über das ganze Stück fällt. Und – falls sie tatsächlich an Auseinandersetzung statt an selbstgerechter Attacke interessiert ist – als erstes den Dialog mit den wirklich Verantwortlichen zu suchen: mit den Autoren der Show. Und nicht mit jemandem, der gerade Bier zapfen muss.
Dieser Meinungstext ist Teil eine Debatte und eine Replik des Autors Robert Löhr auf die Kritik „Wildes Berlin? Weißes Berlin“ von Shlomit Tulgan, die Sie hier lesen können.
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