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Sachsen-Anhalt 2017 Halle als Zentrum der „Neuen Rechten“

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Spontane Ersatz-Demonstration des Antikapitalistischen Kollektivs in Apolda. (Quelle: Screenshot YouTube, 16.01.2018)

 

Hotspot: Halle

Die Neonazi-Demonstration in Halle mit rund 500 Teilnehmer_innen war die bei weitem auffälligste extrem rechte Veranstaltung am 1. Mai. 3-4.000 Gegendemonstrant_innen setzten in Halle ein klares Zeichen gegen Nazis. Zudem sorgten Blockaden der Gegendemonstrant_innen dafür, dass die von der Partei “Die Rechte” organisierte Demonstration überhaupt nicht in die Gänge kam. Es kam zu zwei schweren Angriffen der auf Polizisten und Gegendemonstrant_innen der angereisten Neonazis.

Nachdem die Neonazis ihre Kundgebung beenden mussten, kam es zu schwerwiegenden Vorfällen: So warfen Rechtsextreme aus einem fahrenden Auto heraus einen Sprengkörper in Richtung einer Gruppe von Jugendlichen, der mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte. Es flogen Flaschen und andere Gegenstände auf die Jugendlichen. Aus dem hinteren Auto wurde Reizgas versprüht. Dann sprangen mehrere Angreifer mit Metallstangen und Teleskopschlagstöcken aus den Autos und schlugen gezielt auf die Köpfe der Angegriffenen. Der Vorfall dauerte etwa zwei Minuten, bevor die Rechtsextremen mit ihren Autos flüchten konnten.

Eine spontane Ersatz-Demonstration des Antikapitalistischen Kollektivs in Apolda endete ebenfalls in Gewalt, führte zu hundert Festnahmen und Teile der Demonstranten fanden sich mit Kabelbindern gefesselt am Boden wieder.

Kontrakultur – IfS – Burschenschaft “Halle-Leobener Germania”

Im gesamten Jahr 2017 sorgte die “Identitäre Bewegung” mit ihren rassistischen und menschenverachteneden Aktionen für Aufregung.  Im Fokus der Aufmerksamkeit stand besonders der regionale IB-Ableger in Halle, die “Kontrakultur”. Das selbsternannte Leuchtturmprojekt mit dem „Kontrakultur“-Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle, direkt gegenüber des Steintorcampus der Martin-Luther-Universität, ist das Aushängeschild der Neuen Rechten in Sachsen-Anhalt. Vier „Identitäre“ sollen dort dauerhaft wohnen, Untermieter ist AfD-Funktionär Tillschneider, dre hier sein Parteibüro hat. In Sachsen-Anhalt bieten die Wahlerfolge der AfD zur Landtagswahl 2016 den politischen Rückhalt, den ein solches Projekt braucht. Mit dem Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider haben die „Identitären“mindestens einen engagierten Fürsprecher als Unterstützer im Parlament.

Der Kopf der Kontrakultur in Halle, Mario Alexander Müller, war lange Zeit in der niedersächsischen Kameradschaftsszene und bei den “Jungen Nationaldemokraten” aktiv. Die meisten der rechten Aktivisten sind Mitglieder der Burschenschaft “Halle-Leobener Germania”. Die “Germania” gilt als  Anlaufpunkt für die regionale und überregionale Neonazi-Szene und auch als gut vernetzt mit der Neuen Rechten.

Das Haus der Rechtsextremen war im Oktober auch Ziel eines Angriffes. Es wurden die Kameras am Haus mit Farbe besprüht, Steine geworfen und Mülltonnen in Brand gesteckt. Die unbekannten Angreifer bohrten ein Loch in die Haustür und schütteten Buttersäure in den Hauseingang.

Mitte November verletzten zwei IB-Mitglieder zwei Zivilpolizisten vor ihrem Haus, da sie die Beamten fälschlicherweise für Demonstrant_innen gehalten hatten.

Warum der IB-Ableger ausgerechnet in Halle so aktiv ist, liegt besonders an der räumlichen Nähe zum “Institut für Staatspolitik” (IfS) in dem knapp 50 Kilometer entfernten Schnellroda. Viele Themen der Neuen Rechten in Deutschland und Österreich werden im IfS diskutiert – auch solche, die später in Aussagen der AfD Eingang finden. “Kontrakultur” erhält aus Schnellroda auch finanzielle Unterstützung über die neurechte NGO “Ein Prozent für unser Land”, deren Gründer ebenfalls Götz Kubitschek ist. Das IfS gibt sich gern als intellektuelle Instanz der Neuen Rechten. Unter dem Einfluss des “Instituts für Staatspolitik”, der “Kontrakultur” und der Burschenschaft “Germania” könnte sich Halle zu einem Zentrum der Neuen Rechten entwickeln. Allerdings gibt es vor Ort auch gut organisierte Strukturen die dagegen halten. Des Weiteren hat sich die Berichterstattung der regionalen Medien im Laufe des Jahres ein wenig verändert. Durch die andauernden teils bewaffneten Einschüchterungsversuche durch “Kontrakultur”-Mitglieder an der Universität Halle dass die Identitären nicht nur selbstdarstellerische Narzisten, sondern gewalttätige Menschenfeinde sind.

