Der Theaterplatz in Dresden ist das kulturelle und architektonische Zentrum der Stadt. Tourist*innen und Kunstliebhaber*innen treffen hier auf bedeutende Bauwerke wie die Semperoper, den Zwinger, die Hofkirche und das Residenzschloss. Doch Kunst und Kultur bilden nur eine Seite der Geschichte dieses Platzes. Am 1. Mai 1933 füllten tausende Menschen den Platz, um einem der ersten großen Aufmärsche der Nationalsozialisten nach deren Machtergreifung beizuwohnen. Eine riesige Hakenkreuzfahne prangte an der Semperoper. Der Theaterplatz in Dresden wurde an diesem Tag zur Bühne einer nationalsozialistischen Machtdemonstration.
Doch was bleibt heute von diesen Ereignissen? Wie erinnern wir uns an die Täter*innen von damals und ihre Verbrechen? Die Dresdner Initiative „Dresden WiEdersetzen – Dresden stellt sich quer“ hat mit dem Mahngang Täter*innenspuren ein Erinnerungsprojekt ins Leben gerufen, das die Rolle der Täter*innen während des Nationalsozialismus ins Zentrum rückt. Damit widerspricht die Initiative dem Mythos, Dresden sei ein „unschuldiges“ Opfer des Krieges gewesen, eine Erzählung, die sich die Nationalsozialisten und später auch Rechtsextreme zunutze machten.
Verzerrte Geschichte
Der Mahngang Täter*innenspuren ist ein geführter Stadtrundgang, der an verschiedenen historischen Orten in Dresden haltmacht, um dort die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands sichtbar zu machen. Dort werden von Schauspieler*innen historische Dokumentenauszüge und Berichte vorgetragen. Die Texte, von Studierenden der TU Dresden und der Evangelischen Hochschule zusammengetragen, lassen das historische Geschehen lebendig werden. Hier geht es nicht nur um passives Zuhören. Stattdessen soll der Rundgang den Teilnehmenden ein intensives, aktives Erinnern ermöglichen und sie dazu anregen, sich kritisch mit der Täter*innengeschichte der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
Initiiert wurde der Mahngang vom Bündnis Dresden WiEdersetzen, das sich von 1999 bis 2009 den jährlichen Naziaufmärschen am 13. Februar entgegenstellte. Diese rechtsextremen Aufmärsche, deren Geschichtsrevisionismus mit der Bezeichnung „Trauermärsche“ verharmlost wurde, stützten den Mythos von Dresden als „unschuldige Kunst- und Kulturstadt“, die am Ende des Zweiten Weltkriegs durch alliierte Bombenangriffe zerstört wurde. Kurz nach der Bombardierung 1944 berichteten die Zeitungen von einem „Kulturverbrechen in Dresden“. Eine Erzählung, die sich verfestigte und Dresden zum Symbol für „sinnlose Zerstörung“ und „unschuldige zivile Opfer“ machte. Auch Rechtsextreme nutzten dieses Narrativ, um den Nationalsozialismus zu verharmlosen und über die eigene Szene hinaus zu „Trauermärschen“ zu mobilisieren.
Der Mahngang Täter*innenspuren greift diese Verzerrung der Geschichte auf und zeigt, dass Dresden während der NS-Zeit ein bedeutendes Zentrum der Kriegsindustrie war, dass dort Tausende Zwangsarbeit leisten mussten und die Stadt eine wichtige Rolle in der NS-Rassenideologie spielte. Der Rundgang führt an Orte, die mit den Verbrechen der Nationalsozialisten in Verbindung stehen – von ehemaligen jüdischen Geschäften, bis hin zu Orten, an denen Gewerkschaften zerschlagen und politische Gegner verfolgt wurden. Damit setzt der Mahngang einen deutlichen Kontrapunkt zu der traditionellen Gedenkkultur, die sich lange Zeit fast ausschließlich auf die Opferseite konzentrierte.
Intervention in der Gedenkkultur Dresdens
Der Mahngang fordert eine Erinnerung, die sowohl die Opfer als auch die Täter*innen nicht aus den Augen verliert und die Rolle der Dresdner Bevölkerung und Institutionen in den Verbrechen des Nationalsozialismus thematisiert, so die Organisator*innen. Eine wichtige Intervention, da die Gedenkkultur in Dresden zu lange eine einseitige und verzerrte Sicht auf die Vergangenheit bewahrt hat.
Seit seiner Entstehung hat sich der Mahngang Täter*innenspuren als ein bedeutender Teil der Dresdner Erinnerungskultur etabliert. Seine Intervention richtet sich nicht nur gegen den Rechtsextremismus, sondern auch gegen das gesamtgesellschaftliche Schweigen über die Rolle der Täter*innen. Der Mahngang steht für eine differenzierte und kritisch-reflektierte Erinnerungskultur. Er betont die Verstrickung lokaler Eliten, Unternehmen und Institutionen in die nationalsozialistischen Verbrechen und fordert eine vollständige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
Langwieriger Kampf um eine aktive Erinnerungskultur
Die Anfänge des Mahngangs waren jedoch schwierig. Im Jahr 2011 durfte der erste geplante Rundgang erst nach einer erfolgreichen Klage stattfinden, denn ein „Trennungsgebot“ sollte verhindern, dass Demonstrierende unterschiedlicher Lager aufeinandertreffen. Seitdem ist er ein fester Bestandteil der Dresdner Erinnerungskultur, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung und Unterstützung schwankt. Aber den Mahngang bekannt zu machen, das ist nicht einfach, wie Organisator*innen berichten: „Die Öffentlichkeitsarbeit gestaltet sich schwierig. Die Werbung mit Flyern, Plakaten und in sozialen Netzwerken erreicht weitestgehend nur Personen, die den Mahngang bereits kennen oder sich dafür interessieren. Gerade in einer Zeit, in der Faschisten enorme Wahlerfolge erzielen, ist der Mahngang eine Möglichkeit, die Folgen von Faschismus nachvollziehbar zu machen.“
Trotz dieser Herausforderungen kann der Mahngang Täter*innenspuren auf Erfolge zurückblicken. Im Jahr 2022 unterstützten das Ensemble der Semperoper und die Akademie der Künste das Projekt mit großem Engagement. Die Zusammenarbeit mit Studierenden der Evangelischen Hochschule und der TU Dresden führt regelmäßig zu neuen Texten, die historische Ereignisse für das heutige Publikum aufbereiten. Die Organisator*innen benennen den Erfolg: „Die gute Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden und der Wissenschaft. In der Stadt Dresden wandelt auch durch den Mahngang die Gedenkkultur zur Erinnerungskultur.“
Die Auseinandersetzung mit der deutschen Gewaltgeschichte wird heute dringlicher denn je, da rechtsextreme politische Kräfte versuchen, das Geschichtsverständnis zu prägen und die Verbrechen der NS-Zeit zu verharmlosen. Der Mahngang Täter*innenspuren leistet einen wichtigen Beitrag zu einer lebendigen Erinnerungskultur, die gegen Geschichtsrevisionismus und für eine kritische Aufarbeitung der NS-Verbrechen kämpft. Für die Zukunft sind weitere Mahngänge geplant, mit einem besonderen Fokus auf den 90. Jahrestag der Nürnberger Rassengesetze im Jahr 2025, die auch in Dresden ihre Spuren hinterlassen haben.
Die Initiative steht für die Notwendigkeit einer aktiven und selbstkritischen Erinnerungskultur. Sie fordert uns auf, nicht nur zu gedenken, sondern die Vergangenheit aktiv zu hinterfragen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.