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Senftenberg „Jetzt machen wir erst recht weiter“

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Das JAMM in Senftenberg: Ein paar Steinschläge sind an der Fassade des Gebäudes zu sehen. (Quelle: AS)

Im Raum stehen alte Ledersofas, ein Billardtisch, eine Bar, eine kleine Bühne. Die Wände sind zugekleistert mit Plakaten von vergangenen Konzerten und Stickern. Fenster gibt es kaum welche. Das war hier mal ein altes Kühlhaus für Obst und Gemüse, seit über 25 Jahren ist es aber die Heimat des linksalternativen Freizeitclubs JAMM. Hier sind Leute willkommen, die rechtes und rechtsextremes Gedankengut ablehnen, queer sind und gerne eine gute Zeit haben wollen. Egal ob an der Bar oder beim Tischtennisspielen. Gegründet wurde er bereits 1992. Schon zwei Mal ist der Club umgezogen. Das ist also der dritte Standort in Senftenberg im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Es ist ein kleiner Ort mit 25.000 Einwohner*innen, anerkannter Erholungsort, mit vielen Tourist*innen. Das JAMM ist hier seit 33 Jahren eine Institution und ein wichtiger Ort für linke Vernetzung im brandenburgischen Raum – ein Symbol.

Auch an diesem Dienstag ist viel los, obwohl es erst nachmittags ist. Morgen findet der große Quizabend statt und über 50 Leute haben sich schon angemeldet. Die ehrenamtlichen Helfer*innen schieben Sofas umher, bringen den Beamer an und sprechen die letzten Orga-Punkte durch. Im Hintergrund läuft Rock- und Punkmusik.

Man merkt wenig davon, dass der Club vor wenigen Wochen von einem mutmaßlich extrem rechten Mob angegriffen wurde. Vor dreieinhalb Wochen, am Samstag, dem 1. März, wurde das JAMM gegen 23 Uhr angegriffen. An dem Abend waren etwa 15 Leute im Freizeitzentrum, es war eigentlich ein entspannter Abend. Davon erzählt Marcel, einer der engagierten Ehrenamtlichen des Clubs. Bereits eine Stunde vor dem Angriff wollte sich schon jemand ein Fahrrad ausleihen, „Wir kannten ihn nicht. Er stand plötzlich im Raum und war offensichtlich total nervös.“ Das kam ihm komisch vor, erzählt Marcel. Deshalb folgte er ihm nach draußen, einem Unbekannten würden sie kein Fahrrad ausleihen. Dann sah er, wie der junge Mann und seine Begleiter eines der herumstehenden Fahrräder geklaut hatte. Komischerweise war die Polizei schon da. Ein Streifenwagen fuhr vorbei. Wer sie verständigt hatte, weiß Marcel nicht. Die Polizisten nahmen die Personalien der Diebe auf und verscheuchten sie. „Das war total komisch. Wir wissen auch nicht, ob die was mit den Angreifern zu tun haben oder uns vielleicht ausgecheckt haben, also schauen wollten, wie viele Leute an dem Abend denn da sind und so.“ Dann wurde es wieder ruhiger. Erst eine Stunde später, so gegen 23 Uhr, ging Marcel wieder nach draußen, so erzählt er es Belltower.News. Dort sah er die Angreifer. Alle waren schwarz gekleidet.

„Scheiß Zecken“

Am Anfang wirke es, als wären es nur eine Handvoll. Doch dann fuhr das Begleitauto rückwärts und der Lichtkegel fiel auf dreißig bis vierzig Personen, so Marcel. Zu wem das Auto gehört, ist unklar. Geistesgegenwärtig rief er alle Leute zusammen, sie gingen ins Innere des Clubs und verriegelten die Tür. Die Angreifer warfen Steine und schrien Parolen wie „Scheiß Zecken“. Der Angriff dauerte nur wenige Minuten. Als die Polizei später eintraf, fanden sie keinen der Täter mehr vor. „Ein politischer Hintergrund kann bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden. Deshalb wurde für die Ermittlungen auch der Staatsschutz hinzugezogen“, so Maik Kettlitz von der Pressestelle der Polizeidirektion Süd gegenüber Belltower.News. Man sei noch im Laufe der Ermittlungen und könne daher noch nicht viel sagen.

