Die Demonstration, die unter dem Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ stand, galt als zentrale Solidaritätsbekundung für die derzeit über fünf in Deutschland und Österreich inhaftierten Holocaustleugner*innen. Zuletzt wurde im Mai Gerhard Ittner festgenommen und in ein Nürnberger Gefängnis überstellt, wo er den Rest einer insgesamt eineinhalb Jahre langen Freiheitsstrafe absitzen muss.
Als weitere zentrale Forderung stand die Abschaffung des Volksverhetzungsparagrafen 130 StGB auf der Agenda des Aufmarsches. Dieser Paragraf ahndet in der Bundesrepublik unter anderem die Leugnung und Relativierung eines Genozids und schränkt ähnlich, wie Gesetze gegen Verleumdung und üble Nachrede, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ein.
Nationalsozialisten und Shoahleugner als Redner
An der Mobilisierung im Vorfeld der Demonstration beteiligten sich vor allem die rechte Facebook-Gastgeberin Angela Schaller sowie die Videoblogger und Veranstaltungsredner Nikolai Nerling, Alfred Schaefer und Henry Hafenmayer.
Die beiden Letztgenannten kommen seit April 2018 mit Gleichgesinnten zu internetbasierten Videokonferenzen zusammen, wo regelmäßig im Stürmerstil gegen Juden und Jüdinnen, Migrant*innen sowie „Verräter“ gehetzt und der Nationalsozialismus in Wort und Bild glorifiziert wird.
Henry Hafenmayer (links) und Alfred Schaefer (rechts) (Foto: Montage aus YouTube-Screenshots)
Alfred Schaefer, gegen den derzeit mehrere einschlägige Gerichtsverfahren laufen, sitzt in den Konferenzschaltungen vor einer in Deutschland verbotenen Hakenkreuzflagge. Sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus unterstreicht der Deutsch-Kanadier in einem der Videos mit dem Zeigen des Hitlergrußes und einem lauten „Sieg Heil“. Juden diffamiert Schaefer als „Parasiten“, „Kakerlaken“ sowie „Vorhautfresser“ und die millionenfache industrielle Ermordung jüdischer Menschen durch die Nazis bezeichnet er als „Holo-Lüge“, die dazu diene, mit Schuldgefühlen vergiftet zu werden.
Einen ähnlichen Ton schlägt Henry Hafenmayer in den Videokonferenzen an. Der Oberhausener, der das „Wahrheit spricht Klartext“ (WsK) Projekt administriert, bekennt sich ebenfalls offen zum Nationalsozialismus und sagt, dass alle wüssten, dass er nicht an den Holocaust glaubt. Der ehemalige Lokführer beschreibt sich als ein „recht großer Fan von Dr. Goebbels“, einem der führenden Köpfe des NS-Regimes. Laut seinem eigenen Verständnis sollte die Hakenkreuzflagge nach einer erneuten Befreiung des deutschen Volkes, möglichst wieder die Staatsfarbe werden. Juden und Jüdinnen erklärt Hafenmayer zu Psychopathen, Parasiten oder Teufel und will sie wie Unkraut mitsamt der Wurzel ausreißen.
Ebenso wie diese Nationalsozialisten und Shoahleugner beteiligte sich Nikolai Nerling an der Bewerbung des rechtsextremen Aufmarsches in Nürnberg. In mehreren Videos auf seinem Youtube-Videoblog „Der Volkslehrer“ rief der wegen einschlägiger Äußerungen entlassene Berliner Grundschullehrer Nerling zur Teilnahme am Aufmarsch in Nürnberg auf, bei dem er ebenfalls als Redner angekündigt war.
Axel Schlimper: Elfter September war eine riesengroße Lüge
Als die Polizei am letzten Samstag im Juni mit Hamburger Gitter den Nürnberger Rathenauplatz absperrt, treffen bereits die ersten Teilnehmer des rechten Aufmarsches ein, packen ihre Plakate aus, entrollten ihre Transparente. Auf der Ladefläche eines älteren olivgrünen LKWs zupft der Ex-Gebietsleiter der antisemitischen Europäischen Aktion (EA), Liedermacher und Moderator des Aufzugs Axel Schlimper auf seiner Gitarre, checkt die Lautsprecheranlage.
Obwohl anhand derer, die bei dem Aufmarsch auftreten sollen, Straftaten vorprogrammiert sind, beginnt der Protest erst einmal im vorsichtigen Ton. Bevor Schlimper die Veranstaltung mit dem Verlesen der Auflagen beginnt, fordert er die Polizei auf, für Ruhe zu sorgen. Jenseits der Absperrgitter übertönt mit schrillem Sirenengeheul eine kleine Gruppe linker Gegendemonstranten die Worte des Moderators. Zwischendurch hallen auch immer wieder “Nazis raus“ und andere Parolen vom antifaschistischen Protest herüber.
