Ende der vergangenen Woche hat der Aufsichtsratsvorsitzende von Schalke 04, der Wurstfabrikant Clemens Tönnies, mit rassistischen Aussagen über Klimaschutz in Afrika für großes Entsetzen gesorgt. Nicht nur medial wurden die Aussagen vielfach kritisiert, auch die „Schalker Faninitiative gegen Rassismus“ verurteilte Tönnies Einlassungen scharf. Der Schalker Ehrenrat wiederum konnte sich nicht zu einer Sanktionierung Tönnies durchringen und rügte ihn lediglich. Tönnies wiederum erklärte, sein Amt für drei Monate ruhen lassen zu wollen. Ultras Gelsenkirchen fanden hierfür deutliche Worte: „Die jahrelange Antirassismusarbeit auf Schalke wird durch diese Entscheidung mit Füßen getreten.“ Die Unruhe in der Welt von Schalke 04 könnte wohl nur ein Rücktritt von Tönnies beenden.
Doch wäre die Diskussion um Rassismus und Migration, um Vielfalt und Antidiskriminierung im deutschen Fußball damit nicht vom Tisch. Denn am Fall Tönnies wird vielmehr diskutiert als nur die rassistischen Ansichten eines Herren. Es geht um die Frage, wie ernst es der Fußball – vor allem die Profivereine – mit dem Thema Vielfalt meint.
Dabei ist die Geschichte der Debatten um Rassismus im Profifußball und seinen Fanszenen von allerlei Konflikten geprägt. Legendär ist der Konter des aus Ghana stammenden Frankfurter Stürmers Anthony Yeboah aus dem Jahr 1992 auf den Kommentar eines Kicker-Reporters, er wohne schon wie ein Deutscher: „Soll ich etwa ein Lagerfeuer im Wohnzimmer machen?“ antwortete Yeboah kess. Er veröffentlichte seinerzeit einen offenen Brief gegen Rassismus im Fußball, der vielen Fans zum Anlass diente, sich in dem Thema zu engagieren. Das „Bündnis aktiver Fußballfans“ (BAFF) gründete sich und organisierte zu Beginn der 2000er Jahre die Wanderausstellung „Tatort Stadion“. Darin wurden nicht allein Beispiele für extrem rechte Fanschals und Gesänge gesammelt, sondern auch nationalistische und rassistische Aussagen des damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Meyer-Vorfelder kritisiert.
Seither ist eine breite Landschaft an Faninitiativen, Maßnahmen der sozialpädagogischen Fanprojekte, von Vereinen und Verbände entstanden, die sich gegen Diskriminierung, insbesondere Rassismus engagieren. Um nur ein paar weitere Beispiele zu nennen: In Hannover gibt es die „96 Fans gegen Rassismus“ schon lange, in Chemnitz seit neuestem die „CFC Fans gegen Rassismus“. Die Fanprojekte in NRW touren mit einem Streetsoccercourt unter dem Titel „Kick out racism“ durch den Sommer, der DFB vergibt jährlich den „Julius Hirsch Preis“. Er ist benannt nach dem in Auschwitz ermordeten deutsch-jüdischen Nationalspieler und wird an Fangruppen, Initiativen sowie Vereine vergeben, die sich gegen Diskriminierung engagieren. Nur fällt bei dieser Bandbreite an Projekten und Maßnahmen eines auf: Sie richten sich ausnahmslos an Fans, Amateurfußballer oder eine diffuse Öffentlichkeit.
Kaum ein Angebot ist darauf ausgelegt die Mitarbeiter*innen der Vereine für Diskriminierung zu sensibilisieren. Maximal für die Fanbeauftragten existieren derlei Maßnahmen. Bei allem gewachsenen Interesse an Corporate Social Responsibility und sozialer Verantwortung im Fußball gibt es – jenseits von Werder Bremen- weder einen Proficlub noch einen Fußballverband in Deutschland, der die Themen Vielfalt und Antidiskriminierung fest in seiner Personalpolitik verankert hat und durch entsprechende Maßnahmen konsequent umsetzt.
So ergibt sich in der Antidiskriminierungsarbeit des Fußballs in Deutschland die größte Diskrepanz derzeit zwischen den vielen an Fans gerichteten Präventionsmaßnahmen einerseits und dem völligen Mangel an Workshops für Vereinspersonal andererseits. Der Fall Tönnies hat dies auf traurige Art zum Ausdruck gebracht. So verweisen Fußballclubs gerne und zu Recht auf ihre international besetzten Teams und bunt ausstaffierten Aktionsspieltage. Doch drohen derlei Maßnahmen von den Tönnies dieser Welt regelmäßig als mediengerecht inszenierte Makulatur bloßgestellt zu werden.
Zudem hatten sich erschreckend wenige Größen des deutschen Fußballs kritisch den Aussagen Tönnies zu Wort gemeldet. Wenn der Fußball die Themen Vielfalt und Antidiskriminierung wirklich ernst meint, dann fordert er Zivilcourage nicht nur von seinen Fans, sondern setzt im eigenen Hause an – hoch bis in die Marketingabteilungen und Führungsgremien.
Robert Claus, Jahrgang 1983, forscht, hält Vorträge und publiziert zu den Themen Fankulturen, Antidiskriminierung, Hooligans, extreme Rechte und Kampfsport. Zuletzt erschien von ihm „Hooligans. Eine Welt zwischen Gewalt, Fußball und Politik“.