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Schweden Anschlagserie – Rechtsterrorismus in der Schule 

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Symbolbild (Quelle: Unsplash)

Am 19. August 2021 gegen neun Uhr morgens geht Arne* online. Der 15-Jährige ist glühender Verehrer des Nationalsozialismus und mit seiner Affinität für Waffen bereits aufgefallen. Jetzt streamt er über seinen Twitch-Account live. Im Hintergrund ist der Sportplatz seiner Schule im schwedischen Eslöv zu erkennen. Er selbst trägt eine schwarze Militärweste, in der eine Pistolenattrappe, eine Patrone und mehrere Messer stecken. Sein Gesicht ist mit einer Totenkopfmaske bedeckt. Kurz darauf beginnt Arne mit seiner Bluttat, die er live überträgt – genau wie seine Vorbilder, die Rechtsterroristen von Christchurch und Halle.

Arne verletzt an diesem Morgen einen Lehrer mit einem Messer lebensgefährlich. Wäre es nach seinem Plan gegangen, den er zuvor einem Freund auf der Social-Media-Plattform Discord schickte, hätte er „so viele Menschen wie möglich“ ermordet. Doch im letzten Moment schreckt er von seinem Vorhaben zurück und will lediglich Menschen verletzen, um „Aufmerksamkeit“ zu bekommen. Das zumindest geht aus den Ermittlungsberichten der schwedischen Polizei hervor, die Belltower.News einsehen konnte.

Wegen versuchten Mordes wird er im Dezember 2021 zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Fall scheint damit erstmal abgeschlossen. Doch die schwedischen Behörden beschäftigt der Täter Anfang 2022 erneut.

Ein halbes Jahr später: wieder ein Angriff, wieder ein Jugendlicher

Am 10. Januar 2022, knapp ein halbes Jahr nach dem Anschlag in Eslöv, sticht wieder ein Jugendlicher in einer Schule mit einem Messer auf einen Schüler und eine Lehrkraft ein, bevor er von der Polizei überwältigt werden kann. Diesmal in Kristianstad, knapp 60 Kilometer entfernt. Wieder ist der Täter ein überzeugter Rechtsextremer, wieder ist er minderjährig und wieder gibt es die Verbindung in terroraffine Onlineräume. Aber die Spur führt auch zurück nach Eslöv, denn der Täter ist den Sicherheitsbehörden bereits aus den Ermittlungen wegen des Schulattentats im August bekannt. Er galt als bester Freund von Arne. Auf Anfrage von Belltower.News bestätigt die schwedische Polizei den Tatverdächtigen. Sie geht von einem „versuchten Mord in zwei Fällen“ aus. Zu den laufenden Ermittlungen könne man ansonsten keine Auskünfte geben. Auch zu Berichten schwedischer Zeitungen von Anschlagsdrohungen im Vorfeld wolle man sich nicht äußern.

Beide Täter waren polizeibekannt

Am 19. Januar 2021 wurde Arne bereits verhört, weil er mit einer Hakenkreuzarmbinde durch die Stadt gelaufen ist. Die Neonazi-Faszination, die bei der anschließenden Durchsuchung seines Zimmers festgestellt wurde, bezeichnete die Polizei damals schon als „besorgniserregend“. Im April wurde der Junge mit Wurfmessern in der Schule aufgegriffen. Wie die schwedische Zeitung Aftonbladet berichtet, sei Arne für das Schulpersonal laut eines Polizeibeamten eine „tickende Zeitbombe“ gewesen. Ein Hinweis des FBI zu einem möglichen Schulattentat in Australien ließ auch schwedische Behörden aufhorchen, weil die IP-Adresse von Arne in dem Zusammenhang auffiel. „Die Warnung hat uns zu einem Besuch des Jungen veranlasst, um mit ihm und seinen Eltern zu sprechen“, teilt die Polizei mit und man habe auch dem Sozialamt Bericht erstattet, „jede andere Polizeihandlung lag zu der Zeit nicht im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“. Trotzdem schienen die Untersuchungen und Interventionen wirkungslos. Arne beging seine Tat.

Auch sein bester Freund, der im Januar 2022 die Schule in Kristianstad angriff, ist nicht erst durch die Ermittlungen im August aufgefallen. Er und Arne hatten ein paar Monate vor dessen Attentat zusammen mit einem dritten Freund Bilder von sich mit Softairwaffen in einen Klassenchat gepostet. Weil nicht klar war, ob es sich um echte Waffen handelte, informierten besorgte Eltern das Sozialamt. Die Mutter des besten Freundes verbot daraufhin den Kontakt zu Arne. Trotzdem hielten die beiden ihre Freundschaft aufrecht und auch ihre menschenfeindlichen Ideologien blieben.