Parteien

Ab Ende Mai kam es zu einer kleinen Austrittswelle der AfD-LandtagsfraktionGründe für den Austritt waren unter anderem, der offensichtliche Rechtsruck innerhalb der Fraktion durch die Nähe der Partei zur “Identitären Bewegung”. Interne Streitigkeiten in der AfD Sachsen-Anhalt führten dazu, dass der Landesvorstand Nominierungen von drei Bundestagskandidaten aufgehoben hat. Die Entwicklung bei den parteigebundenen Anhängern der NPD Sachsen-Anhalt stagniert oder ist sogar leicht rückläufig. Die NPD unter ihrem Landesvorsitzenden Peter Walde hat unverändert einen Mitgliederstand von 220. Diese verteilen sich auf elf Kreisverbände. Landesweit stellt die Partei auf kommunaler Ebene noch über 20 Mandatsträger. Bei der Bundestagswahl wählten 9.737 bzw. 0,8 % der Bürger_innen in Sachsen-Anhalt mit ihrer Zweitstimme die NPD. Der frühere NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke ist vor dem halleschen Amtsgericht vom Vorwurf der versuchten Körperverletzung freigesprochen worden. Obwohl der Richter keine Zweifel an seiner Schuld hatte, musste er Schmidtke wegen unzureichenden Beweisen freisprechen. Die Polizei hatte Namen und Adresse des einzigen Zeugen verschlampt.

Die neonazistische Kleinstpartei „Die Rechte“  hat vier Kreisverbände und zählt unter dem Landesvorsitzenden Ingo Zimmermann etwa 30 Mitglieder. Die Partei war unter anderem Veranstalter der Neonazi-Demonstration in Halle.

Reichsbürger

Die Berichterstattung über die Reichsbürger-Szene in Sachsen-Anhalt war vor allem durch die Prozesse gegen Adrian Ursache und Peter Fitzek geprägt. Das Landgericht Halle hat eine Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten gegen den „Reichsbürger“ Peter Fitzek verhängt. Der selbsternannte „König von Deutschland“ wird Untreue in 27 Fällen zur Last gelegt, der Verurteilte reagierte auf das Urteil mit wüsten Beschimpfungen. Zudem haben die Behörden das Gelände in Wittenberg Zwangsgeräumt.

Adrian Ursache, 43, ehemaliger Mister Germany und heute Handyverkäufer und Solar-Unternehmer, gehört zum Milieu der „Selbstverwalter“. Auf seinem Grundstück in Reuden in Sachsen-Anhalt hatte er den Fantasie-Staat „Ur“ ausgerufen. Ursache ist wegen versuchten Mordes, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Verstoßes gegen das Waffengesetz vor dem Landgericht Halle angeklagt. Er soll beim Polizeieinsatz am 25. August 2016 gezielt auf den Kopf eines SEK-Beamten geschossen und ihn dadurch verletzt haben. Im Verlauf des Verfahrens gewinnt Ursache allerdings zunehmend Boden – weil sich Verfahrensfehler häufen und die Hilflosigkeit der Behörden im Umgang belegen. Das staatliche Fehlversagen könnte zu einer weiteren Radikalisierung des „Reichsbürger“-Milieus beitragen.

„Trauermärsche“ in Magdeburg und Dessau

In der Landeshauptstadt fand eine Mahnwache des “Bündnis gegen Rechts Magedurg”, gegen die Verklärung des 16. Januars statt. Zu einer ähnlichen Veranstaltung kam es am 11.03 auch in Dessau. In den vergangenen Jahren versuchen Neonazis aus der Region, die Bombardierung Magdeburgs und Dessaus geschichtsrevisionistisch aufzuladen, um sie für ihre Opfermythen zu instrumentalisieren. Die „Trauermärsche“ haben jedoch in den vergangen Jahren erheblich an Bedeutung eingebüßt. Die vermeintliche Irrelevanz der Märsche ist mit Sicherheit zum Großteil ein Verdienst der regelmäßigen Gegenveranstaltungen.

Mehr Rechtsextreme Konzerte in Privaträumen

Die Zahl der Rechtsrock-Konzerte hat in Sachsen-Anhalt im vergangen Jahr einen neuen Höchsstand erreicht. Die Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins “Miteinander” zählte 37 Konzerte, gegenüber 27 im Vorjahr. Zudem geht der Trend stark zu Konzerten in privaten Räumen, um den Einfluss der Polizei auf die Veranstaltungen zu minimieren.

Oury Jalloh

Schon seit Jahren bezweifeln Freunde von Oury Jalloh und NGOs die These der „Selbstanzündung“, die bisher in Ermittlungsverfahren zum Tod Jallohs in einer Dessauer Polizeizelle vertreten wurde. Nun gibt Ihnen ausgerechnet ein Staatsanwalt recht, der bisher Fremdeinwirkung stets verneint hat. Angesichts der neuen Erkenntnisse im Fall Oury Jalloh, fordern Migrant_innenorganisationen, Opferberatungsstellen und Flüchtlingsrat juristische und politische Aufarbeitung.

 

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