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Sächsischer Förderpreis für Demokratie Bunte Perlen Waldheim – Öffentlichen Raum zurückerobern

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Die Bunten Perlen zeigen Präsenz auf dem Marktplatz in Waldheim und erreichen damit, dass dort keine Montagsdemos mehr stattfinden. (Quelle: Bunte Perlen Waldheim)

An einem Montag im Januar 2024 laufen gut 200 Rechtsextreme und Sympathisant*innen auf den Marktplatz in Waldheim zu. Ihr Ziel ist die Kundgebung der Bunten Perlen Waldheim, einer Bürgerinitiative, die nach zwei Jahren wöchentlicher Montagsmärsche die öffentlichen Plätze Waldheims nicht mehr unwidersprochen AfD, Freien Sachsen und Co überlassen will. Ganz langsam, den Aufmarsch begleitend, rollt ein LKW auf die Kundgebung zu. Eine Drohne fliegt bedrohlich tief über die Teilnehmer*innen hinweg. Eine Szene, die für die Bunten Perlen Waldheim eindrücklich, aber bei Weitem kein Einzelfall ist.

Lautstark Parolen schreiend, mit Trommeln und trötend, ziehen Anhänger*innen der AfD und der Freien Sachsen seit zwei Jahren durch die Kleinstadt in Mittelsachsen. Und die Verwaltung? Schreitet nicht ein. Offizielle Teilnehmendenzahlen gibt es nicht, da die Kundgebungen und Demonstrationszüge nie angemeldet wurden. Im Januar 2024 beschließt eine kleine Gruppe von Waldheimer*innen um Cindy Reimer und Josephine Döring, den montäglichen Aufmärschen rechtsextremer Gruppen mitten im Ort nicht mehr tatenlos zuzusehen. Binnen einer Woche und an allen darauffolgenden Montagen bis zu den Europawahlen ein halbes Jahr später melden sie auf dem Marktplatz Kundgebungen und Veranstaltungen an, um den Demokratiefeind*innen die Plattform zu entziehen. Seitdem sind die Montagsspaziergänger*innen ebenfalls gezwungen, ihre Demonstrationen anzumelden – denn der öffentliche Raum gehört ihnen eben nicht selbstverständlich.

Immer wieder kommen dabei die Rechtsextremen den Bunten Perlen bedrohlich nahe, denn anstatt die Demonstrationsrouten zu verlegen, werden sie zwischen den zwei Veranstaltungen der Bunten Perlen auf dem Ober- und Niedermarkt hindurchgeführt. „Das ist auch eine Besonderheit“, sagt Josephine Döring, „dass diese Kundgebungen so nahe beieinander sind. Man guckt sich ja wirklich in die Augen. Du läufst am Montag aneinander vorbei und kaufst am Dienstag dein Brötchen bei der entsprechenden Person der anderen Seite. Gesicht zeigen, das stimmt bei uns einfach. Da ist nichts Anonymes.“ Unter diesen Umständen andere Bürger*innen zu zivilgesellschaftlichem Engagement zu motivieren, ist eine besondere Herausforderung.

Auf der Suche nach Unterstützung

Waldheimer Bürger*innen organisieren sich auf dem Marktplatz. (Bunte Perlen Waldheim)

In Waldheim gibt es keine Anlaufstelle für progressive Themen, keinen Jugendclub, keine engagierte Kirchgemeinde. Wie also zu einem Bündnis aufrufen? Die Initiator*innen der Bunten Perlen entschließen sich, E-Mail-Listen auf ihren Veranstaltungen auszulegen und Interessent*innen zu einem Bündnistreffen einzuladen. Aber schon die Suche nach einem geeigneten Ort gestaltet sich schwierig. Alle Räume der Stadt, aber auch das Gemeindehaus, bleiben den Bunten Perlen verschlossen. Schließlich kommen sie in einer Nachbargemeinde unter, später in Privaträumen. Wie viele Personen der Einladung zum ersten Treffen folgen werden, bleibt bis zum Schluss unklar. Ein aufregender Moment für die kleine Gruppe. „Es hätte ja auch sein können, dass wir zu dritt bleiben. Dann waren wir 18, der Stamm, der jetzt auch zum großen Teil noch da ist.“ Ein bunter Haufen versammelte sich damals. Menschen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund und verschiedenen Einstellungen. Junge Familien, Unternehmer*innen, Personen, die sich als ‚Sofademokraten‘ oder politisch uninteressiert bezeichnen und langjährig Aktive. „Es gab oft Konflikte, aber trotzdem ist es eine coole Gruppe geworden, die zusammenarbeitet, die gute Sachen macht und es ist erstaunlich, was da in so kurzer Zeit gewachsen ist.“

Die Zusammenarbeit mit der Stadt bleibt unterdessen schwierig. Dem Bündnis wird nahegelegt, nicht auf beiden Seiten des Marktes Veranstaltungen anzumelden, um einer eventuellen Anmeldung der AfD buchstäblich nicht im Wege zu stehen. Im Laufe der Zeit werden die Bunten Perlen so immer weiter an den Rand des Marktes verschoben, „dass wir quasi nach rechts gerückt sind. Also wirklich so, dass wir den Platz verlassen müssen, den wir zuerst angemeldet haben. Das ist ja auch was Symbolisches.“ Bei den Kooperationsgesprächen mit Behörden müssen sich die Bunten Perlen gegen den Vorwurf wehren, sie würden die Stadt diffamieren. Cindy Reimer kontert: „Waldheim steht schlecht da, weil hier seit zwei Jahren unangemeldet Neonazis rumlaufen!“

Eine Aktion, die bundesweit Aufsehen erregte, war der Spendenlauf, bei dem für Teilnehmer*innen der Montagsaufmärsche pro gelaufenem Kilometer Spenden an gemeinnützige Organisationen ausgezahlt wurden. Die Vertreter*innen der Stadt erregte diese kreative Protestform derart, dass geschrien und vor Wut mit der Faust auf den Tisch geschlagen wurde.

