Ursprünglich sollte am 9. November 2010 in der Dresdner Frauenkirche der Sächsische Förderpreis für Demokratie verliehen werden. 10 Projekte, die sich in den vergangenen Jahren gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagiert haben, waren nominiert. Der Sonderpreis des Sächsischen Ministerpräsidenten Stanislav Tillich in Höhe von 10.000 Euro ging an Bürger Courage aus Dresden, die insbesondere für ihre Bemühungen, die Bevölkerung auch für den Rassismus in der ?Mitte der Gesellschaft? zu sensibilisieren, ausgezeichnet wurden, erklärte Gesine Schwan, Laudatorin der Veranstaltung und Präsidentin der School of Governance. Der Hauptpreis der vier Stiftungen, Stiftung Frauenkirche, Freudenberg Stiftung, Amadeu Antonio Stiftung und Kulturstiftung Dresden, wurde jedoch nicht verliehen. Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AkuBiZ e.V.) aus Pirna, der eigentliche Preisträger, verzichtete noch vor Bekanntgabe des Gewinners auf die mit ebenfalls 10.000 Euro dotierte Ehrung.
Teilnehmer kritisieren ?antiextremistische? Grundsatzerklärung
Anlass für den Verzicht sei eine ?antiextremistische? Grundsatzerklärung, die zuvor auf Wunsch des sächsischen Innenministeriums von den Nominierten unterzeichnet werden sollte. So mussten die potentiellen Preisträger im Vorfeld der Verleihung erklären, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür ?Sorge (zu) tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten, etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten.? Als mögliche Informationsquellen wurden den Nominierten u.a. die Einsicht der jährlichen Verfassungsschutzberichte sowie Kontrollanfragen bei den Behörden empfohlen. ?Praktisch bedeutet dies, dass wir gezwungen werden zu all unseren Partner_innen [?]Anfragen bei den genannten Institutionen zu stellen. Eine solche Regelanfrage würde zur permanenten gegenseitigen Überprüfung führen und somit die Vertrauensgrundlage für unsere bisher erfolgreiche Demokratiearbeit in Frage stellen?, erklärte das AkuBiZ in einer Stellungnahme zur Ablehnung des Preises. Neben AKuBiZ hatte auch das Antidiskriminierungsbüro Sachsen die geforderte Erklärung in einer Stellungnahme kritisiert.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, zeigte sich anlässlich der Ablehnung des Hauptpreises durch das AKuBiZ betrübt, da sich die Jury aufgrund der ehrungswürdigen Arbeit bewusst für das Projekt entschieden habe. Zugleich übte sie Kritik am Vorgehen des sächsischen Innenministeriums. So habe es im Nachgang der Jury-Sitzung Diskussionen gegeben, in deren Konsequenz sich die Stiftung beinahe vom Förderpreis zurückgezogen hätte. Schließlich entschied sich das Innenministerium, die Extremismus-Klausel von den Projekten unterschreiben zu lassen. ?Wir hätten dagegen Einspruch erheben sollen, aber der Zeitdruck und die Aufregung um die Diskussionen waren zu groß?, bedauerte Kahane die Entwicklung.
Kritik an Bundesfamilienministerin Schröder
Hintergrund der Ereignisse von Dresden bildet die Neuordnung der Extremismusprogramme. 2011 möchte das Bundesfamilienministerium die beiden bisherigen Programme ?Vielfalt tut gut?
und ?kompetent. für Demokratie? zum Bundesprogramm ?Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ zusammen legen. Initiativen, die eine Förderung beantragen, müssen künftig schriftlich nicht nur erklären, dass sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, sondern zudem ihre Kooperationspartner auf deren ?Grundgesetztauglichkeit? prüfen.
Sowohl auf Seiten der Opposition als auch in den Reihen der zivilgesellschaftlichen Initiativen reagierte man empört auf das Vorhaben der schwarz-gelben Regierung. ?Es ist schlicht ein Unding, dass die Regierung eine Art Gesinnungsprüfung für unsere Partner vornehmen will“, erklärte Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüros Sachsen der taz. Steffen Bockhahn, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, sieht in dem Vorgehen der Bundesregierung sogar eine Gefahr für ?das bürgerschaftliche Engagement insgesamt?. Im Fokus der Kritik steht die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Schröder rechtfertigte die Installierung der Extremismusklausel in der Tageszeitung ?Die Welt? mit der Begründung: ?Wer damit schon ein Problem hat, der demaskiert sich selbst? und stellte die Frage ?Wer würde denn allen Ernstes einem bekennenden Pyromanen ein Feuerzeug in die Hand drücken, nur weil der sich auch bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert?“ Treffende Worte für diesen diffamierenden Vergleich fand die Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus, Monika Lazar. Der taz sagte sie: ?Die Pyromanen-Analogie ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich jetzt schon gegen rechts engagieren“, und stellte zudem auch die Kompetenz der Ministerin in Sachen bürgerschaftliches Engagements in Frage. Mit den Geschehnissen in Dresden gewinnt die Diskussion um die Extremismusklausel, wie auch um den Extremismbegriff, weiter an Schärfe.
