Die Geschichte des jüdischen Widerstandes, der Aufstände in Auschwitz und zahlreicher weiterer Konzentrationslager, ist in den vergangenen Jahren nacherzählt worden. Der starke Anteil von Frauen wie etwa von Renia Kukielka und Chaika Grossmann, wurde hierbei nie angemessen gewürdigt.
Die amerikanische Kolumnistin Judy Batalion, die selbst aus einer Überlebendenfamilie stammt, hat nun die Geschichte dieser unbekannt gebliebenen Frauen des heldenhaften Widerstandes – von denen einige von den Deutschen ermordet wurden – nacherzählt. Den Auslöser bildete die Lektüre der bereits 1946 erschienenen Anthologie Freuen in di Ghettos, in denen Dutzende junger Frauen ihre Widerstandsaktionen beschrieben: Sie bestachen Gestapo-Wachleute, versteckten Waffen in Broten, halfen beim Bau unterirdischer Bunker, verteilten gefälschte Papiere und verübten Sprengstoffanschläge auf Bahngleise. Unter den Autorinnen war auch Renia. Sie hatte ihren Augenzeugenbericht auf Polnisch verfasst; 1945 erschien er auf hebräisch.
Hauptmotor des Widerstandes war die säkular-sozialistische Widerstandsgruppe „Freiheit“. Renias Freundin Frumka Plotnicka leitete die Kampforganisation im polnischen Bedzin. Wenn sie schon sterben müssten dann „lasst uns nach einem heldenhaften Tod streben“, beschwor sie ihre Mitkämpferinnen. Frumka, die Suppenküchen für täglich 600 Juden und Jüdinnen organisierte, pädagogisch tätig war und eine jüdische Polizeitruppe aufbaute, wurde Zeugin mörderischer deutscher Liquidationen. Die Alija nach Palästina verschob sie im Interesse des antifaschistischen Kampfes mehrfach, im August 1943 verstarb sie bei einem Aufstandsversuch in einem Bunker von Bedzin auf grausame Weise.
Viele dieser Frauen hatten teils bereits während der Verfolgung oder nach Niederschlagung des Faschismus Zeitzeugenberichte niedergelegt. Andere schrieben ihre Erinnerungen im hohen Alter nieder, um zumindest ihren Enkeln von ihrem Erbe zu berichten. Dennoch sind sie weitestgehend vergessen geblieben. Judy Batalion gibt ihnen eine leicht lesbare literarische Stimme, arbeitete viele ihrer niedergeschriebenen Erinnerungen ein.
Gemeinsam ist diesen jungen Frauen ihr unbedingter Wunsch, den deutschen Mördern Widerstand entgegen zu setzen. Sie arbeiteten als Kuriere mit falschen Pässen, schmuggelten Waffen in die Ghettos und KZs, ließen sich im Kampf mit der Waffe ausbilden: „Für viele war das Ziel, Juden zu retten, für andere, in Würde zu sterben und so in Erinnerung zu bleiben.“
Dicht wird die Härte des Überlebens, der Vernichtungseifer der Deutschen nacherzählt. Renia schrieb über die „jungen, gesunden Deutschen“, denen „ein Menschenleben nichts bedeutete“. Sie waren „immer blutrünstig“, für sie war „es leichter, einen Menschen zu töten als eine Zigarette zu rauchen.“
Chajka Klinger, mit Renia bei der zionisctischen Jugendorgansiation „Junge Wächter“ eng befreundet, zeichnete sich durch ganz außergewöhnlichen Mut aus. 1943, dem Tode nahe, schrieb sie Tagebuch, um die Verbrechen zu dokumentieren. Sie war verzweifelt über die geringe Unterstützung aus dem Ausland. In einem Versteck beschwor sie ihre Mitkämpfer, nicht zu resignieren. Ihre Eingeschlossenheit war die Hölle, notierte sie für die Nachwelt, „egal ob man sie vom Hörensagen kannte oder von einem Gemälde!“
Die Möglichkeit zur Rache gegenüber auch nur einem Deutschen verlieh ihr die Kraft, ihren Überlebenswillen nicht aufzugeben. Sie wird, wie viele der Protagonist:innen, von den Deutschen schwer gefoltert, wird Zeuge unendlich vieler sadistischer Misshandlungen, die sie schreibend dokumentierte. Nach der Befreiung schaffte auch sie es nach Palästina. Teile ihres Tagebuches wurden publiziert, jedoch nur in einer zensierten Version. Dies erlebte sie als Verrat. Seelisch vermochte sie sich von den Traumata nicht mehr zu erholen. 1958, am 15. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto, erhängte sich Chajka Klinger, „nicht weit entfernt von dem Kibbuzkindergarten, in dem ihre drei Söhne spielten.“ Ihr Tagebuch erschien 58 Jahre nach ihrem Tod auf Hebräisch.