Mitunter bekommen die Bunten Perlen aber auch unerwartete Unterstützung. So beispielsweise von der Döbelner Polizei und ihrem Revierleiter, der die Bunten Perlen immer wieder bei der Umsetzung ihrer Veranstaltungen unterstützt.

Anybody out there?

Das Bündnis versucht von Anfang an, durch ein breites Angebot verschiedener Veranstaltungsformate einen Zugang zur Bürgerschaft Waldheims zu bekommen. So veranstalteten sie ein Straßenfest, eine Märchenstunde, literarische Osterspaziergänge, Konzerte. Der Spendenlauf und das Mitbring-Dinner, unterstützt von der Musikgruppe Banda Comunale, erhalten viel Aufmerksamkeit und Zuspruch. Doch das Fazit ist ernüchternd: „Das waren die Gesichter, die man kannte, halt aus den Städten Döbeln, Leisnig und so. Da sind keine gekommen, die vorher nicht da waren“, berichtet Josephine Döring.

Dass sich die Waldheimer*innen nicht auf die Veranstaltungen trauen, können die beiden engagierten jungen Frauen sogar nachvollziehen. Vor allem die Angst, den Nazis am nächsten Tag an der Supermarktkasse wieder zu begegnen, ist real. Eine Lösung: Die Unterstützung aus anderen Gemeinden. Die Netzwerke in der Region sind ein

Auch Bürger*innen aus Nachbargemeinden nehmen an den Demonstrationen in Waldheim teil. (Bunte Perlen Waldheim)

wichtiges Rückgrat – Bündnisse aus anderen Städten nehmen regelmäßig an den Veranstaltungen der Bunten Perlen teil und auch die Perlen fahren immer wieder nach Bautzen, Döbeln oder Leisnig. Oft reicht das trotzdem nicht aus, um dem hohen Mobilisierungspotenzial der Rechtsextremen eine eindrückliche Menschenmenge entgegenzusetzen.

Was die Bündnisse auf dem Land benötigen, ist die Unterstützung aus den Großstädten, betonen Reimer und Döring immer wieder und berichten von einem besonders enttäuschenden Moment: „Eine Besonderheit ist, dass wir so eine mediale Reichweite haben. Nach unserer zweiten Demo haben wir einen Aufruf gestartet, der viral gegangen ist.“ Die Anreise aus den Großstädten wurde geplant, mit der Deutschen Bahn und der Polizei gesprochen. „Und dann sind zehn Leute aus dem Zug ausgestiegen.“

Wie es weitergeht

Es ist eine überschaubare Gruppe hochengagierter Personen, die die demokratische Zivilgesellschaft auf dem Land am Laufen halten. Dafür opfern sie einen erheblichen Teil ihrer Freizeit, viele kämpfen sogar mit Burnout und müssen sich zeitweise zurückziehen. Die Solidarität unter den Engagierten ist groß, alle haben Verständnis für die persönlichen Grenzen jeder*s Einzelnen.

Doch Aufgeben ist für die Bunten Perlen keine Option. Jeder in den Weg gelegte Stein, so scheint es, regt ihre Kreativität nur umso mehr an. Voller Stolz erzählen die beiden Frauen davon, wie aus einer Kooperationsidee mit der Bibliothek, eine Ausstellung mit Kinderbüchern zu Themen wie Toleranz, Ausgrenzung oder Migration zu realisieren, eine eigene kleine Büchersammlung geworden ist. Und das trotz Hürden: Die Stadtverwaltung hatte dem Projekt nur mit der Vorgabe zugestimmt, sie nicht über die Bunten Perlen Waldheim zu realisieren. Die Initiative brach die Kooperation daraufhin ab, machte den Vorgang öffentlich und konnte Buchverlage für Spenden gewinnen. Mit den so zustande gekommenen 150 Büchern sollen jetzt Leihboxen, beispielsweise für Kitas, zusammengestellt werden. Auch eine Kooperation mit den Omas gegen Rechts und den Leseomas ist in Planung.

„Wir haben ja eigentlich das Originalziel erreicht. Die Nazis laufen nicht mehr“, berichtet Cindy Reimer lachend. Bedeutet das das Ende der Bunten Perlen? Fehlanzeige. Jetzt gehe es darum, sich neu zu strukturieren, weitere Pläne zu schmieden, nicht mehr nur noch auf die Aufmärsche zu reagieren, sondern zu schauen, wo sich jede*r Einzelne proaktiv einbringen kann – für eine bunte Waldheimer Zivilgesellschaft.

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