„Wir haben uns einfach zu sicher gefühlt in den letzten Jahren“

„Es war die richtige Entscheidung, mit der Sache öffentlich zu gehen“, sagt Marcel jetzt. Sein Telefon steht seither kaum noch still, so viele Presseanfragen und Solidaritätsbekundungen hat das JAMM erhalten, etwa aus Nordrheinwestfalen, der Schweiz, aber auch aus Nachbargemeinden. „Wir haben uns einfach zu sicher gefühlt in den letzten Jahren. So etwas ist immer anderen passiert und wir haben Solidarität gezeigt, uns aber nie. Und weil uns das nicht passiert ist, dachten andere, dass es ihnen auch nicht passiert. Das war ein Fehler. Das merken wir jetzt alle.“

Den letzten Anschlag auf das JAMM gab es vor über 20 Jahren. Ein rechts-motivierter Angriff mit einem Molotowcocktail, der damals gegen das Gebäude geworfen wurde. Auch damals ist zum Glück niemand verletzt worden. Viele der Helfer*innen im Club kennen aber auch noch die anderen Zeiten, die Baseballschlägerjahre. Marcel selbst hat erlebt, wie es ist, von Nazis gejagt zu werden, weil man anders aussieht. „Meine Hose hing halt paar Zentimeter zu weit unten, ich komme aus der Hip-Hop-Szene.“  Einer der Clubältesten konnte nach dem aktuellen Angriff vier Tage lang nicht essen, zu groß war die Retraumatisierung der 90er Jahre. Manche kommen seit dem Angriff gar nicht mehr. „Demnächst kommt die Opferberatung zu uns und hilft uns beim Umgang mit dem Vorfall. Wir haben alle dazu eingeladen, die an dem Abend dabei waren oder denen es besonders nahe geht.“ Nahe gehen würde das auch den ganz Jungen im Freizeitzentrum. „Die kennen das so nicht. Für sie ist das ein Angriff gegen sie als Person und nicht nur gegen das JAMM. Aber wir wollen nicht aufgeben. Gerade jetzt müssen wir weitermachen.“ Marcel hofft, dass die Jungen wieder zurückkommen.

Es ist wichtig, den vielen immer rechtsextremer werdenden Jugendlichen etwas entgegenzusetzen. Noch vor Corona wollten die Vereinsmitglieder den Club schließen. Das Gebäude gehört ihnen zwar, aber vor allem junge Menschen kamen selten ins JAMM. Doch als im Ort die Querdenkerproteste groß wurden, wollte man dem etwas entgegenstellen. Man wollte den Demonstrierenden zeigen, mit wem sie da auf die Straße gehen. Das hat auch die jungen Leute mobilisiert. So lernten sie das JAMM und die Menschen dort kennen. Seither kommen wieder mehr Leute in den Club und man rückt wieder näher zusammen. Sie organisierten monatliche Konzerte, ein antifaschistisches Fußballturnier, eine Olympiade mit Kneipenspielen. Das JAMM ist ein Ort zum kreativ werden. Das merkt man auch, wenn man auf der selbstgebauten Terrasse steht. Eine Bar, Sofakissen und ein Sonnensegel. Bald soll es hier wieder sommertauglich gemacht werden, denn auch draußen gibt es eine Bar und einen Fernseher, zum Beispiel für Public Viewing.

Im Freizeitzentrum sollen alle willkommen sein. Jede Person, wie sie eben ist, bis auf offen Rechtsextreme. Dort wird nicht geurteilt. Auch nach dem Anschlag wolle man das gemeinsam durchstehen. Eventuell soll es Soli-Konzerte geben. Aktuell arbeitet man an einer stärkeren Vernetzung mit anderen Clubs und hat die Unterstützung des Bürgermeisters. Der habe sich auch nach jenem Samstagabend sofort gemeldet und seine Solidarität ausgesprochen und Druck bei der Polizei gemacht.

Natürlich war den Freiwilligen des JAMM klar, dass sich die Zeiten geändert haben. „Senftenberg galt immer als rote Stadt im braunen Meer“, so Marcel. Als die AfD bei der Bundestagswahl 38 Prozent und das Direktmandat eingefahren habe, waren im Club alle schockiert.

Es gab rassistische Angriffe wie der in Neuruppin, der III. Weg plakatiert Drohgebärden in Nachbargemeinden und die Jungen Nationalisten Brandenburg drohen online mit Angriffen auf die Zivilgesellschaft. Die Chronik rechter und rassistischer Gewalt füllt sich in jeder Woche erneut. Rechtsextreme Gruppierungen haben nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland und den Bundestagswahlen ein enormes Selbstbewusstsein.

Das alles gebe den Engagierten im JAMM zu denken und mache auch Angst. Trotzdem ließen sie sich nicht einschüchtern. Marcel erzählt: „Am Sonntag hatten wir unser großes Mitgliedertreffen und wir haben gesagt, es ist schade, dass immer erst etwas passieren muss, damit man sich solidarisiert und zusammenschließt. Dann meinte eines unserer Mitglieder: Aber dann lass es uns doch jetzt als Chance sehen und dem etwas entgegenstellen.“ In ein paar Wochen ist der Club wieder voll, die nächsten Veranstaltungen stehen an. Was aber bleibt, ist ein mulmiges Gefühl.

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