Rechtsterroristen und Massenmörder als Vorbilder

Beide sind fasziniert von Rechtsterroristen. Die Datenträger, die von den Ermittler:innen ausgewertet wurden, brachten Unmengen rechtsterroristischer Propaganda zutage. Aus dem Livestream des Rechtsterroristen von Christchurch, der 51 Menschen ermordete, basteln sie eigene Propagandavideos und spülen sie ins Netz. Auch den Attentäter von Halle, der zwei Menschen ermordete, verehrt Arne. Auf  der Tapete in seinem Kinderzimmer stehen in schwarzer Farbe die ersten Worte des Halle-Täters aus seinem Livestream geschrieben.

Er fühlt sich von ihnen inspiriert – nicht nur in seiner Tat. Auch die Ideologie übernimmt er. In einem Dokument mit dem Titel „manifest.txt“, das er einem anderen Freund online schickt, lässt er seinem Hass auf Muslim:innen freien Lauf. Der Jugendliche ist überzeugt von einem sogenannten „Großen Austausch“. Eine Verschwörungsideologie, die in rechtspopulistischen bis -terroristischen Kreisen äußerst beliebt ist und behauptet, die einheimische Bevölkerung solle durch andere Bevölkerungsgruppen systematisch ersetzt werden. In seinem Text richtet er auch einen expliziten Dank an seinen besten Freund und ruft dazu auf, sich anderen rechtsterroristischen Gruppierungen wie der „Atomwaffen Division“ anzuschließen.

Queere und muslimische Menschen als Anschlagsziel

Arne verbringt im Internet nicht nur viel Zeit auf Webseiten, die stundenlanges Videomaterial von Ermordungen, Terroranschlägen und Folterungen präsentieren. Sondern auch damit, seinen eigenen Anschlag zu planen. In einem Textdokument schildert der den geplanten Tatablauf und fertigt eine Skizze der Klassenräume an. Neben einer namentlich erwähnten Lehrkraft hat er es vor allem auf Klassen mit Schüler:innen abgesehen, die „die Pride unterstützen“. Neben queeren Menschen sollten aber vor allem Muslim:innen laut seiner Aussagen sterben.

„I’m rootin for ya lads. See you all in hell one day.“

Das Onlineverhalten von Arne lässt Rückschlüsse auf den Ort seiner Radikalisierung zu. Er verbringt viel Zeit online – vor allem nachts. Er ist in Communitys unterwegs, deren Mitglieder sich gegenseitig zu rechtsterroristischen Taten motivieren, entsprechend menschenverachtende Ideologien verbreiten und die einen bedeutenden Teil ihrer Zeit der Glorifizierung von Rechtsterroristen widmen. Auch auf Arnes Computer findet die Polizei zahlreiche Memes von Rechtsterroristen oder Verherrlichungen des Nationalsozialismus. In einem Interview mit dem RND erklärt die Journalistin Karolin Schwarz, es handle sich um Internet-Communitys, in der „Nutzer sich häufig ein ganz eigenes Vokabular aneignen und Insiderwitze der Identitätsstiftung dienen“.

Arne  findet seinen Zugang zu der Community hauptsächlich über Soziale Netzwerke wie Roblox und Discord. Auf einem Discord-Server mit dem Namen „G.T.J“ („Gas The Jews“) bekleidet er einen höheren Rang. Besonders aktive User:innen können schnell aufsteigen, Arne hatte  Moderationsfunktion über Inhalte  und höheren Einfluss innerhalb der Community.

„And I might also fail but still meme if I do. I’m rootin for ya lads. See you all in hell one day“ (sic!), schreibt er in dem Textdokument, mit dem er seine Tat ankündigt. Wenn es nach ihm geht, so soll nach seinem Anschlag die Community Bilder von ihm oder Ausschnitte aus seinem Livestream verwenden, um daraus sogenannte Memes zu kreieren und so die Tat auszunutzen und weiter für Terror zu werben.

