
Im Rahmen der laufenden Koalitionsverhandlungen wird über eine mögliche Verlagerung des Bundesprogramms Demokratie leben! vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) ins Bundesinnenministerium (BMI) diskutiert. In der Arbeitsgruppe Inneres scheint es Überlegungen zu geben, das Programm dort anzusiedeln. Doch diese Entscheidung sollte gut überdacht werden – nicht nur aus organisatorischen Gründen, sondern wegen ihrer weitreichenden Folgen für die Demokratieförderung insgesamt.
Unterschiedliche programmatische Ausrichtungen
Demokratie leben! ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Instrument der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements, zur Stärkung demokratischer Kultur und zur Prävention von Menschenfeindlichkeit geworden. Das Programm richtet sich an lokale Bündnisse, Jugendinitiativen, Bildungs- und Beteiligungsprojekte. Zusammen mit dem Patenschaftsprogramm Menschen stärken Menschen und mit einer starken zivilgesellschaftlichen Ausrichtung passt es gut in den Kontext des Familienministeriums, das auf gesellschaftlichen Zusammenhalt, Gleichstellung und soziale Teilhabe fokussiert ist.
Im Bundesinnenministerium hingegen gibt es bereits etablierte Programme wie Zusammenhalt durch Teilhabe für strukturschwache Regionen, das insbesondere Verbände, Sport- und Wohlfahrtsorganisationen stärkt. Außerdem ist das neue Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport im Innenminsterium angesiedelt, das gezielt Projekte im organisierten Sport, der Sportwissenschaft und Fanarbeit fördert. Hinzu kommt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), ebenfalls Teil des Ressorts.
Diese Programme leisten einen wichtigen Beitrag zur Demokratieförderung – jedoch mit einer anderen Schwerpunktsetzung, die stärker auf Sport, Verbände und sicherheitspolitische Schnittstellen ausgerichtet ist.
Zielgruppen, Vertrauen und Zugänge
Ein häufig unterschätzter Aspekt ist die Frage, wie gut ein Ministerium mit den Zielgruppen eines Programms verbunden ist. Viele Träger von Demokratie leben!, gerade aus der Kinder- und Jugendhilfe, aus der queeren Community oder aus migrantischen Organisationen, berichten von gewachsenen Beziehungen zum BMFSFJ – und von Skepsis gegenüber dem BMI. Letzteres liegt nicht nur an der inhaltlichen Ausrichtung, sondern auch an Erfahrungen mit sicherheitsbehördlichen Strukturen, fehlender Sensibilität oder mangelnder Fachlichkeit bei Themen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Das Familienministerium ist in diesem Bereich glaubwürdiger positioniert, weil es über seine Fachpolitiken ohnehin im Austausch mit Betroffenen von Diskriminierung, Rassismus oder Antisemitismus steht. Diese Nähe ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, gerade in Programmen, die nicht nur verwalten, sondern vertrauensvolle Zusammenarbeit ermöglichen sollen.
Was ein Wechsel bewirken würde
Eine Verlagerung von Demokratie leben! ins BMI könnte – trotz guter Absichten – falsche Signale senden. Sie könnte den Eindruck erwecken, Demokratieförderung sei in erster Linie eine sicherheitspolitische Aufgabe – und nicht Teil einer umfassenden Infrastruktur für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Risiko wäre, dass aus einem Programm der Stärkung und Beteiligung ein Programm der Beobachtung und Regulierung wird. Das würde nicht nur zivilgesellschaftliche Akteure verunsichern, sondern auch das Grundverständnis von Demokratieförderung verändern.
Die größere Perspektive: ressortübergreifendes Denken
Gleichzeitig bietet die Diskussion auch eine Chance: Die Stärkung der Demokratie muss als Querschnittsaufgabe aller Ressorts verstanden werden. Statt zentrale Verantwortung in einem Ministerium zu bündeln, sollte der Fokus auf abgestimmte Strategien, tragfähige Schnittstellen und koordinierte Förderung liegen. Die schon bestehenden Bundesstrategien zur Demokratieförderung haben viel Optimierungspotential und müssten endlich mit Leben gefüllt werden. Eine Umressortierung würde die Programme schon aufgrund von Bürokratie und ganz praktischen Zuständigkeitsfragen auf absehbare Zeit lähmen. Ein Zustand, den wir uns in diesen bedrohlichen Zeiten nicht erlauben dürfen.
Eine Entscheidung mit Signalwirkung
Ob Demokratie leben! künftig im BMI oder im BMFSFJ angesiedelt ist, wird weit über die Frage der Zuständigkeit hinaus wirken. Es geht um Vertrauen, Wirksamkeit und politische Glaubwürdigkeit. Die bisherige Verankerung im Familienministerium hat sich bewährt – fachlich, strategisch und in der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Die Diskussion fällt in eine Zeit, in der die Zivilgesellschaft massiv unter Druck geraten ist – nicht zuletzt durch die 551 Fragen umfassende Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag, die gemeinnützige Träger und Projekte pauschal unter Generalverdacht gestellt hat. Wer in dieser Lage das Vertrauen in staatliche Demokratieförderung erhalten und stärken will, muss jetzt ein klares Zeichen setzen: für Kontinuität, für Verlässlichkeit – und für die Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die Zivilgesellschaft braucht Rückenwind, nicht neue Unsicherheit.
Ein Verbleib von Demokratie leben! im Bundesfamilienministerium wäre ein solches Zeichen – und ein Bekenntnis zur gesellschaftlichen Breite demokratischer Verantwortung.