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re;publica 2019 Alt-Right im Trollhaus

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Sigi Mauers hervorragender Talk über Sexismus in Netz und Gesellschaft hieß "It's patriarchy, stupid". (Quelle: BTN/SR)

Die re:publica – eine Mischung aus Konferenz und Festival der digitalen Gesellschaft aus Deutschland und der Welt in Berlin – ist eine überwältigende Veranstaltung mit unzähligen Vorträgen, Workshops und Diskussionen. Belltower.News hat am ersten Tag die besucht, die sich mit „unseren“ Themen auseinandergesetzt haben: Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Diskriminerungen und Engagement. Was wir gelernt haben an Tag 1 der #rp19:

Im Panel „Heimat my ass …Migration is us“ diskutierten Ferda Ataman (Neue deutsche Medienmacher, Spiegel-Kolumnistin), Naika Foroutan (Wissenschaftlerin) und Daniel Schulz (taz-Redakteur) den Zustand der Heimat-Debatte und von Identitätspolitiken für Gruppen: Wer gehört dazu, wer wird ausgeschlossen, „ver-andert“ (schöne Wortschöpfung von Naika Foroutan), migrantisiert oder muslimisiert (Punkt von Ferda Ataman: Es sind ja oft nur Zuschreibungen)? Wer sind denn diese „richtigen“ Deutschen, die Rechtsextreme mit Waffengewalt verteidigen wollen (Daniel Schulz hat für die taz die „Hannibal“-Recherchen gemacht zu den rechtsextremen Prepper-Bundeswehrsoldaten), wenn Menschen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund nicht dazugehören und Ostdeutsche auch nicht als „richtige“ Deutsche angesehen werden („Haben die Demokratie noch nicht verstanden, wenn die AfD wählen…“).

Was wir gelernt haben: Diskriminierung ist vielfältig, deshalb helfen nicht Identitätspolitiken, sondern Antidiskriminierungspolitik und Gleichstellungspolitik. Die helfen nämlich allen.

 

Die österreichische Online-Rechtsextremismus-Expertin Ingrid Brodnig sprach über „Humor in digitalen politischen Debatten“. Der, stellt sie fest, hilft etwa zu verarbeiten, was wir sonst kaum ertragen könnten (Rechtruck, Sexismus etc.). Aber: Er kann zwar trösten, aber er kann natürlich auch verletzen. Wenn er nicht nach oben, gegen die Machtvollen, austeilt, sondern nach unten keilt, sexistisch, rassistisch, herabwürdigend wird. Brodnig plädiert deshalb dafür, sich für Humor einzusetzen: „Wir dürfen das Witzemachen nicht den Rassisten und Sexisten überlassen!“ Netzhumor, das sind dann oft Memes, bereichern inzwischen die politische Debatte bis zu Demonstrationen, weil sie ein kollektiver Humor sind, der aus Bestehendem und Zitierbarem Neues schaffen, indem Überraschendes zusammengebracht wird („Cognitive shift“). „Bessere Witze gewinnen keine Abstimmungen, aber sie machen die politische Debatte lebhafter, reizen Menschen, die darüber lachen können, zu engagement“, sagt Brodnig. Eine Schattenseite hat das auch: Rassistische und sexistische Witze haben entsprechend ebenfalls eine enthemmende und normverschiebende Wirkung – auf Rassist*innen und Sexist*innen, die sich dann ermutigt fühlen, rassistisch und sexistich zu handeln, wie Studien aus den USA zeigen. Deshalb, findet Brodnig, sollte Satire verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, denn „Satire kann sich aussuchen, wen sie zur Pointe macht“. Und Konsument*innen auch: Wobei lachen wir mit? Zum Schluss gibt es sein ermutigendes Zitat des Holocaustüberlebenden Viktor E. Frankl: „Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung.“

 

Im Panel „The Kids are Alt-Right. Wie die Neue Rechte Influencer erschafft und nutzt“ sprachen die Journalisten Patrick Stegemann und Sören Musyal über IB-Hipster auf Instagram und YouTube, die versuchen, sich selbst zu Pophänomen zu stilisieren, um damit ihre rechtsextremen Inhalte zu verbreiten. Dabei kopieren sie beliebte Internetformate wie Kochshows, Popsongs und Games, und gießen ein bisschen Rassismus ein („Ich mag keine Kartoffeln, die kleben und kommen aus dem Ausland.“), bieten viele Formate, damit für jeden etwas dabei ist und versuchen, eine geschlossene, auf sich verweisende Kultur zu schaffen, warum stets ein Rechtsextremer im Video eines nächsten erscheint, dabei das T-Shirt einer rechtsextremen Bekleidungsmarke trägt und im Hintergrund rechtsextreme Musik laufen lässt, immer Links in Bio. Wenn das alles nichts oder nicht genug nützt, suchen sie Anschluss an andere Hass-Szenen oder machen Ärger, um in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einzudringen. Das, stellt Sören Musyal fest, „ist quasi Influencer-Handwerk, aber hier als politische Strategie verstanden zur Stimmungmache im kulturellen Raum.“ Es gehe nicht ums Überzeugen in Debatten, sondern um eine andere Sprache. Die Referenten konstatieren: „Wir sehen hier die Mediatisierung politischen Handelns –was nicht in den Medien ist, ist nicht. Die Plattformen sind für sie Waffen, Instrumente im Infokrieg.“

