Am 8. März 2022 entschied das Kölner Verwaltungsgericht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als Verdachtsfall einstufen darf. Es ist die folgenschwerste von vier Entscheidungen des Gerichts, die nach einem jahrelangen Rechtsstreit gefallen sind. Die Strategie der AfD, möglichst harmlos zu wirken, ist gescheitert. Kein Wunder, denn selbst mit ausgeschlossenen Mitgliedern arbeitet die Partei weiterhin gut zusammen.
Verfassungsschutz und AfD streiten sich schon seit 2019 vor Gericht. Damals hatte die Behörde bekannt gegeben, dass die AfD als Prüffall behandelt werde. Gegen die öffentliche Bekanntmachung hatte die Partei geklagt und Recht bekommen, der Verfassungsschutz musste alle Mitteilungen zum Thema, inklusive Tweets, löschen. Im März 2021 berichteten mehrere Medien, dass die Partei jetzt als rechtsextremer Verdachtsfall gelten würde. Das Bundesamt äußerte sich dazu nicht. Kurz danach leitetet die AfD einen Eilantrag gegen die Veröffentlichung ein, dem das Gericht nachkam. Die Behörde durfte die Partei zunächst nicht beobachten oder darüber in der Öffentlichkeit sprechen. Ein Urteil hat das Gericht aber erst jetzt gesprochen, weil eine Entscheidung nicht im Wahljahr fallen sollte.
Insgesamt wurden vier Klagen der AfD vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Die Partei hatte gegen die Einordnung des — angeblich aufgelösten — Flügels als „gesichert rechtsextremistische Organisation“ geklagt. Gegen die Einstufung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) als Verdachtsfall. Dagegen, dass der Verfassungsschutz angibt, zum rechtsextremen Flügel würden 7.000 Mitglieder gehören. Und vor allem dagegen, dass die Partei vom Bundesamt als rechtsextremer Verdachtsfall oder „gesichert rechtsextremistisch“ eingeordnet oder beobachtet wird und das öffentlich mitzuteilen.
In zwei Punkten gab das Gericht der AfD recht. Der Verfassungsschutz darf den Flügel nicht mehr als „gesichert rechtsextremistisch“ führen, weil nicht klar sei, ob die Strukturen der innerparteilichen Organisation noch vorhanden sind. Auch deswegen darf das BfV nicht mehr von 7.000 Flügelmitgliedern sprechen. Die Jugendorganisation JA dagegen bliebt Verdachtsfall. Die gesamte AfD aber kann jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet werden, dafür gibt es laut Verwaltungsgericht liegen „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD“ vor, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.
In der Pressemitteilung des Gerichts wird aus der mündlichen Urteilsbegründung zitiert. So übten die „Protagonisten“ des Flügels trotz Auflösung „teils weiter maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei aus“. Ein weiterer Grund für die Entscheidung war der „ethnisch verstandene Volksbegriff“ in JA und Teilen der Partei: „Danach müsse das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand erhalten und sollten ‚Fremde‘ möglichst ausgeschlossen werden. Dies weiche vom Volksbegriff des Grundgesetzes ab.“ Dazu kommen Verschwörungserzählungen wie „Umvolkung“ und „Volkstod“ und rassistische Propaganda. Das Gericht befürchtete, dass der andauernde Richtungsstreit innerhalb der Partei dazu führen könnte, dass „sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen“.
Erst Anfang des Jahres hatte Jörg Meuthen die Partei verlassen und sein Amt als Parteichef niederlegt. Dem ging jahrelanger Streit voraus zwischen dem angeblich gemäßigten Teil der Partei um Meuthen und den (Ex-)Flügel-Anhänger:innen. Meuthen hatte vor allem versucht, der Beobachtung des Verfassungsschutzes noch irgendwie zu entgehen. Mitglieder sollten sich gemäßigter äußern, den Flügel wollte Meuthen sogar als eigene Partei abspalten. Erfolgreich war er damit nicht, sondern wurde immer weiter isoliert. Mit dem Urteil ist die Strategie der Selbstverharmlosung endgültig gescheitert. Kein Wunder, denn hinter der offensichtlichen Fassade von „Bürgerlichkeit“ arbeitet die Partei sogar mit ausgeschlossenen Mitgliedern weiter zusammen. Nach langer juristischer Auseinandersetzung wurde der Brandenburger Rechtsaußen Andreas Kalbitz zwar aus der Partei geworfen, gehört aber weiterhin zur AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag. Frank Pasemann war für die Partei im Bundestag, beschäftigte IB-Sympathisant:innen in seinem Büro und lud zum Beispiel den rechtsextremen Verein „Ein Prozent“ ins Parlamentsgebäude ein. Nachdem er ein Foto von Michel Friedman, dem ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, auf Twitter mit „Der ewige Friedman!“ kommentiert hatte, wurde Pasemann 2020 aus der Partei ausgeschlossen. Heute ist er AfD-Fraktionschef im Stadtrat von Magdeburg.
