Bei der Wahl am Sonntag in Sachsen-Anhalt hat die AfD zwar Stimmen verloren, sie liegt aber immer noch bei 20,8 Prozent. Klarer Sieger dieser Wahl ist die CDU mit 37,1 Prozent. Noch vor der Wahl war die Angst groß, die rechtsradikale AfD könnte die stärkste Kraft werden. Prognosen sahen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU. Viele Wähler:innen wählten wohl auch aus taktischen Gründen die CDU, um so eine AfD als stärkste Partei zu verhindern. Die AfD musste im Vergleich zur letzten Wahl 2016 3,5 Prozent einbüßen. Nun also ein klarer Sieg für die Union. Ist das ein Grund zur Freude? Nein.
Die CDU als Brandmauer gegen die AfD?
Die CDU hat in Sachsen-Anhalt wohl vor allem deswegen so hoch gewonnen, weil vor allem Wähler:innen von SPD, Grüne, Linke und ehemalige Nichtwähler:innen verhindern wollten, dass die AfD als stärkste Partei abschneidet. Ganz ähnlich wie 2019 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Gegen Ende des Wahlkampfes machte die CDU in Sachsen-Anhalt immer wiede deutlich, dass es keine Koalition mit den Rechtsradikalen geben werde. „Es ist natürlich gut, dass sich die CDU auf den letzten Metern des Wahlkampfes klar von der AfD abgegrenzt hat und sich als Brandmauer gegen die Rechtsradikalen sieht“, so Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. „Jetzt muss die CDU – und die anderen Parteien auch – ihre Abgrenzung auch wahr machen. Sie muss den Begriff alltagstauglich machen, mit Leben füllen und der Zivilgesellschaft zeigen, dass sie tatsächlich die Brandmauer ist, als die sie sich jetzt sieht.“
Der große Gewinner
Dabei zeigt ein Blick auf den CDU-Wahlkampf in Sachsen-Anhalt, dass die Partei in Teilen AfD-ähnliche Themen setzte: Wenig überraschend geht es der CDU um eine stärkere Law-and-Order-Politik. Noch am 5. Mai lobte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, Reiner Haseloff habe den Menschen „den Stolz auf Ihre Heimat zurückgegeben“. Den Hauptfeind machten die Christdemokrat: innen im Kommunismus aus. Und dennoch haben sie jetzt von einer klaren Abgrenzung zur AfD profitiert. Was genau mit „Abgrenzung“ gemeint ist, bleibt indes unklar.
Die Diskursverschiebung
Das taktische Wahlverhalten unter Wähler:innen der demokratischen Parteien ist zwar nachvollziehbar, aber es ist auch gefährlich: Das Lager aus CDU und AfD scheint dadurch größer als es eigentlich wäre. Und das bedeutet auch, dass konservative Themen in den Vordergrund rücken. So findet eine Diskursverschiebung statt, die letztendlich nur der AfD nützt.
Das Märchen von der Protestwahl ist auserzählt
Ein Grund zur Freude ist das Wahlergebnis also nicht. Immerhin haben 20,8 Prozent eine rassistische, antimoderne und in großen Teilen antidemokratische Partei gewählt. Und dies, obwohl oder auch weil die AfD in Sachsen-Anhalt ein offen rechtsradikales Wahlprogramm vorlegte und der gesamte Landesverband vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Bei der letzten Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt waren es noch 24,3 Prozent. Damals war das Wahlkampfthema der AfD rassistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete. Bei der jetzigen Wahl gab es solch ein Haupt-Narrativ nicht. Damit sollte nun auch dem letzten Menschen klar sein, dass ein Kreuz bei der AfD nichts mit einer Protestwahl gegen „die da oben“ zu tun hat – es ist vielmehr Ausdruck einer anti-demokratischen Überzeugung, die sich mindestens gegen etablierte demokratische Parteien richtet – oder gleich gegen die Demokratie als System.
Radikalisierte junge Männer
Insgesamt wählten Männer fast genauso gern die CDU (31 Prozent) wie die AfD (29 Prozent), Frauen machten ihr Kreuz hingegen öfter bei der CDU (39 Prozent) als bei der AfD (18 Prozent). Beim Blick auf die Wähler*innen der AfD ist ein Punkt besonders besorgniserregend: Laut infratest dimap-Umfragen wählten junge Männer zwischen 18 und 24 Jahren mit 22 Prozent mehrheitlich die AfD, gefolgt von der CDU mit 17 Prozent. Die nächsten Alterskohorten sind noch deutlicher: Männer zwischen 25 und 34 Jahren gaben zu 35 Prozent ihre Stimme der AfD (CDU: 20 Prozent) und Männer zwischen 35 und 44 Jahren wählten zu 36 Prozent die AfD (CDU: 27 Prozent).
