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Seitenblick Die Rechnung ohne den Mob gemacht

Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, weil sie politisch verfolgt werden oder einfach keine Perspektive mehr in ihrem Land sehen, suchen Schutz in einem anderen Land. Mit nicht viel im Gepäck außer ein paar persönlichen Sachen und der Hoffnung auf ein friedlicheres Leben. Die wenigsten verlassen ihr Land freiwillig, sondern die äußeren Umstände zwingen sie dazu Familie und Freunde zurückzulassen. Umso beschämender ist es dann, wenn Menschen, die nach Deutschland kommen, um Asyl zu suchen, auf Ablehnung stoßen. Asyl zu bekommen ist keine Gnade, welche ein Staat einem Menschen gewährt, sondern es ist das Recht eines jeden Menschen. Dass fast 20 Jahre nach den pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen bis heute eine Solidarisierung mit Flüchtlingen ausbleibt, und diese überwiegend als Last und Bedrohung angesehen werden, ist erschreckend.

Rassistische Ressentiments gegen Asylsuchende

Wie groß diese Ablehnung ist, zeigt sich gegenwärtig in Leipzig: Die Stadt hat sich dazu entschieden eine völlig marode und heruntergekommene Sammelunterkunft für Asylsuchende zu schließen, um diese zugunsten von kleineren Wohneinheiten in verschieden Wohnvierteln von Leipzig aufzulösen. Doch da haben die politischen Verantwortlichen Leipzigs die Rechnung ohne den Mob der Anwohnerschaft gemacht. Ein breite Bürgerinitiative hat sich zusammengerottet, um gemeinsam gegen das Konzept der „Dezentralisierung“ der Stadt vorzugehen. Nach dem allseits rassistischen Gebären, „Wir haben ja nichts gegen Ausländer, ABER bitte nicht in unserer Nachbarschaft! Und am besten in irgendeinem Wald, weitab von jedweder Möglichkeit der Kontaktaufnahme“.

Bei Infoabenden, zu denen die Leipziger Anwohnerschaft eingeladen wurden, um sich über die neu geplante Unterbringung der Asylsuchenden zu informieren, entladen  sich mehr und mehr rassistische Ressentiments gegen Asylsuchende: Da ist die Rede von der steigenden Kriminalität, herumliegenden Spritzen der Drogensüchtigen, die sexuelle Belästigung und der Lärmpegel, sowie die Wertminderung des Grundbesitzes mit einem Asylbewerberheim in unmittelbarer Nachbarschaft. Hier wird nicht der Mensch in Not gesehen, sondern „der Fremde“, vor dem weiße Frauen und Kinder geschützt werden müssen.

„Ich habe nix gegen Ausländer, aber…“

Diese dumpfen Vorurteile finden sich auch in Kommentaren zu Artikeln über das Dezentralisierungskonzept in Leipzig. Eine Userin namens „Peggy“ schafft es beispielsweise in nur einem einzigen Kommentar alle rassistischen Ressentiments gegen Asylsuchende zu nennen:

Ich habe nix gegen Ausländer, aber wieso sollen wir sie hier aufnehmen wo sie selbst ein eigenes Land haben. Sie nehmen den Deutschen hier Arbeitsplätze weg oder kassieren schön das Hartz 4 leben da schon auf Staatskosten und dann noch die Unterbringung. Dass kann es nicht sein. Wie gesagt kassieren hier Hartz 4 und fahren fette Autos wie BMW oder Mercedes. Zudem haben die soviele Kinder, dass die uns auch die Kitaplätze wegnehmen. Wir Deutsche müssen dann sehen wie wir einen Kitaplatz bekommen und wenn wir einen haben dann gibt es immer wieder Meinungsverschiedenheiten wegen dem Essen oder die Kinder kommen dann heim und reden dann auf einmal türkisch oder arabisch und sagen dann noch das lernen wir in der Kita, statt den Kindern die deutsche Sprache näher zu bringen!“

Oder „Bienchen“:

Ich direkte Anwohnerin des geplanten Asylheimes. Ich bin dagegen. Ich befürchte das, das Umfeld des Heimes vermülllt wird und abends wenn ích von der Arbeit komme und an dem Heim vorbei muss von herumlungernden Männern belästigt werde.“