In seiner Eröffnungsrede umschifft Axel Schlimper strafrechtlich Relevantes bezüglich der Shoah. Statt hier irgendetwas zu leugnen, verbindet er dieses Verbrechen mit diversen Geschehnissen, bei denen – wie er sagt – gelogen und zensiert wird, wo Menschen, die darüber berichten, langjährige Haftstrafen zu erwarten hätten. Dies beträfe sowohl historische wie auch aktuellere Ereignisse. Zu Letzteren zählt der Thüringer den Terroranschlag am 11. September 2001 in den USA, der „auch nichts weiter als eine riesengroße Lüge“ war. „Jeder Mensch“, so Schlimper im überzeugenden Ton, „mit einem ansatzweisen technischen Verständnis […], sieht, wie diese Flugzeuge in diese Bilder reinretuschiert sind. Niemals, wer irgendjemand der Ingenieur ist oder überhaupt Techniker, weiß, Aluminium schneidet keinen Stahl. Aluminium durchdringt keine Stahlträger, sondern Aluminium zerschellt an dieser Konstruktion.“
„Und deswegen“, so sein Fazit, „erreicht das natürlich nur diese Leute […], denen es nicht um Details und technisches Verständnis, denen es nicht um die Wahrheit geht. Denen es nicht darum geht, sich an der Wirklichkeit zu orientieren, sondern denen geht es nur darum, eine Ideologie zu vertreten.“
Nachdem Schlimper seine Rede beendet hat, bleiben “technisches Verständnis“ versus “ideologische Dogmen“ unwidersprochen im Raum zurück, obwohl eine simple Recherche im Internet belegt, wie unrecht er hat. Denn erhöht man den Druck auf Stahl, kann selbst ein Wasserstrahl dieses Material zerschneiden. Doch Intervention zum ideologischen Glauben derer, die sich dort versammelt haben, ist nicht zu erwarten.
Rechtsextremist Axel Schlimper hält Flugzeuge in den Bildern am 11.9.2001 für reinretuschiert
Über 200 Shoahleugner-Sympathisanten in Nürnberg unterwegs
Knapp eine Stunde nach Beginn des rechten Protests brechen die nunmehr über 200 Aktivistinnen und Aktivisten nach einer weiteren Rede eines örtlichen NPD-Funktionärs und dem Verlesen des Grußwortes der inhaftierten mutmaßlichen Shoahleugnerin Monika Schaefer zu ihrem Marsch durch die fränkische Metropole auf.
Auf den mitgebrachten Transparenten, Plakaten und T-Shirts wird vor allem Freiheit für die inhaftieren Gleichgesinnten Ursula Haverbeck, Horst Mahler und Monika Schaefer gefordert. Ebenso kritisiert man den Paragrafen 130 StGB, der als dogmatisches Sonderrecht bezeichnet wird.
Einige Aktivisten tragen T-Shirts, deren Aufdrucke sie als Teil der militanten Kameradschaftsszene identifizieren. Die Meisten aber, die unter der heißen Mittagssonne auf einer breiten Hauptstraße zur Zwischenkundgebung unterwegs sind, erscheinen dem Äußeren nach unscheinbar. Man würde sie eher mit ihren zerrissenen Hosen und der Friedenstaube auf dem T-Shirt beim Gegenprotest erwarten.
Durch die weiträumige Absperrung der Straßen ist Resonanz aus der Bevölkerung kaum wahrnehmbar. Aus der Ferne hört man ab und an Parolen der Gegendemonstranten, die offensichtlich von der Polizei auf gehörigen Abstand gehalten werden.
Grundschullehrer Nerling zitiert aus antisemitischer Schrift von Horst Mahler
Auf der Zwischenkundgebung tritt zunächst der Berliner Grundschullehrer Nikolai Nerling vors Mikrofon, der Anfang 2018 von der Schulverwaltung wegen Propagierung anti-semitischer, reichsbürger- und verschwörungs-ideologischer Inhalte bei Demonstrationen und auf Vortragsveranstaltungen zunächst freigestellt und später entlassen wurde.
Nachdem er auf dem Nürnberger Gewerbemuseumsplatz einige Anekdoten aus seinem Alltag als Lehrer abgeliefert hat, kommt Nerling auf ein Transparent zu sprechen, auf dem zu lesen ist: „Heute Horst Mahler … und morgen bist Du der HORST!“. Mit Verweis auf dieses Banner zitiert er zwei Sätze aus dem Traktat „Das Ende der Wanderschaft“, das Mahler in Haft geschrieben hatte und weswegen er demnächst erneut vor Gericht steht.
