Schriftsteller, besonders wenn sie vorgeblich „gegen den Krieg in der Ukraine“ sind, erscheinen sowohl politisch als auch menschlich eher als eine Lachnummer denn als ein würdiger Erbe des ehemaligen, antifaschistischen Exil-Pens. Diesen Eindruck könnte man nach den peinlichen Szenen der jüngsten PEN-Mitgliederversammlung zumindest gewinnen.
Da erweckt es Interesse, wenn zeitgleich ein schmales, tiefgründiges Werk eines PEN-Mitgliedes erscheint. Der 1946 in Damaskus geborene vielsprachige Literat und humorvolle Erzähler Rafik Schami, vom Hauptberuf Chemiker, hatte mit 24 Jahren sein Heimatland Syrien verlassen müssen. Ein Jahr später floh er in die Bundesrepublik, schloss sein Chemiestudium mit einer Promotion ab, obwohl er anfangs kein Wort deutsch sprach. Es folgte eine kometenhafte Karriere als Lyriker und Erzähler.
Von arabischen Autoren wurde Rafik Schami wegen seiner scharfen Kritik an arabischen Despoten häufig attackiert. Einschüchtern ließ sich der überaus humorvolle Menschenfreund hierdurch nicht.
Nun hat der 76-jährige Erzähler einen schmalen Band vorgelegt, in dem sich sein 50-jähriges Leben in der Bundesrepublik widerspiegelt. Diesem fühlt er sich innerlich tief verbunden – und fürchtet sich zugleich vor Rassismus in Deutschland und Europa. Seine Hauptsorge gilt hierbei einem „neuen Typus von Intellektuellen“, wie es im Untertitel seines Essays heißt.
Seinem leidenschaftlichen Appell an unser individuelles politisches Verantwortungsbewusstsein, denn davon handelt dieser schmale, den Leser direkt ansprechende Band, setzt Rafik Schami seine 50 Jahre zurück reichenden Erinnerungen an seine ersten Jahre in der demokratischen Bundesrepublik voran: Das Erleben von „Demokratie und Freiheit“ habe dem aus der syrischen Diktatur Vertriebenen geholfen, sich seiner eigenen frühen Erlebnisse angstfrei zu erinnern. Das Erinnern seiner eigenen Geschichte, die er erzählend zur Entfaltung bringt, sei eine „genaue Beschreibung meiner Biografie im Exil.“
Die Anfänge des öffentlichen Erzählens: Wider die Gleichgültigkeit
1980, da war er 36, habe er mit dem öffentlichen Erzählen begonnen. Bis heute seien es, eingebunden in unzählige Reisen durch die Bundesrepublik, 93 Erzählabende geworden, unterbrochen nur durch die Corona-Pandemie. Er habe immer wieder vor Menschen gesprochen, habe in Orten gelebt, deren Bewohner:innen zuvor noch nie einen Araber oder Aramäer gesprochen hätten. Nahezu nie habe er hierbei direkte Bedrohungen oder Gewalt erlebt. Über die Jahrzehnte habe er jedoch einen „schleichenden Rassismus“ wahrgenommen, den seine Umwelt als Nicht-Betroffene jedoch offenkundig nahezu unfähig war zu erkennen.
Dies habe er im Literatur- und Kulturbetrieb immer wieder erlebt, sogar von scheinbar hochgebildeten Akademiker:innen und Machtinhabenden. Die auf ihn als „Fremden“ persönlich gemünzte Ablehnung habe ihn eindeutig ereilt, weil er aus einem arabischen Land stamme: „Ihr Beitrag ist erstaunlich gut geschrieben, aber leider passt er nicht in unsere Zeitung“, ließ eine Redaktion ihn wissen. Rückfragen wurden nicht beantwortet. Die Wurzeln solcher affektiver Angriffe müsse man entlarven, um die Demokratie zu schützen, betont Schami.
Den verfolgten Juden aus der seelischen Gemeinschaft ausstoßen
Deshalb habe er, mit ausgeprägter innerer Überwindung, diesen schmalen Essay über sein Leben in Deutschland niedergeschrieben. Offener Hass gegen Minderheiten sei nicht das eigentliche Problem einer Demokratie, sondern vielmehr die Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaft. Insofern sei es kein Zufall, dass 1943 auf einem Flugblatt der Weißen Rose gefordert wurde: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!“ Der Weg von der Gleichgültigkeit hin zum „völligen Tod des Gewissens“ sei ein schleichender, kaum wahrnehmbarer. Schrittweise und immer wieder radiere der Gleichgültige hierbei „alle Spuren der Humanität“ aus. Niemand könne ihm erzählen, dass in der Zeit des Nationalsozialismus der „Anblick eines verhafteten Juden“ bei dessen Nachbarn, früheren Freunden, so einfach innerlich folgenlos geblieben sei. Dieser habe „verdrängt, verdrängt und verdrängt“, um sich dem Gebot der faschistischen Herrschaft selbst anzupassen, um den verfolgten Juden aus seiner seelischen Gemeinschaft auszustoßen.
Auch deshalb sei es ihm, Schami, schwer erträglich, dass der syrische Diktator Assad Gift und Bomben über die protestierenden Zivilisten abgeworfen habe, ohne dass die demokratischen Gesellschaften hiergegen einschritten. Die freiwillige Gleichgültigkeit müsse man scharf von der „aufgezwungenen Gleichgültigkeit“ unterscheiden. Jede Diktatur könne auf Dauer nur bestehen, wenn „die Menschen zur gesichtslosen, willenlosen Herde“ würden.
