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Rezension Typisch Familie – ein besonderes Koch- und Lesebuch

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Titelbild des Buches "Romno Chabpen. Ein Blick in die Küche der Sinti & Roma Europas." (Quelle: Edition Faust )

Ich erinnere mich sehr eindrücklich an meine erste explizite Begegnung mit „typischer Roma-Küche“. Es war bei einem Workshop über Diskriminierung und Inklusion im Bildungssystem, und in der Pause, so hatten es die Seminarleiter*innen angekündigt, würde ein Imbiss mit Spezialitäten von Sinti und Roma auf uns warten.

Die Überraschung war groß. Mein auf Exotisches hoffender Blick fiel auf lecker belegte Sandwiches, Kanapees quasi, knusprig-goldene Pasteten mit verschiedenen herzhaften und süßen Füllungen und Ähnliches – alles ausgesprochen schmackhaft, nichts völlig neu und ungekannt.

Genau so ist es mit den Menschen, die wir, ohne sie zu kennen, für exotisch, anders und fremd halten. Ob wir das Exotische attraktiv finden oder nicht, ändert nichts an der Diskriminierung, die damit einhergeht. Das Wort diskriminieren kommt ja von „unterscheiden“, „absondern“, und dieses Trennen ist es, was uns daran hindert, einander wirklich zu begegnen und so kennenzulernen, wie wir sind oder wie wir uns selbst präsentieren wollen. Vielen Menschen geht es ganz ähnlich wie uns am Imbisstisch damals, wenn sie zum ersten Mal hören, dass ihre Nachbarn, mit denen sie seit 30 Jahren die Treppenhausreinigung abstimmen und Schlüssel zum Blumengießen im Urlaub austauschen, zur Minderheit der Sinti gehören.

Exotisches hat das Büchlein „Romno Chabpen“ also nicht zu bieten. Aber besonders und überaus geschmackvoll ist es dennoch: Wo sonst finden sich in einem Kochbuch versammelt Gerichte aus Österreich, Griechenland und Schweden – und authentische Familienrezepte allesamt? Dies hat mit der größten europäischen Minderheit zu tun, die die Musik, die Kunst und die Küchen des Kontinents beeinflusst und selbst mit aufgenommen hat, die ein Teil des Ganzen ist wie wenige andere Minderheiten sonst. Ein Teil auch der europäischen Geschichte, wie gleich vorn im Büchlein eine Karte zur mehr als 600-jährigen Siedlungsgeschichte von Sinti und Roma in Europa zeigt.

Deshalb bieten die in „Romno Chabpen“ vorgestellten Rezepte traditionelle Kost im besten Sinne, keine haute cuisine oder fusion kitchen. Deshalb auch ist jedes Rezept mit einer Geschichte verknüpft: persönlichen und historischen Erzählungen, die den Zutaten familiär überlieferte Tipps und Tricks beisteuern und Lust zum Nachkochen und Nachbacken machen. Das ist denn auch tatsächlich leicht – die Rezensentin hat es mit Kind und großem Vergnügen ausprobiert. Und mit ebenso großem Genuss wurde das Produkt von einer versierten Nichtköchin und einem recht wählerischen Kind gemeinsam verzehrt. Aber auch für erfahrenere Küchenkünstler*innen ist etwas dabei: Nun, da ich gelesen habe, wie Pite gemacht werden, bewundere ich meine Kolleg*innen, die die kunstvoll esstellergroß geringelten Pasteten manchmal einfach ins Büro mitbringen, noch viel mehr.

Und etwas Weiteres ist besonders an diesem Buch: Wir mussten beim Ausprobieren unsere Zutatenmengen herunterrechnen – ein vergnügliches Dividieren von Kichererbsen, das eine trockene Matheübungsstunde ersetzte. Denn alle Rezepte sind für eine große Tischgemeinschaft ausgelegt. Wer hier etwas kulturell Besonderes sehen will, liegt sicher nicht verkehrt: Familiensinn und Gastfreundschaft gehören definitiv zum Zusammenleben mit Sinti und Roma. In diesem Sinne ist der Titel „Ein Blick in die Küche der Sinti & Roma Europas“ wunderbar doppeldeutig – denn das Büchlein führt uns in Familiengeschichten, wie sie nur am Küchentisch ausgetauscht werden, Traditionen der Zugewandtheit zueinander über Generationen und gemeinsame Mahlzeiten hinaus.

Auch über verfolgte Generationen und Zivilisationsbrüche hinweg, wie sie die Sinti und Roma durchgemacht haben. 90 Prozent der Minderheitsangehörigen sind im Nationalsozialismus dem Genozid in Europa zum Opfer gefallen. Dies ist der bittere Beigeschmack einer vernichtenden Geschichte, die sich auch hier niederschlägt: Man wünschte sich das Buch viel dicker – sowohl an Rezepten als auch an Geschichten. Man wünschte sich die Erzählungen und Begegnungen und das gemeinsame Essen viel zahlreicher und viel alltäglicher. Es ist RomnoKher und dem baden-württembergischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma, der Stiftung Kai Dikhas und anderen zu danken, dass sie diese Lebens-Mittel aufbewahren, sammeln, bekannt machen und lebendig erhalten.

Titelbild des Buches „Romno Chabpen. Ein Blick in die Küche der Sinti & Roma Europas.“

Romno Chabpen. Ein Blick in die Küche der Sinti & Roma Europas.
Herausgegeben von Chana Dischereit und Daniel Strauß.
Edition Faust 2020
ISBN 978-3-945400-79-1
48 Seiten
14 Euro

 

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