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Rezension „Ausklammern, ignorieren, kleinreden und verschweigen“

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(Quelle: BTN)

Amadeu Antonio war ein aufgeschlossener und ruhiger Mensch. Er liebte die Musik. Am 12. August 1962 wurde er in Quimbele geboren, einer Stadt mit 300.000 Einwohner*innen im Norden Angolas. 1987, im Alter von 25 Jahren, kam er als Vertragsarbeiter in die DDR. Er hatte den Traum, Flugzeugtechnik zu studieren. Aber Neonazis machten seinen Traum, ja, sein Leben zunichte: Amadeu Antonio wurde am 24. November 1990 in Eberswalde (Brandenburg) brutal überfallen, er starb am 06. Dezember. Nun jährt sich sein Tod zum dreißigsten Mal.

Amadeu Antonio ist eines der ersten Todesopfer durch rechte Gewalt nach der Einigung 1989/90. Wie viele Menschen in den letzten 30 Jahren von Neonazis getötet worden sind, ist umstritten. Denn staatliche und journalistische/zivilgesellschaftliche Statistiken weise starke Differenzen auf: Während die Bundesregierung lediglich 106 Todesopfer rechter Gewalt seit 1989/90 zählt (Stand: 05/2020), zählt die Amadeu Antonio Stiftung 213 Todesopfer (Stand: 12/2020). Eine 2018 veröffentlichte Recherche von Tagesspiegel und Zeit Online hat 169 Todesopfer und 61 Verdachtsfälle erfasst.

Die Statistiken unterscheiden sich stark, aber sie haben eine Gemeinsamkeit: Die Zählungen beginnen erst im Jahr 1990. Das Buch „Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach 1945“ wagt den Versuch, die Todesopfer rechter Gewalt seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu listen. Die Zählung, die 1970 mit einem Fall aus Konstanz (Baden-Württemberg) beginnt, umfasst 274 Todesopfer rechter Gewalt und 41 Verdachtsfälle (S. 20). Die meisten Fälle wurden 1992 (32) und 1993 (20) registriert. In Relation zur Einwohnerzahl führt Brandenburg die Statistik mit 34 Todesopfern an.

Im besten Sinne wertvoll

Die Beschreibungen der einzelnen Fälle sind prägnant und gehen, soweit möglich, in die Tiefe. Die biografischen Anmerkungen illustrieren, dass es sich keineswegs um bloße Opfer, sondern um Menschen mit Gefühlen und Hobbys, mit Familie und Freund*innen handelt. Die Namen und die gezeichneten Porträts geben den Menschen ein Gesicht. Das Buch ist im besten Sinne wertvoll: Wertvoll für die gesellschaftspolitische Debatte um die Todesopfer rechter Gewalt und wertvoll für die Sichtbarmachung der tödlichen Gefahr durch die extreme Rechte. Die Veröffentlichung des Buches hat durchaus das Potenzial, eine Ergänzung von Fällen, die noch unbekannt und kaum/nicht erforscht worden sind, anzustoßen.

Thomas Billstein, Initiator des Twitter-Accounts @OpferNaziGewalt und Autor des Buches, hat nicht nur die Todesopfer rechter Gewalt, sondern auch das Versagen der Exekutive und der Judikative dokumentiert. Die Dokumentation ist eine Anklageschrift gegen all diejenigen, die rechte Motive ausklammern, ignorieren, kleinreden und verschweigen. Am Ende der Lektüre bleibt der Eindruck, dass in den meisten Fällen die extrem rechte Ideologie der Täter*innen bagatellisiert wird und niedrige – ja, zu niedrige – Strafen verhängt werden.

Kein Vergessen

Auf Basis der Schilderungen der einzelnen Fälle wirkt die staatliche Anerkennung bzw. Nicht-Anerkennung recht willkürlich. Beispielsweise stellt sich die Frage, weshalb die Ermordung des jüdischen Verlegers Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke durch einen Neonazi im Dezember 1980 bis heute nicht offiziell anerkannt wird (S. 41). In zahlreichen Schilderungen sind die rechten Motive offenkundig, aber eine offizielle Anerkennung bleibt aus. Es sei an den rassistischen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete in Lübeck erinnert. Die Tat ereignete sich im Januar 1996, drei Erwachsene und sieben Kinder starben (S. 156).

Jeder geschilderte Todesfall dokumentiert die Bestialität und die Menschenverachtung der extremen Rechten. Die Gewalt trifft Antifaschist*innen, Jüdinnen und Juden, Migrant*innen, Obdachlose, … Die Schilderungen verdeutlichen, wie wichtig antifaschistische Recherchen und lokale Initiativen aus der Zivilgesellschaft sind, die die Erinnerung an die Todesopfer rechter Gewalt wachhalten. Im Fall des ermordeten Amadeu Antonio Kiowa setzt sich die Kampagne „Light me Amadeu“ seit einigen Jahren für ein würdevolles Gedenken ein. Aufgrund des 30. Todestages veranstaltet die Kampagne in Kooperation mit der Stadt Eberswalde und dem Landkreis Barnim ein – aufgrund der Covid-19-Pandemie – dezentrales Gedenken sowie eine kleine Gedenkveranstaltung mit einer begrenzten Zahl an Teilnehmer*innen. Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt den offiziellen Aufruf.

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