 

Wie Populisten uns auf Social Media vor sich hertreiben – und was wir dagegen tun können„, darüber macht sich Netzaktivistin und Spiegel-Online-Socialmedia-Redakteurin Eva Horn Gedanken. Sie findet: Die Medien hecheln oft rechtspopulistischen Provokationen und Nicht-Nachrichten hinterher, und geben dabei Rassismus und Sexismus eine Bühne – dabei könnten sie doch auch schlauer berichten. Sie hat auch Ideen mitgebracht, wie das geht, welcher Spin der Geschichte mehr Sinn macht als andere: Nicht den Hass nacherzählen (auch wenn das Klicks bringt), den journalistischen Status als vierte Gewalt im Staat ernstnehmen und nach vorne denken und frage, statt Bilder zu reproduzieren. Überlegen, ob man Inszenierungen auf den Leim geht: Die Nazis in Plauen haben wohl kaum Pyrotechnik und Uniformen mitgebracht, um 1.000 Plauener*innen zu beeindrucken – sie wollten in die Presse. Nicht von Online-Debatten treiben lassen: Nur weil viele ein Thema im Internet kommentieren, ist das noch nicht zwingend eine gesellschaftliche Debatte, das können auch Bots oder Fake-Accounts sein, die eine Kampagne umsetzen. Redaktionen sollten in Diversity investieren – dann bekommen sie auch andere Blickwinkel als die von mittelalten weißen Redakteur*innen. Geschichten der Vielfalt erzählen, als immer nur auf den Hass zu schauen.

Auch an die Netzgemeinschaft appelliert sie: Nicht diskriminierende Postings teilen und ihnen Reichweite geben – wenn man darüber schreiben möchte, lieber mit Screenshots, und mit Kontext. Und: „Stop making stupid people famous! Teilt nicht die Postings von Idioten. Lasst es einfach“, sagt Horn richtig, denn im Internet haben alle Verantwortung und auch kleine Accounts könnten große Wirkung erzielen. „Und werdet endlich kritikfähig, vor allem wenn euch Menschen kritisieren, die von Diskrimineriung betroffen sind. Entschuldigt Euch für Fehler. Und lernt den Unterschied zwischen Kritik und Beleidigung.“ Word.

Bei der Debatte „Aufräumen im Trollhaus: Hetze und Gegenrede in Kommentarbereichen“ stellte Sozialwissenschaftler Marc Ziegele zwei interessante Studien zur Wirkungsmacht von Moderation und Gegenrede bei Hasskommentaren vor. Kann Community Management helfen, den Traum von Internet als Ort der respektvollen, rationalen und konstruktiven Diskussion wahr werden zu lassen? Während wir real doch eher einen „Krieg der Meinungen“ und problematische Kommunikation sehen? Ziegeles Analyse des Ist-Zutandes ist deprimierend: Die untersuchten Online-Kommentare enthielten zu 36 % Beleidigungen, zu 35 % Whataboutism, der provozieren und vom Thema ablenken soll, und zu 15 % gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Abwertungen und Diskriminierungen. Aber: Moderation hilft. Und zwar alle Stile: konfrontativ-sarkastische, diskursive, die nach Argumenten fragt, erziehende, die tadelt und auf die Netiquette verweist und auch vergemeinschaftende, die Gemeinsamkeiten betont und mit Anerkennung arbeitet. Aber: Keine davon ist die perfekte Lösung für respektvolle und zugleich lebhaft-diskursive Online-Debatten. Die Stile fördern entweder eine respektvolle, aber weniger lebhafte Diskussion – oder die Diskussion bleibt lebhaft, ist dann aber auch schnell wieder nicht mehr respektvoll. Eine zweite Studie hat die Wirksamkeit von Gegenrede der Gruppe #ichbinhier untersucht, die sich für bessere Debatten im Internet einsetzt. Hier ist das ermutigende Ergebnis: Ja, respektvolle, sachliche Kommentare haben einen großen Effekt auf die Stimmung und Tonalität der Diskussion. Und sie ermutigen andere, die noch schweigen, sich auch zu beteiligen. In der folgenden Debatte bestätigten Gregor Mayer aus der Social Media-Redaktion von Phoenix und Sonja Boddin von #ichbinhier die Ergebnisse aus der Praxis. ZDF-Journalisten Nicole Diekmann erlebte Anfang des Jahres einen massiven Shitstorm, weil wie „Nazis raus“ twitterte, und auf Nachfrage, was denn ein Nazi sei, antwortete: „Jeder, der nicht die Grünen wählt.“ „Ein Zwinkersmiley hätte da echt nicht geschadet, aber den habe ich vergessen“, sagt sie, aber auf Netzangriffe antwortet sie, aus Prinzip: „Ich werde seit Jahren angegriffen, als Krisenreporterin, als Frau, als Vertreterin der Öffentlich-rechtlichen Medien. Ich kann das nicht ignorieren, so stehen lassen. Ich greife mir einen Angriff heraus, antworte ironisch. Meine Timeline mag das. Der Betroffene blockt mich in der Regel, das ist mir ja recht. Ich will solche Postings nicht links – oder rechts – liegen lassen, ich will mir das nicht bieten lassen, ich will zeigen, das ist nicht der Umgangston. Danach fühle ich mich besser.“ Diesmal allerdings gab es einen tagelangen Shitstorm – der aber auch zu viel Solidarität und Unterstützung führte: „Das hat gut getan“.

