Sachsen hat eine lebendige Zivilgesellschaft, die sich jeden Tag laut und mutig gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit einsetzt. Aus gutem Grund. Denn Sachsen hat auch 2023 immer noch ein Problem mit Neonazis. Und zwar über die Generationen hinweg. Zwei aktuelle Fälle machen das deutlich.
Männertag unterm Hakenkreuz
In Döbeln im Landkreis Mittelsachsen geht am 19. Mai eine Frau mit ihrer Familie spazieren. Es ist ein Tag nach Christi Himmelfahrt: Vatertag im Westen oder Männertag im Osten. Gefeiert wird in Döbeln offenbar auch noch einen Tag später. Die Frau trifft auf eine Männergruppe, die um ein Lagerfeuer herumsitzt. Dahinter steht ein rot-weißer Pavillion, geschmückt mit NS-Flaggen. Zu sehen ist unter anderem eine große Hakenkreuzfahne und eine Reichskriegsflagge.
Die Passantin filmt die Begegnung. Im Video ist zu hören, wie sie die Männer auf ihr strafbare Partydeko hinweist, die regieren mit unverständlichem Gelalle. Nur einer ist klar zu verstehen: „Was hast du für ein Problem? Hau ab.“ Die Frau verständigt die Polizei. Wie lange es dauert, bis Beamt*innen vor Ort sind, ist nicht bekannt. Die Frau postet das Video auf Twitter. Das Social-Media-Team der Polizei Sachsen fragt nach, ob eine Dienststelle informiert wurde. Die Nutzerin antwortet: „Ja, aber hielt wohl keiner für nötig zu kommen.“ Ob erst die mediale Aufmerksamkeit nach dem Tweet zu einem Einsatz führt, bleibt unklar. Doch immerhin: Beamt*innen tauchen irgendwann auf der Naziparty auf. Die verfassungsfeindlichen Flaggen sind zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits verschwunden. Von 14 Personen werden Personalien festgestellt, mindestens einer der Anwesenden ist bereits wegen einschlägiger Vergehen polizeibekannt. Später am Abend gab es offenbar einen weiteren Hinweis zu der Feier unterm Hakenkreuz. Wieder kommt die Polizei, wieder sind die entsprechenden Fahnen verschwunden.
Der Vorfall erregt Aufmerksamkeit. Das Video der mutigen Frau macht die Runde. Bis nach Österreich. Der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner kommentiert auf Instagram: „Dabei dringt eine Spaziergängerin mit ihrem Hund auf ein Grundstück ein“, beschreibt der Kopf der Identitären Bewegung (IB). Schon an dieser Stelle absurd. Die Nazifeier findet offensichtlich in unmittelbarer Nähe des Fußwegs statt. Der Hund, von dem Sellner bedrohlich raunt, ist ein Chihuahua. Für den rechtsextremen Österreicher ist die Aufregung um den Vorfall aber sowieso aufgebauscht: „Denn ganz ehrlich, unter uns, wem tun die was?“ Vielmehr sollt etwas gegen „Pädophilenskandale und die üblichen Messerfachkräfte“ getan werden, so der Rechtsaußenspendensammler.
Dass für den Österreicher das Zeigen von Hakenkreuzen höchstens ein Kavaliersdelikt zu sein scheint, ist kein Wunder. Die erste bekannte Strafe erhielt der damals 17-Jährige im Jahr 2006. Damals hatte er gemeinsam mit einer anderen Person einen Hakenkreuzaufkleber an die Synagoge im niederösterreichischen Baden geklebt, offenbar als Protest gegen die Verurteilung des britischen Holocaustleugners Davis Irving.
Bemerkenswert an dem Fall der Nazi-Feier ist aber tatsächlich weniger Sellners Auslassungen, sondern vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der Neonazis in Döbeln offenbar auftreten können. Schließlich handelt es sich offensichtlich nicht um ein konspiratives Treffen im Keller, sondern um eine Feier an einem leicht zugänglichen Ort. Neonazis müssen ihre Fahnen nicht verstecken, sondern können ganz offen zu ihrer menschenfeindlichen Gesinnung stehen.
Hitlergruß in Auschwitz
Ein Lebensgefühl, dass sich offenbar Generationen von Sachsen teilen. Denn die Neonazis im Video aus Döbeln, die offensichtlich schon die fünfzig überschritten haben, müssen sich keine Sorgen über ideologischen Nachwuchs aus ihrem Bundesland machen.
Am 4. Mai besuchte eine Schüler*innengruppe aus Leisnig, ebenfalls im Landkreis Mittelsachsen, die Jugendbegegnungsstätte Auschwitz auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers. Am Abend desselben Tages tauchte ein Foto in den sozialen Medien auf, auf dem vier Schüler der Peter-Apian-Oberschule zu sehen sind. Zwei davon zeigen den Hitlergruß in der Gedenkstätte. Immerhin: Die Lehrer*innen der Teenagernazis reagierten schnell. Sie forderte die Gruppe auf, die Fotos zu löschen und erstatteten Anzeige gegen die beiden Jugendlichen. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz gegen die beiden.
Auch die Schule zog Konsequenzen, insgesamt wurden sechs Jugendliche suspendiert. Die Suspendierung wurde mittlerweile zwar wieder aufgehoben, doch die Gruppe erhielten einen „Schulverweis auf Bewährung“. Die Jugendlichen dürfen zwar am Unterricht teilnehmen, sich aber nichts Weiteres zuschulden kommen lassen. Dass die Nachwuchs-Nazis ausgerechnet aus Leisnig kommen ist interessant, denn in den kleinen Ort ziehen schon seit Jahren gezielt militante Neonazis.
Mehrgenerationen-Rechtsextremismus
Die beiden aktuellen Vorfälle zeigen: Rechtsextremismus ist nicht nur 2023 weiterhin ein riesiges Problem in Sachsen, sondern menschenfeindliche Ideologie ist für einige selbstverständlich und wird über die Generationen hinweg weitergegeben. Die Jugendlichen, die in den 1990er Jahren mit Baseballschlägern im Freistaat für Angst und Schrecken unter vermeintlichen „Ausländern“ und politisch Andersdenkenden sorgten, grillen auch heute noch unter Hakenkreuzflaggen und zwar in aller Öffentlichkeit. Währenddessen zeigen die Kinder der Neonazis in Auschwitz den Hitlergruß.
Eine Überraschung ist das nicht. Weder die sächsische Landespolitik, noch die Bundespolitik hat dem Treiben der sächsischen Neonazis viel entgegengesetzt. Konsequenzen für Rechtsextremismus gab es über die Jahre nur selten. Lediglich die Zivilgesellschaft im Freistaat versucht dem entgegenzuwirken. Dass es mehr staatliche Unterstützung gegen Neonazis und menschenfeindliche Ideologien braucht, zeigt sich 2023 immer noch.
Foto: Wikimedia / Jörg Blobelt / CC BY-SA 4.0