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Russlands antiwestliche Ideologien „Wichtig ist imperiales Denken“

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Der Kreml in Moskau: Zentrum eines herbeigesehnten Imperiums?
Der Kreml in Moskau: Zentrum eines herbeigesehnten Imperiums? (Quelle: Pavel Kazachkov/CC BY 2.0)

This interview is also available in English.

Belltower.News: Frau Bluhm, nach acht Jahren des anschwellenden Konflikts ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Der rechtsradikale Ideologe Alexander Dugin zeigte sich in seinem Weltbild bestätigt. Der Krieg sei eine längst überfällige Notwendigkeit. Welchen Einfluss haben Menschen wie Dugin auf die russische Außenpolitik?
Prof. Dr. Katharina Bluhm: Dugins Einfluss auf Putin wird im Westen überschätzt. Er spielt seit langem keine große Rolle mehr. Wir müssen den Blick weiten. Dugin gehört zum 2012 gegründeten Isborsk-Klub. Die Mitglieder dieses rechten Think-Tanks rund um den Publizisten Alexander Prochanow waren 2014 in der Ukraine sehr aktiv. Als Putin sich damals gegen eine weitere Eskalation des Donbass-Konflikts entschied, sind die Isborsker wieder stärker an den Rand gedrängt worden. Dort herrscht jetzt überwiegend der Tenor: „Wir haben eigentlich recht gehabt. Ja, man hätte damals schon militärisch weitergehen müssen.“ Eine breitere Szene teilt jedoch diese Einschätzung.

Von einem unmittelbaren Einfluss rechtsradikaler Kräfte auf Putin auszugehen, ist also zu einfach?
Es ist eine komplexe Entwicklung. Dabei geht es nicht nur darum, ob Think-Tanks direkten Einfluss auf die außenpolitische Doktrin nehmen oder ob Rechtsradikale wie Dugin Zugang zum engeren Machtzirkel haben. Der rechte Rand ist im heutigen Russland zum Teil marginalisiert. Das heißt aber nicht, dass auch das antiwestliche und antiliberale Denken auf dem Rückzug wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Über die letzten 20 Jahre wanderten diese Ideen sukzessive in den Mainstream ein.

Die Abkehr vom Westen etablierte sich als offizieller Kurs?
Medwedews Präsidentschaft stand noch im Zeichen einer „konservativen Modernisierung“. Dahinter steckte die Vorstellung einer Integration Russlands in das westlich dominierte Weltwirtschaftssystem. Auch die Kreml-Formel von der „souveränen Demokratie“ aus dem Jahr 2006 folgte dieser Annahme. Bereits damals lehnten nicht nur Leute wie Dugin sie ab. Bestritten wurde sie auch von „Patriot:innen“, die nicht unmittelbar dem rechtsradikalen Rand zuordenbar sind. Auch sie wollten einen eigenen, „russischen Weg“ der Entwicklung und die Abkopplung vom Westen. Nachdem Putin im Jahr 2012 als Präsident zurückkehrte, wurde die Abkehr immer stärker Teil der offiziellen Politik. Die Annexion der Krim beschleunigte diese Dynamik. Heute ist dieses Denken selbst in akademischen Einrichtungen präsent.

Können Sie ein Beispiel geben?
Schauen wir beispielsweise auf die „Russkaja Narodnaja Linija“, eine monarchistisch-christliche Nachrichtenagentur. Auf ihrem Webportal erscheint am 26. Februar 2022 ein Artikel des Wirtschaftswissenschaftlers Oleg Sucharew. Sucharew ist Jahrgang 1972 und damit zehn Jahre jünger als Dugin. Er arbeitet an einem Wirtschaftsinstitut der staatlichen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Auch er schreibt, er sei schon 2014 für eine militärische Lösung in der Ukraine gewesen. Die westlichen Sanktionen von heute vergleicht er mit europäischen Kriegen gegen Russland aus vorsowjetischer Zeit, mit dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Kalten Krieg. Für ihn führt der Westen einen Vernichtungskrieg gegen Russland.