Tino Chrupalla ist aktuell alleine Parteichef, im Sommer soll es Vorstandswahlen geben. Vor dem Urteil war er noch optimistisch und sagte noch Anfang der Woche: „Sollte es nach Ansicht des Gerichtes also tatsächlich kritische Aspekte geben, die wir nach einer sorgsamen internen Prüfung ebenso bewerten, dann werden wir uns darum kümmern“. Jetzt heißt es, „Uns hat das Urteil des Gerichts überrascht“. Zuerst hatte die Partei versucht zu argumentieren, die Entscheidung des Verfassungsschutzes sei politisch motiviert. Die Bundestagsabgeordnete Christina Baum schrieb auf Facebook: „Der Verfassungsschutz ist nichts weiter als ein ‚Regierungsschutz‘“. Nachdem das Urteil jetzt gefallen ist, sucht die Partei das Problem beim Gericht. „Das ist ein politisches Urteil“, sagte etwa der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk. Björn Höcke raunt auf Facebook über den Verfassungsschutz, die Behörde schütze weder Volk noch Verfassung“, sondern die „Interessen der Mächtigen“ im Land.
In der Realität hat es lange gedauert, bis der Verfassungsschutz überhaupt erst aktiv geworden ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Amadeu Antonio Stiftung oder die Bildungsstätte Anne Frank warnen schon lange vor der AfD und ihren antidemokratischen Bestrebungen. Doch lange tat sich nichts. Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen soll sich sogar mit AfD-Vertreter:innen getroffen haben, um sie in Sachen Verfassungstreue zu beraten. Was genau dort besprochen wurde, hat der ehemalige Behördenchef leider vergessen, auch wo er sich mit der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry getroffen hat, sei ihm „nicht erinnerlich“, berichtet der Tagesspiegel. Erst seit Thomas Haldenwang 2018 die Leitung der Behörde übernommen hat, verändert sich die Herangehensweise an die AfD, Haldenwang hatte eine Fokussierung auf Rechtsextremismus angekündigt und ist mit dem aktuellen Urteil offenbar zufrieden. „Die Partei steht für Rassismus, die Partei steht für Ausgrenzung von Minderheiten, die Partei steht für Verächtlichmachung des gesellschaftlichen Systems“, so Haldenwang. Es sei wichtig, „dass der Verfassungsschutz nach einem Jahr Schweigen wieder über diese Partei reden kann“.
Ausserhalb der AfD wird das Gerichtsurteil und die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz begrüßt. Das Internationale Auschwitz-Komitee sagt, das Urteil habe „der AfD und ihren biederen Verstellungsversuchen eine schallende Ohrfeige verpasst. Die AfD sollte beobachtet werden, „weil sie nicht widerlegen konnte, eine durch und durch rechtsextreme Partei zu sein“. Der Zentralrat der Juden bestätigt die Gefahr, die von der Partei ausgeht: „Die AfD trägt mit ihrer destruktiven Politik dazu bei, unsere demokratischen Strukturen zu untergraben und die Demokratie bei den Bürgern zu diskreditieren.“ Grünen-Politiker Konstantin von Notz kann „gut nachvollziehen, dass das BfV die AfD zum Rechtsextremismus-Verdachtsfall erklärt hat“. FDP-Fraktionsvize glaubt, dass die Beobachtung „der AfD den Stempel der Unwählbarkeit“ aufpräge. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hält die Beobachtung für „genau richtig“. Volker Ullrich, innenpolitischer Sprecher der CDU im Bundestag hält fest, „dass sich die AfD in ihrem Wesenskern gegen die Demokratie und unsere freiheitliche Ordnung wendet“.