Fatale Gleichsetzung
Die Neuausrichtung der schwarz-gelben ?Extremismuspolitik? bedient sich auf Grundlage des überholten Extremismusansatzes einer fatalen Gleichsetzungslogik: ?Links- und Rechtsextremismus? seien demnach zwei Seiten derselben Medaille ? antidemokratische Randphänomene, die sich von einer demokratischen ?Mitte? abgrenzen würden. Wie sehr die Vorstellung einer ?demokratischen Mitte? der Realität widerspricht, zeigten erst kürzlich die Ergebnisse einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung. Aber auch die implizite Unterstellung, dass ?Linksextremismus? und ?Rechtsextremismus? beide die Abschaffung von Demokratie und Menschenrechten zum Ziel hätten, verkennt, dass die Ablehnung der Menschenrechte Grundidee rassistischer und nationalistischer Bewegungen ist. 150 Todesopfer rassistischer Gewalt seit der Wende sprechen eine deutliche Sprache.
Generalverdacht macht Opferberatung unmöglich
Leiden unter dieser Gleichsetzungspolitik müssen die Initiativen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung einsetzen und damit auch die davon betroffenen Opfer, denen durch die Bundesprogramme eigentlich geholfen werden soll. Im Hinblick auf die künftig geforderte Antiextremismuserklärung sagte Grit Armonies vom RAA Sachsen e.V.: ?Wir wären gezwungen, Betroffene rechter Gewalt zunächst über deren Hintergrund zu befragen oder Anfragen beim Verfassungsschutz zu stellen. Das widerspricht sämtlichen seriösen Anforderungen an die Betreuung der Opfer von Gewalttaten. Ein Vertrauensverhältnis wäre passé. Ein Generalverdacht gegenüber allen, die sich gegen Rechts engagieren, würde die Arbeit der Opferberatung unmöglich machen.“ Groteske Folge der schwarz-gelben Politik ist, dass künftig gerade die Projekte und Organisationen unter einen Generalverdacht gestellt werden, die sich für eine demokratische Entwicklung engagieren. ?Im Gegensatz zu Frau Schröders Annahme haben wir aber gar keine Maske auf, sondern setzen uns ? unter Gefährdung unserer Gesundheit und unseres Eigentums ? tagtäglich mit unseren Gesichtern und Namen gerne für Demokratie ein?, so der AKuBiZ e.V.
Folgen der Gleichsetzungspolitik
Die Folgen dieser Gleichsetzungspolitik zeigten sich auch im März dieses Jahres in der Kleinstadt Limbach-Oberfrohna als sich unter Federführung des CDU-Stadtverbandes das ?Bündnis für Demokratie und gegen Extremismus und Gewalt? gründete. An der Gründungsveranstaltung nahm auch der NPD-Stadtrat Thorsten Schneider teil. Nach kontroversen Diskussionen, bei denen die Initiatoren zunächst darauf verwiesen, dass die NPD keine verbotene Partei sei, wurde am Ende unter Ausschluss der Öffentlichkeit neben der NPD auch DIE LINKE ausgeschlossen.
In Anbetracht dieser Entwicklung forderten Monika Lazar und Miro Jennerjahn, Landtagsabgeordneter der Grünen Fraktion in Sachsen: ?Würdigen Sie das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger, anstatt die Menschen dafür zu diffamieren! Gestalten Sie Förderprogramme und Preise so, dass damit wirklich demokratisches Miteinander gestärkt wird.?
Auswirkungen der Sächsischen Demokratiepreisverleihung
Derweil hat die Auseinandersetzung um die Folgen der Sächsischen Demokratiepreisverleihung begonnen. Sachsens Landesregierung will die Anti-Extremismuserklärung zur generellen Förderbedingung für Vereinsprojekte machen. „Wir werden künftig bei allen Anträgen für das Förderprogramm ‚weltoffenes Sachsen‘ die Erklärung verlangen“, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Frank Wend, am Mittwoch der Nachrichtenagentur dapd in Dresden. Zugleich wies Wend die Kritik an der Grundsatzerklärung, die am Vortag Auslöser für einen Eklat bei der Verleihung des sächsischen Demokratiepreises war, zurück. „Es handelt sich um das Mindestmaß der auf Bundesebene inzwischen üblichen Erklärung“, so Wend. Die Landesregierung habe bereits vor der Preisverleihung ihre Bedenken gegen den Gewinner-Verein des Demokratiepreises, das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ), zu Ausdruck gebracht. „Außerdem wurde das Auswahlverfahren zunächst von allen Beteiligten gebilligt, auch vom AKuBiZ“, betonte Wend. Daher werde an der Grundsatzerklärung festgehalten. Die Erklärung werde außerdem zur Förderbedingung für Vereine, die sich mit Projekten für Toleranz, Weltoffenheit und eine
demokratische Kultur engagieren und dafür Geld aus dem Programm „weltoffenes Sachsen“ beantragen.
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