Woher kommt diese Vorstellung?
Bei der antiwestlichen Haltung geht es nicht nur um politische Einflusszonen und die Suche nach einer eigenständigen russischen Identität. Solche Überlegungen haben auch eine geoökonomische Dimension. Die russische Elite und die „patriotischen“ Kreise messen sich mit China und Indien. Während die USA an Einfluss verliert und China aufsteigt. Welchen Platz hat da Russland? Sie wollen nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich ein eigenes Weltzentrum bilden, was aber der Westen nicht dulde. Dafür sehen sie das Industriepotential, die qualifizierten Arbeitskräfte, aber auch die Konsument:innen der Ukraine und von Belarus als unverzichtbar an. Diese Sicht speist sich aus den traumatischen Erfahrungen der 1990er Jahre, und zwar nicht nur aus der Auflösung der Sowjetunion, sondern auch aus dem wirtschaftlichen Niedergang.

Der Fokus auf den Raum zwischen Europa und Asien scheint ein Kernelement dieser Ideologien zu sein. Dabei assoziieren die meisten westlichen Beobachter:innen den „Eurasianismus“ mit Alexander Dugin.
Dugin hatte sicherlich eine Hochphase in den späten 1990ern. Auch Anfang der 2000er war er noch als Gast in Parlamentsausschüssen und militärischen Beratungsgremien. Aber der Wunsch, dass Russland ein eigener weltpolitischer Pol in einer multipolaren Welt sein soll, ist sehr verbreitet. Dugin ist nicht der Verursacher. Nicht allein sein Denken hat die russische Elite geprägt. Dugin vertritt auch keinen klassischen Eurasianismus, der sich eher nach Osten orientiert. Indem er deutsche und britische Überlegungen aus der Zwischenkriegszeit miteinbezog, prägte Dugin eine eigene Marke. Seine Idee war zunächst, dass Russland mit dem wiedervereinigten Deutschland und Japan eine geopolitische Achse aufbauen kann. Hier sehen wir das deutsche geopolitische Denken der 1930er.

Dugin orientierte sich also nach Europa.
Ende der 1980er brach Dugin auf, um die „Neue Rechte“ in Frankreich und den italienischen Faschismus zu studieren. Mit der europäischen Rechten verbindet ihn die Ablehnung des Bündnisses mit den USA und das Nein zur Europäischen Union. Er denkt bis heute, dass Europa eine Allianz mit Russland gegen den Transatlantismus braucht. Aus Enttäuschung, dass die Ablösung von den USA in Deutschland und Europa nicht einsetzte, vollführte Dugin jedoch eine nicht untypische Hinwendung nach Osten. Nach China, aber auch zum Iran. Dugin pflegt sehr aktive Beziehungen nach Teheran, wo er die Verkörperung eines „traditionellen Islams“ erblickt. Hier liegt im Moment seine Vorstellung von Gesellschaft und Staatlichkeit, die in Russland wenig Sympathie findet.

Kommen wir zu Russland zurück. Dugin ist nicht der einzige rechtsradikale Ideologe. Doch lassen sich alle dem Eurasianismus zuordnen?
Bleiben wir beim Isborsk-Klub. Er vereint Monarchisten, Neo-Stalinisten, russisch-orthodoxe Konservative. Nur eine Frau findet sich in diesem Männerbund. Alle diese russischen „Patrioten“ wollen, dass sich Russland als eine eigenständige Macht im eurasischen Raum behauptet. Doch das wird unterschiedlich begründet. Der Eurasianismus denkt in geografischen Räumen, die russische Identität erscheint dann als eine Symbiose von West und Ost. Der Einfluss von Völkern aus der Mongolei wird miteinbezogen. Zum Klub gehört aber auch jemand wie Tichon, der Metropolit der Russisch-Orthodoxen Kirche ist. Er gilt als Beichtvater von Putin, hat Bücher verfasst und betätigt sich als Regisseur.