Bildung war innerhalb der jüdischen Widerstandsgruppen von zentraler Bedeutung. Die Mitglieder bauten eigene Büchereien auf, kultivierten das Jiddische, gaben Untergrundzeitungen heraus. Gemeinsam war diesen jungen, todesmutigen Frauen, dass sie an „einen liberalen Humanismus“ glaubten, „der nun in Trümmern lag.“ Ihr Schreiben war ein Versuch, Zeugnis über die Verbrechen abzulegen — aber auch, Kontrolle über das Leben zu bewahren.
Chasia Bielicka und Chaika Grossmann wirkten als Kurierinnen der „Jungen Wächter“, sie gehörten zu einem Ring antifaschistischer Agenten, Chaika war eine der Anführerinnen des Aufstandes in Bialystok. Sie überlebte wie durch ein Wunder. Chasias Selbstsicherheit war ihr Markenzeichen. Sie lebte mit falschen Papieren als vorgebliche Polin, beschwerte sich bei der Gestapo, wenn sie zu lange auf ihre gefälschten Papiere warten musste. Gemeinsam organisierten sie Waffen, brachten diese unter Einsatz ihres Lebens in die Ghettos. Wenn sie schon sterben mussten so wollten sie möglichst viele Deutsche töten. Ihr Aufstand war ein Fanal des jüdischen Mutes. Sie mussten davon ausgehen, dass sie die letzten noch lebenden Jüdinnen waren. Chasia überlebte, baute danach in Lodz ein Waisenhaus für jüdische Waisenkinder auf, 1947 gelangte sie auf Irrwegen nach Israel. Über ihre Jahre der Verfolgung vermochte sie, die nachts nie Schlaf fand, erst Jahrzehnte später ihren Enkeln zu erzählen. 2003, da war sie 82, erschienen ihre Erinnerungen auf Hebräisch.
Grossmann überlebte, organisierte die illegale Einwanderung überlebender Juden nach Palästina, wohin sie 1948 selbst ging. In Israel wurde sie ab 1969 als Kibbuznik eine angesehene Knessetabgeordnete. Sie empfing die Journalistin Ingrid Strobl, die 1993 ihre Erinnerungen über den jüdischen Widerstand als Buch auf Deutsch veröffentlichte.
Eine Sonderstellung nimmt die 1919 in Polen geborene Fotografin Faye Schulmann ein: Nach einem Massenmord der Wehrmacht im Ghetto von Lenin, dem auch ein Großteil ihrer Familie zum Opfer fiel, musste sie für die Nazis Fotos der Ermordeten machen. Faye wollte Selbstmord begehen. Sie entschied sich für die fotografische Dokumentation der organisierten Verbrechen, machte heimlich Kopien der Fotos. Sie floh, schloss sich einer Partisanengruppe in den Wäldern an und „bestand darauf, an Kampfhandlungen teilzunehmen, um so Rache zu nehmen.“ Die Befreiung erlebte sie als den „Tiefpunkt meines Lebens. Nie im Leben war ich so einsam, so traurig.“ 1948 ging sie nach Kanada. Ihre Erinnerungen an die Verbrechen – Die Schreie meines Volkes in mir – erschienen 1998 auch auf Deutsch.
Ein leicht lesbares, aufrüttelndes Werk.
Judy Batalion: Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns. Die vergessene Geschichte jüdischer Freiheitskämpferinnen. München: Piper, 622 S., 25 Euro. Hier bestellen.