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Rezension „Umkämpftes Asyl“ Stellvertreterdebatten prägen die deutschen Geschichten zum Asyl

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Ausschnitt vom Cover des Buches "Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart" von Patrice Poutrus. (Quelle: Ch.Links Verlag)

Es gibt wohl kaum ein anderes gesellschaftliches Thema, zu dem die Ansichten so divergieren und mit so viel Intensität diskutiert werden wie zum Thema Asyl. Manchmal manifestieren die Meinungen sich sogar physisch, bis hin zu Gewalt. Patrice Poutrus zeigt in seinem soeben erschienenen Buch „Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart“, dass dies nicht erst seit der letzten großen Fluchtbewegung nach Deutschland vor einigen Jahren oder seit den Auseinandersetzungen vor dem sogenannten Asylkompromiss 1992/93 der Fall ist. Seit der Verabschiedung des Grundgesetzes – und tatsächlich bereits während seiner Diskussion und Formulierung – ist Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 nicht nur so herausfordernd wie umstritten, sondern muss vor allem für zahlreiche andere Themenkomplexe und politische Gestaltungsfragen herhalten: von Bevölkerungspolitik über außenpolitische Ziele bis hin zu Migrations- und Integrationspolitik.

So feurig und überzeugt die Auseinandersetzungen um Flucht und Asyl jedoch öffentlich geführt werden, so wenig fundiert ist häufig das Wissen dazu – auf allen Seiten. Das Wissen um juristische, politische, verwaltungsbezogene Bedingungen im Umgang mit Asyl in Deutschland ebenso wie das Wissen um Fluchthintergründe, Lebenssituationen Geflüchteter und die globalen Verflechtungen von Fluchtbewegungen nach und in Europa. Diesem Mangel hilft Poutrus mit seinen minutiösen Darstellung entlang von verschiedenen Phasen deutscher Asylpolitik ab: Anhand sich wandelnder – und stets zu den gleichen Grundfragen zurückkehrender – Debatten beleuchtet er politische Prozesse, Verwaltungshandeln und -überforderungswellen, Gesetzgebungsverfahren, Medienresonanz und die sie begleitenden öffentlichen Diskurse inklusive zivilgesellschaftlichen Engagements. Mit zahlreichen Beispielfällen schildert er, wie dabei komplexe Motivationslagen auf Seiten deutscher Politik und Behörden wie auch auf Seiten von Asylsuchenden auf allzu oft eindimensionale Entscheidungsfragen eingedampft wurden. Dabei besticht die Genauigkeit der Recherche und die Detailtreue von Poutrus‘ Darstellungen ebenso wie die Schärfe seiner Analyse – die er zumeist recht kurz hält, denn die Chronologie der Ereignisse, Zahlen und Fakten spricht für sich.

Immer wieder, so zeigt sich, wurden anhand von Flucht und Asyl ganz andere Themen stellvertretend verhandelt, und zwar seit den 1950er Jahren über den Anwerbestopp 1973 bis heute und gleichermaßen in Ost wie West. Jenseits humanistischer Erwägungen oder Verpflichtungen wurde die deutsche Asylpolitik und wurden Asylsuchende stets innen- oder außenpolitischen Prioritäten unterworfen: dem Wunsch nach einer Rückkehr Deutschlands in die demokratische Staatengemeinschaft nach dem Holocaust und deren Demonstration über einen liberalen Asylparagraphen in der Verfassung; dem Wettbewerb mit den Ostblockstaaten im Kalten Krieg, geführt auch durch die offensiv freimütige Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn und Tschechien; dem Bemühen der DDR auf der anderen Seite, im Umgang mit politischen Flüchtlingen z.B. aus Algerien oder Griechenland zugleich die diplomatische Isolation durch die Hallstein-Doktrin zu durchbrechen; einer Bevölkerungspolitik schließlich, die über das Thema Asyl die Frage der Nationalidentität verhandelte, immer entlang dem Paradigma des Nichteinwanderungslandes. Besonders deutlich wurde dies, so zeigt Poutrus auf, immer da, wo Aussiedler aus Ost-, Mittel- und Südosteuropa parallel und bisweilen in viel größerer Zahl als Asylsuchende aus anderen Regionen der Welt nach Deutschland flohen. Ethnische Homogenität war offenbar hier die gesellschaftliche Zielvorstellung, die die sehr unterschiedlichen Instrumente zur Integration der einen und Einwanderungsbeschränkung für die anderen bestimmte. Eine Homogenität, die „man in beiden deutschen Staaten nach 1949 als voraussetzungslosen und nationalen ‚Normalfall‘ für die eigene Bevölkerungsstruktur [betrachtete]“, so Poutrus, obschon erst die Massenmigrationen nach und infolge des Zweiten Weltkriegs „eine Homogenisierung der Bevölkerungen der europäischen Staaten zur Folge [hatten], wie sie in einem solchen Ausmaß weder vorher noch nachher zu verzeichnen war.“

Poutrus stellt so aktuelle Diskurse in einen historischen Zusammenhang, der die geschichtliche, soziale, politische und menschliche Komplexität ihrer Hintergründe deutlich macht und zugleich die roten Fäden aufzeigt, die sich durch unsere Lesarten ziehen. Die akribische Schau von exemplarischen Beispielen und Fallzahlen – teil absurd kleinen Zahlen mit Blick auf die daraus in Ost wie West gezogenen Schlussfolgerungen über die „Integrationsfähigkeit“ verschiedener Einwanderergruppen – macht die Darstellungen lebendig und auch für geschichtswissenschaftliche und juristische Laien nachvollziehbar. Und während Poutrus seine Sicht der Dinge dort einflicht, wo es die Analyse erfordert, ist es zuallermeist die Ironie – oder der Sarkasmus, möchte man hier fast sagen – der Geschichte und gestaltender Politik selbst, die er in sachlichem, Fakten und Vorgänge dokumentierenden Ton zu Wort kommen lässt.

Der umfangreiche Anhang bietet eine Fülle vertiefenden und weiterführenden Materials für all jene, die sich selbst auf die Recherche begeben und/oder das Thema weiterverfolgen und diskutieren wollen. Eine Diskussion, die äußerst nottut und für deren fachliche Grundlegung Patrice Poutrus hier eine unverzichtbare Faktensammlung und Analyse beigesteuert hat.

Patrice G. Poutrus:

„Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart“.

Ch. Links Verlag, Berlin 2019

 

Vorankündigung:

Buchvorstellung und Diskussion mit dem Autor am Donnerstag, 26. September 2019, in der Amadeu Antonio Stiftung.
Details zur Veranstaltung zeitnah auf: www.amadeu-antonio-stiftung.de/termine.

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