Menschen wie Tichon argumentieren mit der Religion?
Orthodoxe Konservative und Monarchisten betonen vor allem die russisch-orthodoxe Kultur. Es ist demnach die Kirche, die Russland eine Identität verleiht. Sie beziehen sich auf das griechisch-orthodoxe Byzanz und sehen sich in der Tradition Dostojewskis, der Moskau als „Drittes Rom“ bezeichnet hat. Das hat mit Islam, Asien oder den Turkvölkern im eurasischen Raum wenig zu tun.

Ist ein russischer Nationalismus der kleinste gemeinsame Nenner dieser verschiedenen Gruppierungen?
Die Frage nach dem russischen Nationalismus beschäftigt mich schon seit langem. Aus unserer europäischen Perspektive benutzen wir vorschnell dieses Wort. Nationalismus verbinden wir mit der Existenz eines Nationalstaats und einer Nation als einer vorgestellten Gemeinschaft, die oft, aber nicht immer mit der Schaffung einer homogenen ethnisch-kulturellen Basis verbunden ist. Diesen Nationalismus gibt es auch in Russland, meist gerichtet gegen Kaukasier oder Zentralasiaten. Nicht selten ist er auch antisemitisch. Aber ein strikter Ethnonationalismus ist relativ marginalisiert, er wird ab 2006 aktiv unterdrückt. Sehr viel wichtiger ist ein imperiales Denken. Das unterscheidet sich vom ethnischen Nationalismus, da es inklusiver sein muss. Ohne diese Unterscheidung verstehen wir nicht, warum der Kreml im Chor mit dem konservativ-rechten Lager russische Großmachtansprüche betont, während er den Nationalismus im Baltikum und der Ukraine als chauvinistisch verteufelt.

Dennoch scheint das „imperiale Denken“ mit dem Anspruch auf eine russische Führungsrolle im slawischen Raum verbunden zu sein. Steckt darin nicht doch ein chauvinistischer Nationalismus?
Der Nationalismus hängt am Nationalstaat. Putin hat aber unlängst betont, dass die Idee des Nationalstaats für Russland unpassend ist. Russland sei demnach ein multiethnischer Staat, eine Zivilisation oder eben ein Imperium. Imperien haben auch keine so feste Grenzen wie Nationalstaaten. Recht gut mit imperialem Denken verträgt sich hingegen ein großrussischer Nationalismus. Beide sind auf ihre Weise chauvinistisch oder hegemonial, da sie die russische Kultur und Nation gegenüber anderen als überlegen ansehen. Der großrussische Nationalismus, der zum Angriff auf die Ukraine beigetragen hat, erachtet Belarus und die Ukraine als essenzielle Bestandteile des russischen Volkes. Streng genommen unterscheidet er sich vom Eurasianismus, dessen Fokus primär auf dem Raum zwischen Europa und Asien liegt. Die Niederschlagung der Protestbewegung in Belarus und der Angriff auf die nach Westen orientierte Ukraine gefährden aber letztlich das eurasische Integrationsprojekt. Mit Gewalt lässt sich kein langfristiges Bündnis schmieden.

Der Eurasier Alexander Dugin engagiert sich beim Think-Tank Katehon, den der frühere Investmentbanker und bekennende Monarchist Konstantin Malofejew gegründet hat. Im Aufsichtsrat dieser rechtsradikalen Denkfabrik findet sich aber auch Andrej Klimow. Klimow ist Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“, er sitzt im gesetzgebenden Föderationsrat.
Sie sehen, dass das neo-imperiale Denken schon lange kein Randphänomen darstellt. Die verschiedenen Strömungen finden eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame geoökonomische Agenda. Für Untersuchungszwecke muss man sie dennoch unterscheiden, selbst wenn sie sich oftmals überlappen. Auch der offizielle Diskurs changiert zwischen verschiedenen Konzeptionen. Denn Russlands nationale Identität ist nicht gefestigt. Das Land sucht danach. Und da es sich unter der jetzigen Führung gegen die westliche Integration entschieden hat, werden die erstrebenswerten „traditionellen Werte“ in exakter Abgrenzung zum heutigen „Westen“ konzipiert.

Das Artikelbild wurde unter der Creative-Commons-Lizenz  CC BY 2.0 veröffentlicht.

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