Die Studien gibt es hier: https://diid.hhu.de/wp-content/uploads/2019/04/DIID-Precis_Ziegele_V3.pdf

 

Von einer Hass-Erfahrung im Netz erzählt auch die österreichische Politikerin Sigi Maurer. Sie wird vom Facebook-Account des Besitzers einer Craft-Beer-Bude sexistisch per persönlicher Nachricht sexualisiert beschimpft, an der sie täglich vorbeiläuft. Diese räumliche Nähe machte den Angriff für sie bedrohlich und besonders verletzend. Sie wehrt sich, indem sie den Vorgang öffentlich macht – und wird dafür vom Besitzers des Accounts verklagt, der die sexistische Nachricht verschickte. Nach einer scheinbar erfolgreich verlaufenden Gerichtsverhandlung mit vielen Indizienbeweisen wird dann aber doch Sigi Maurer verklagt – auf Schmerzensgeld für den Craft-Beer-Wirt. Sigi Maurer erzählt diese kaum glaubliche Erfahrung so großartig mit einem positiven Humor, der aus einer sexistischen Abwertung eine Geschichte von Empowerment, Kreativität und Zusammenhalt macht, dass ich nur empfehlen kann, sich das Video anzusehen, es lohnt sich!

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Der Gerichtsentscheid ist inzwischen zurückgenommen, der Prozess beginnt im Herbst von vorn. Doch Sigi Maurer hat auch wünsche an die Menschen im Saal: „Unterstützt nicht nur mich mit einem Like oder einer Spende-  das ist leicht. Reflektiert, wo ihr selbst sexistische und patriarchale Strukturen unterstützt und verbreitet. Und lasst es.“ Dazu gehören für sie auch die Männer, die als „Unterstützung“ ihren Körper ebenfalls bewerten, nur anders als der Hass-Poster („Dein Hintern ist doch gar nicht fett.“) oder ausfallend werden, wenn Maurer nicht mit ihnen Kaffee trinken gehen will („Ich hab gespendet! Dann will ich jetzt mein Geld zurück!“). Trotzdem ist ihre Bilanz positiv: „Sexistische Angriffe sollen Frauen stillmachen, sie sollen sich zurückziehen. Ich lass mich nicht still machen, nicht lass mich nicht verdrängen. Wir müssen diese Diskussion führen, bis wir eine gesetzliche Handhabe gegen diese Dinge haben, denn das ist völlig inakzeptabel.“ Die Debatte trägt zur Bewusstseinsbildung bei: „Ich freue mich immer, wenn mir gerade Männer auch sagen: Jetzt verstehe ich endlich, was passiert. Diskriminierung öffentlich machen ist wichtig.“

 

Besuchen Sie uns auf der re:publica 2019! Am Stand der Amadeu Antonio Stiftung in Halle 3. Unser Standprogramm finden Sie hier:

 

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anettam

Kommentar Liebe MUT-Leser*innen!

Eigentlich ist an dieser Stelle eine Bilanz fällig. Doch welche Bilanz sollte man sich bei unserem Thema wünschen? Die Antwort…

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