Rudolf Heß war von 1925 bis 1932 Privatsekretär Adolf Hitlers. 1933 ernannte ihn dieser zum „Stellvertreter des Führers“ in der NSDAP. Heß war ein fanatischer Propagandist des Führerkultes. Er war organisatorisch an der Judenverfolgung beteiligt. Die heutigen Rechtsextremen verehren Heß als ?Friedensflieger?, weil er im Mai 1941 nach England geflogen ist, angeblich in dem Wunsch, einen Frieden mit England auszuhandeln und so Kräfte für den Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 freizusetzen.
Wirklich sicher ist jedoch nur, dass ihn die Briten gefangen nahmen und 1945 dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg übergaben; 1946 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. 1987 nahm er sich in der Haft in Berlin-Spandau das Leben. Rudolf Heß ist übrigens das einzige Mitglied der NS-Führung mit einer Grabstätte: Die in Nürnberg hingerichteten NS-Führer wurden 1946 eingeäschert und ihre Überreste in einen Bach bei München gestreut.
Der Heß-Kult der Neonazi-Szene begann bereits wenige Tage nach seinem Tod im August 1987 mit Nazi-Kundgebungen vor dem Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau. 1988 fand der erste Gedenkmarsch zu Heß? Grab in Wunsiedel statt. In den folgenden Jahren wurden die Rudolf-Heß-Gedenkmärsche zu einer festen Institution der neonazistischen Szene. Sie wirkten zunehmend als verbindende Elemente zwischen Alt- und Neonazis. Die Aufmärsche führten zu starken Protesten. Nicht zuletzt aufgrund der Gegendemonstrationen wurde nach 1990 über den gesamten Landkreis Wunsiedel ein Demonstrationsverbot verhängt, was die Nazis zwang, in andere Städte oder ins Ausland aus zuweichen. 2001 schaffte es der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger das erste Mal wieder, eine Demonstration in Wunsiedel anzumelden. Die Stadt und ihre Bürger wehrten sich mit einer Kampagne unter dem Motto „Wunsiedel ist bunt statt braun!“. Seit 2005 hat das Bundesverfassungsgericht jeden Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel untersagt.
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