Die Generation Baseballschlägerjahre
„Es gibt ein stabiles, anti-demokratisches Milieu in Sachsen-Anhalt“, analysiert Benjamin Winkler, Leiter des Büros der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen, die erschreckenden Zahlen. „Dieses Milieu besteht nicht unbedingt aus Menschen, die noch als junge Erwachsene oder ältere Jugendliche in der DDR gelebt haben haben, sondern viele haben die DDR, wenn überhaupt, nur als Kinder erlebt.“ Es ist also die Generation Baseballschlägerjahre, die Wendegeneration, die in ostdeutschen Bundesländern besonders treu zur AfD steht.
Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete und Ostbeauftragte Marco Wanderwitz löste im Vorfeld der Wahl eine Debatte aus, die in ähnlicher Form regelmäßig zu Wahlen in Ostdeutschland aufkommt. In einem FAZ-Podcast sagte er, dass Menschen in Ostdeutschland teilweise „in einer Form diktatursozialisiert“ und nicht in der Demokratie angekommen seien. Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler:innen sei „potentiell rückholbar“, man könne darum nur „auf die nächste Generation“ hoffen. Die Zahlen des Wahlabends sprechen eine andere Sprache.
Debatte über anti-liberale und autoritäre Haltung notwendig
Besonders Parteikolleg:innen aus ostdeutschen Bundesländern waren über Wanderwitz’ Aussagen empört. Konstruktiv wurde diese Diskussion seither nicht weitergeführt. Doch auch die Wahl in Sachsen-Anhalt zeigt, dass wir uns dringend dieser Debatte stellen müssen. Die Gesellschaft muss sich der Tatsache stellen,, dass erschreckend viele Ostdeutschen eine anti-liberale und autoritäre Haltung haben. Diese Debatte wird unangenehm sein, weil wir uns eingestehen müssen, dass ein demokratisches Grundverständnis auch in Deutschland nicht per se gegeben ist und dass offenbar ein relevanter Teil der ostdeutschen Bevölkerung kein demokratisches Verständnis von Gesellschaft hat. Vielleicht müssen wir uns sogar eingestehen, dass unsere demokratische Politik 31 Jahre nach der Wiedervereinigung vor Teilen der Bevölkerung kapitulieren muss, weil diese Menschen nicht mehr für die Demokratie zu gewinnen sind. In jedem Fall können wir nicht mehr die Augen vor diesen drastischen Zahlen verschließen. Denn bei den nächsten Wahlen werden die AfD-Wähler:innen ähnlich wählen und auch die tief verwurzelte rassistische Grundstimmung wird bleiben.
Das Wahlergebnis aus Sachsen-Anhalt zeigt, dass die AfD eine starke Kernwählerschaft hat, und dass besonders junge Menschen, besonders Männer, rechtsradikal wählen. In Anbetracht der Altersgruppen müssen wir uns auch fragen, ob und wie tendenziell demokratiefeindliches und diktatursozialisiertes Gedankengut innerhalb von Familien weitergegeben wird, von Generation zu Generation.
Nachhaltige und langfristige Perspektiven für die Zivilgesellschaft
Wie kann und soll die Zivilgesellschaft aber nun auf lange Sicht mit dieser sehr stabilen Wählergruppe umgehen? Wie können wir radikalisierte junge Männer für die Demokratie zurückgewinnen? Um dem starken rechten Klima entgegentreten, braucht es nicht nur eine demokratische Haltung bei den demokratischen Politiker:innen, meint Benjamin Winkler, „sondern auch eine starke, lokale und überregionale Zivilgesellschaft und diese darf nicht nur Kampagnen fahren. Sie muss eine nachhaltige, langfristige Perspektive haben und sie braucht die Unterstützung und den Respekt aus Politik und Behörden.“
Die wahre Brandmauer
Wie auch immer die zukünftige Regierung in Sachsen-Anhalt aussieht: „Sie muss sich klar und stark vor die demokratische Zivilgesellschaft stellen“, fordert Timo Reinfrank. „Diese Wahlen haben mal wieder gezeigt, dass unsere Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Die Menschen, die in Sachsen-Anhalt immer wieder laut gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeiten sind, müssen wir jetzt stärken. Denn sie sind diejenigen, die das Grundgesetz vor Ort verteidigen – jeden Tag.“
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