Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rezension Gut gemeint – und richtig gut gemacht

Von|
Titelbild des Comicromans"Du nix verstehen? u nix verstehen? Ein Comicbuch zu Migrationserfahrungen" (Quelle: Landkreis Göttingen)

Du nix verstehen? Das habe ich zuletzt angesichts einer Postwurfsendung zu einem Volksentscheid gedacht: „Sind Sie dafür, dass xy nicht gestattet wird, nicht yz zu tun? Ja oder nein?“ Oder bei einer Rundfunkgebühren-Mahnung, die erst auflistet, dass ich ordentlich und pünktlich gezahlt habe, und sich dann in komplizierten Forderungen verheddert.

Sprache kann verwirren. Schweigen aber auch, wie der Comic „Du nix verstehen?“ zeigt. Etwas verspätet ist mir das kleine Büchlein des Landkreises Göttingen über zwischenmenschliche Irrtümer in die Hände geraten; doch es ist so unerwartet frisch und neu, dass es als Lese- und Vorlesetipp auch heute genau richtig ist.

Bücher über (inter-)kulturelle Missverständnisse kennen wir zur Genüge, und allzu oft passt für sie leider die Redensart „gut gemeint und schlecht gemacht“. Pädagogisierend, klischeebeladen, beschönigend – manche Ausgaben machen uns das Genre etwas sauer. „Du nix verstehen?“ ist überraschend anders. Zuallererst ist es wirklich lustig. Und dann verzichtet es auf Schwarz-weiß- oder Korrekt-falsch-Zuordnungen. Statt dessen erzählt es kleine Geschichten in Bildern, humorvoll und berührend, mit einem zarten roten Faden, der die Figuren zusammenspinnt: sechs junge Fußballerinnen und Fußballer, mit sehr unterschiedlichen Familiengeschichten, Träumen und Sorgen. Und klaren Vorstellungen über die anderen. Munter geht es dabei durcheinander mit den Klischees und Missverständnissen, die sich wie Kettenreaktionen aneinander reihen. Wer eben noch über Vorurteile klagte, bringt die seinen flugs danach beim Gegenüber an. Das ist oft voller Komik und erhellend zu lesen, auch für Menschen, die sich schon lange oder intensiv mit dem Thema beschäftigen.

Hier werden nicht die üblichen „Erklärungen“ für „kulturelle Eigenheiten“ wiederholt, sondern neue Blickwinkel eingenommen, aus bewusst subjektiven Perspektiven und ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Ach, wie Verliebtheit beim reflektierten Nachdenken über Anstandsregeln und Gleichbehandlung stören kann! Wie wir uns von (Online-)Fassaden täuschen lassen und deshalb scheinbar Unattraktives verpassen. Wie wir aus Einzelerfahrungen Theorien entwickeln und dabei das Nachfragen beim nächsten Gegenüber vergessen.

Immer wieder muss ich beim Lesen auch schlucken. Wir wissen ja, wie Rassismus sich anhört, wie er aussieht und riecht. Doch das Immer-wieder, das Tägliche und Noch-einmal, auch davon erzählt dieses Büchlein, so dass wir es schmecken können. Ach – so entsteht Resignation. So erfüllen sich Vorurteile selbst.

Also her mit dem Culture Clash, Schuhe aus und reingeschlüpft in die Haut der anderen! Dieser Comic macht das leicht, aufrüttelnd und amüsant.

Landkreis Göttingen (Hrsg.), Ilki Kocer (Zeichnungen): Du nix verstehen? Ein Comicbuch zu Migrationserfahrungen. Göttingen 2020.

Das Buch steht online kostenlos zum Download bereit:

https://www.landkreisgoettingen.de/pics/medien/1_1611214876/Comicbuch_als_Datei__v._20.01.21_red_NETZ_3pdf.pdf

 

Weiterlesen

20200116 Herf

Antisemitismus in BRD und DDR Der Nicht-Beitrag der deutschen Geschichtswissenschaft zur Erinnerung

War die DDR eher eine „zweite Diktatur auf deutschem Boden“ oder doch eher ein antifaschistischer “Friedensstaat”? Bei der Beantwortung dieser Frage  werden allerdings oft die Kontinuitäten des Nationalsozialismus und des Antisemitismus im geteilten Deutschland übergangen. Diese differenzierte Perspektive eröffnet das Werk Jeffrey Herfs, welches am Dienstag den 14. Januar auf einem Fachsymposium im Centrum Judaicum in Berlin vorgestellt und diskutiert wurde.

Von|
Eine Plattform der