Personen, die diese Kommentare für ihre offen rassistischen Parolen kritisieren und beispielsweise schreiben „Ich kann nur für die Asylbewerber hoffen, dass diese Entscheidung evtl. doch noch einmal überdacht wird“, werden verbal attackiert:

du bist das letzte, dich müßte man aus deutschland raus schmeißen un da kannst du ja hin gehen, wo du dich wohl fühlst. bezahlst du steuern? du spinner“

Initiative „Denzentraliserung: Jetzt“

Es sind gehäuft auftretende Kommentare wie diese, die die Initiative „Dezentralisierung: Jetzt“ dazu bewogen haben, ein Gegengewicht zu dieser aufgeheizten Stimmung zu setzen. „Wir rufen dazu auf, an den öffentlichen Veranstaltungen der Stadtbezirksbeiräte kritisch teilzunehmen, planen zusammen mit vielen anderen eine Unterschriftenkampagne in Leipzig und suchen den Kontakt zu Asylsuchenden und Flüchtlingen, um diese über das neue Konzept der Stadt Leipzig, aber auch über die rassistische Stimmung in einigen Stadtteilen zu informieren“, sagt Detlef Holz, Sprecher der AG „Dezentralisierung: Jetzt“.

Warum halten sich Vorteile gegenüber Flüchtlingen so hartnäckig? Rassistischen Kommentare gegenüber Asylsuchenden, sie würden hier in Saus und Braus leben und seien sowieso drogensüchtige Kriminelle, hört man nicht zum ersten Mal. Derartige haltlose Unterstellungen ließen auch die Bürger 1992 in Rostock-Lichtenhagen verlautbaren, bevor sie schließlich ein Wohnheim von vietnamesischen Vertragsarbeitern in Brand setzten. Denn würden diejenigen, die solche Behauptungen aufstellen, nur ein kurzen Blick in die Torgauer Straße 290 in Leipzig riskieren, dem Standort der bisherigen Sammelunterkunft für Asylsuchende, wüssten sie, dass die Lebenswirklichkeit für Flüchtlinge dem diametral entgegensteht: Mehrbettzimmer, Sozialleistungen, die 38% unter dem „Hartz IV“-Satz liegen, die nicht in Bargeld, sondern in Form von Essensmarken, Lebensmittelpaketen oder Altkleidern ausgegeben werden und eine Residenzpflicht, die es allen Asylsuchenden untersagt eine festgelegte Bannmeile zum Aufenthaltsort zu überschreiten. „Wahrscheinlich ist, dass ein Großteil der Personen, die sich jetzt so abfällig und teils rassistisch äußert, wenig bis gar keinen Kontakt zu Migranten, Ausländern oder Flüchtlingen hat. Unwissenheit, Unkenntnis und Ignoranz gegenüber den Umständen und Lebensbedingungen werden in den Statements oft überdeutlich“, so Detlef Holz. Doch ist es wirklich nur Unwissenheit? Nein, es sind vielmehr tiefsitzende Ressentiments gegen Menschen, die in ihren Augen „fremd“ sind, meint auch der Sprecher der AG „Dezentralisierung: Jetzt“: „Die Logik dahinter ist simpel: Wer arm ist und unter solchen sozialen und psychischen Umständen lebt wie die Asylsuchenden, muss sich das Leben erträglich machen durch Drogen und Diebstahl. Hier überlagern sich die Angst vor „dem Fremden“ und die Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg.

Vereinnahmung durch die NPD

Besonders besorgniserregend ist in Leipzig nun, dass sich die NPD in den Bürgerprotest miteingeklinkt hat. Dabei ist nicht die Tatsache schockierend, dass die NPD den Protest begrüßt, denn das ist mit ihrer menschenverachtenden und rassistischen Weltsicht zu erwarten, sondern dass sich die Gegner der Dezentralisierung bisher nicht gegenüber den Vereinnahmungsversuchen von Seiten der Rechten distanziert haben. Ein Beleg dafür, dass „die grundsätzlichen Ansichten der ansässigen Bürger*innen und der NPD da auf einer Linie sind“, so Detlef Holz .

Anna Brausam

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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