Selbst seine Tat ist von Anspielungen und Insidervokabular der Community geprägt. Wie der Christchurch-Attentäter, der Wörter auf seine Waffen schrieb, schreibt Arne Szenecodes oder Namen von Attentätern auf seine Maske und Papierausdrucke in seinem Rucksack. Wie der Halle-Attentäter stellt er sich eine Playlist mit teils rechtsextremer Musik zusammen, die er auch zeitlich mit seinem Anschlag abstimmt.

„Er wird in 24 Tagen seine Schule angreifen”

Im Verhör gibt Arne an, sich erst anderthalb Wochen vor der Tat zur Durchführung entschlossen zu haben. „Ich habe sowieso schon geplant, wie ich vorgehen wollte“, gibt Arne den Ermittler:innen zu verstehen. Das deckt sich auch mit den Nachrichten, die er Freunden online schickte. Am 23. Juli 2021, knapp vier Wochen vor der Tat, schreibt er einem über Discord, dass er ein Massaker streamen wolle. Auch andere bekommen von seinen Plänen mit. In einem Chat zwischen zwei Online-Freunden von Arne schreibt einer am 27. Juli: „Er wird in 24 Tagen seine Schule angreifen. […] Er meint es ernst, er hat mir alles gezeigt […] Er hat mir seinen Plan gezeigt, die Karte, Messer, eine Waffe, Bombenattrappen, Ausrüstung, GoPro und Helm, das er nutzen wird. Er will es streamen und er will sterben. Du musst die Cops anrufen, Bro!“ Anstatt die Polizei zu informieren, versuchen die beiden Arne doch noch umzustimmen. Jedoch erfolglos.

Anschläge erinnern an Taten von München und Aztec

Dass Arne und sein bester Freund schon lange in der rechtsterror-affinen Onlinewelt unterwegs waren, daran lassen die Ermittlungsberichte keine Zweifel. Sie waren den Behörden bekannt,  zumindest wegen ihrer zutiefst rassistischen Ideologie bekannt. Die Ermittlungen erwecken Erinnerungen an die rechtsterroristischen Anschläge von München 2016 und Aztec 2017.

In München ermordete damals ein 18-Jähriger aus rassistischen Gründen neun Menschen am OEZ. Ein Jahr später erschoss ein 21-Jähriger in Aztec, New Mexico, zwei Schüler:innen einer High School. Letzterer war in rechtsterroristischen Chatgruppen aktiv, deutete bereits Anschläge an und stand mit dem Attentäter von München in Kontakt. Opferanwälte warfen damals deutschen Behörden vor, Informationen über den Kontakt zwischen den beiden Tätern nicht an US-Sicherheitsbehörden weitergegeben zu haben, wodurch der Anschlag womöglich hätte verhindert werden können. Wie genau die Beziehung zwischen den beiden Tätern damals aussah, ist ungewiss. Bei den beiden schwedischen Tätern ist die Beziehung hingegen deutlich.

Auf Anfrage von Belltower.News wollte sich das schwedische Sozialamt zu den beiden Fällen nicht äußern. Man sei an Geheimhaltung gebunden, aber würde bei jedem besorgniserregenden Bericht eine Untersuchung einleiten, bei der festgestellt werde, „was für Hilfe und Unterstützung der junge Mensch benötigt“. Im Hinblick auf rechtsextreme Einstellungen arbeite man präventiv eng mit der Polizei und dem Schwedischen Zentrum zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus (CVE) zusammen.

Die beiden Taten zeigen, dass die Jugendlichen online in eine Community eingebunden waren, die sich ideologisch klar mit rechtsterroristischen Taten identifiziert. Im Verhör wird Arne auch gefragt, ob er von anderen zu der Tat angestiftet wurde, was er verneint. Die Polizei teilt mit, dass derzeit keine Ermittlungen gegen weitere Menschen aus dem Onlinenetzwerk geführt werden. Wer sich hinter einigen Profilen verbirgt, mit denen Arne zuletzt kommuniziert hat, ist auch den Sicherheitsbehörden nicht klar. Und dennoch speist sich ein großer Teil der Tatmotivation aus diesen Netzwerken. „Ich werde für euch verrotten“ scheint keine hohle Phrase gewesen zu sein, sondern das Bekenntnis zu einer völligen Hingabe dieser rechtsterror-affinen Communitys. Noch nach der Tat finden Ermittler:innen detaillierte Zeichnungen von dem Rechtsterroristen von Christchurch, die der 15-jährige Arne in seiner Zelle anfertigte.

* Name von der Redaktion geändert

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