„Kitschig orientalisch“
Die Rezeption seiner eigenen Romane, in denen er seine Erfahrungen mit der syrischen Diktatur wie auch mit seiner Kindheit eingearbeitet habe, sei zu seiner eigenen Verwunderung selbst von sehr etablierten Literaturrezensenten hierzulande häufig als „kitschig orientalisch“ bezeichnet worden. Selbst wenn seine Romane in dichter Weise das Verstummen eines erzählfreudigen Volkes unter einem repressiven Regime beschrieben, sei der Vorwurf scheinbarer Experten gegen ihn nicht verstummt, wie „orientalisch“ sein Werk doch sei. Hieran habe sich in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich nichts geändert, trotz seiner eigenen wachsenden Popularität als Schriftsteller in der Bundesrepublik. Der Vorwurf des „Orientalischen“ sei sehr eindeutig als ein Unterscheidungsmerkmal für alles gemeint, was „nicht europäisch, nicht modern oder zivilisiert“ sei. Am deutlichsten sei dies bei der Reaktion des damaligen FAZ-Redakteurs Frank Schirrmacher auf die Verleihung des Nobelpreises an Nagib Mahfuz im Jahr 2004 hervorgetreten: Kaum jemand in Europa kenne diesen Autor Mahfuz, nur Wenige wüssten „überhaupt von seiner Existenz“. Dies sei der Hintergrund der rassistischen Kritik an seiner eigenen Literatur, die in den letzten Jahren, parallel zum Erfolg der NPD vor Jahren und heute der AfD, massiv angewachsen sei.
Zugleich sei er wegen seiner Werke auch von Islamisten scharf angegriffen und auch bedroht worden. Rafik Schami führt zahlreiche Beispiele hierfür aus dem Literaturbetrieb an, um die Genese des Rassismus nachvollziehbarer zu machen. Dieser sei ein schleichender Prozess, der durch seine Duldung gerade von etablierten Rezensenten anwachse und hierdurch erst seine Gefährlichkeit erlange. Dies gelte besonders auch für Intellektuelle wie Sloterdijk, Botho Strauß, Safranski, Mattussek und Rabehl, die am Anfang ihrer Karriere häufig noch ausgewiesene „Linke“ gewesen seien. Seit dem Jahr 2015 hätten Rassisten selbst in den bekanntesten deutschen Medien massiv Zuspruch und Darstellungsmöglichkeiten bekommen.
Solidarität mit den Geflüchteten
An die Stelle des Triumphgefühles insbesondere älterer Herren und Damen, auf welches er seit 2015 bei seiner intensiven Zeitungslektüre immer wieder gestoßen sei, empfiehlt Rafik Schami eine Kultivierung der Güte des Herzens und der Seele. Tröstlich erlebte der Erzähler Schami hingegen die „mutige Haltung des Jüdischen Vereins in Berlin“ – und zitiert deshalb aus einem haGalil-Beitrag aus dem Jahr 2004 „Wider die Islamophobie“.
Dann reflektiert Schami über die Folgen einer dauerhaften Herabwürdigung, die viele Flüchtlinge aus arabischen Ländern, nach der Vertreibung aus ihrer ehemaligen Heimat, hier erlebt hätten. Angela Merkels „Willkommenskultur“ habe ihm imponiert, die Solidarität mit den Geflüchteten erscheine ihm als eine „Sternstunde der Demokratie und der bewussten offenen Gesellschaft.“ Wir alle trügen Anteil und Verantwortung für eine gemeinsame Kultur der Welt. Nur Einfühlungsbereitschaft gegenüber dem Unrecht und dem Leid immunisiere uns gegen die Gefahren des Faschismus. Die Nazis wären niemals an die Macht gekommen, wenn sie nicht mit ihrer Sprache der Demagogie und der Ausgrenzung die Herzen der Massen erreicht hätten – womit Schami, ohne explizit auf diesen zu verweisen, an Wilhelm Reichs Studien zur Massenpsychologie des Faschismus anschließt. Weil die Deutschen ab den 1930er Jahren diese Sprache der Ausgrenzung in sich aufgenommen hätten, sei es ihnen auch gleichgültig gewesen, „dass der jüdische Nachbar, Kollege oder Verwandte verhaftet oder ermordet wurde, der seit einer Ewigkeit Freude und Trauer mit ihnen geteilt hat.“ (S 75) Solche Gleichgültigkeit sei die eigentliche Gefahr für uns als Menschen und als Demokraten. Die Macht der Rechtsradikalen und Demagogen sei erst die Folge dieses inneren Abstumpfungsprozesses. Aufstehen gegen die Gleichgültigkeit, das sei unsere eigentliche menschliche Herausforderung, so das PEN-Mitglied Rafik Schami in seinem kurzen, aber berührenden Essay.
Wenn Schami auf besagter PEN-Mitgliederversammlung aufgetreten und dort in diesem Sinne gesprochen hätte – nichts spricht dafür, dass er hiermit Gehör bei der Mehrheit seiner PEN-Kollegen gefunden hätte.
Rafik Schami: Gegen die Gleichgültigkeit. Über Rassismus, Orientalismus und den neuen Typus von Intellektuellen. Tübingen: Schiler & Mücke, 96 S., Hardcover, 10 Euro, Hier bestellen.
Foto: Rafik Schami auf der Frankfurter Buchmesse 2017, (c) Heike Huslage-Koch / CC BY-SA 4.0