Jedoch anstatt wie es Mahler geschrieben hat zu zitieren, tauscht Nerling in seiner Version „Juden“ gegen „Falschen“ aus und sagte: „Wir stoßen uns am Falschen ab zu uns selbst. Dieser Kampf ist das Werden Gottes in uns, unsere Freiheit.“
Dieses Abweichen vom Original, was den Sprechenden moderater erscheinen lässt, könnte bei Nerling Methode haben. Als der Grundschullehrer u.a. für das Fach Englisch im Februar 2018 in Dresden die Rede der australisch-britischen Shoahleugnerin Michèle Renouf übersetzte, stach ins Auge, dass er Stellen, die heikel werden könnten, interpretativ ins Deutsche übertrug. Besonders auffällig war es, wie er mit „Holocaust“ verfuhr. Ein Wort, das in Renoufs Rede insgesamt siebenmal vorkam. Zweimal beließ es Nerling bei dem Wort. Die anderen Male sprach er von „Verbrennung“ oder überging es ganz.
Christian Bärthel versucht Judenhass mit Bibelrezitation zu kaschieren
Mit seinem Redemanuskript und einem kleinen Büchlein, das sich wenig später als Lutherbibel entpuppt, klettert der rechtsextreme Politprofi Christian Bärthel als nächster Redner über die wacklige Leiter auf die provisorische LKW-Bühne, die vor dem Gebäude des Nürnberger Presse-Clubs Halt gemacht hat.
Bärthel, der in den vergangenen knapp 20 Jahren vom Mitglied der DVU über Aktivisten der NPD und Reichsbürgerbewegung verschiedene Stationen im rechtsextremen Milieu durchlief, versteht sich selbst inzwischen als Evangelist. In Beiträgen auf seiner Homepage solidarisiert er sich mit vor Gericht stehenden und verurteilten Shoahleugnern und spricht dort von „Holo-Prozess“ und „Holocaust-Religion“.
In Nürnberg trägt Bärthel minutenlang judenfeindliche Passagen aus der Bibel vor. Der einschlägig verurteilte Thüringer relativiert durch die Bibelzitate feststehende Begriffe, wie “Holocaust“, “Singularität des Holocaust“ oder auch “sechs Millionen“. Sobald diese Schlüsselwörter über den Platz hallen, hören die Kundgebungsteilnehmenden aufmerksam zu und reagieren mit Gelächter und Applaus auf die Quintessenz, die Bärthel aus den Jahrtausend alten Versen für sich herauszieht.
Nach dem 13-minütigen Parcours-Ritt durch antisemitische Textstellen der Bibel lässt sich bilanzieren, dass sich Bärthel nicht wirklich vom Anhänger der rechtsextremen Szene zu einem religiös-spirituellen Menschen entwickelt hat. Vielmehr kaschiert er – ähnlich wie inzwischen Horst Mahler und andere aus der Szene – durch das Vortragen von ausgewählten Bibelversen seinen eigenen Judenhass und versucht zugleich, ihm strafrechtlich gefährlich Werdendes zu umgehen.
Dass es sich bei den Judenfeindlichkeiten in der Bibel eventuell um den Streit zweier konkurrierender religiöser Strömungen eines (noch) gemeinsamen Glaubens handelt, will den Antisemiten von heute nicht in den Sinn kommen. Stattdessen würfeln sie Verse der Bibel von verschiedenen Autoren und aus unterschiedlicher Zeit zu einem Gespinst zusammen, nur um darin die Bestätigung für ihren Hass gegen Juden zu finden.
Antisemitische Hetze, Shoahleugnung und NS-Verherrlichung zum Abschluss
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Willy-Brandt-Platz ergreifen noch einmal fünf Aktivistinnen und Aktivisten des Aufmarsches das Wort und zunehmend wird unverhohlen antisemitisch beleidigt, die Shoah geleugnet und der Nationalsozialismus verherrlicht.
Henry Hafenmayer
Nach einem persönlichen kurzen Grußwort des Briten Richard Edmonds und einem weiteren, das Gerd Ittner in Haft verfasste, ist Henry Hafenmayer an der Reihe. Wie Christian Bärthel gibt er seinem Antisemitismus zunächst einmal ein christliches Gewand. Er spricht davon, dass es nicht die Juden waren, “die Jesus ans Kreuz genagelt haben. Sondern es waren die Römer, im Auftrag der Juden. Die Juden haben schon immer so agiert“, agitiert Hafenmayer weiter, “dass sie sich halt also immer Hilfswillige suchen und immer welche auch finden, weil sie über das Geld herrschen.“
Anders als in den WsK-Videokonferenzen, wo der Oberhausener kein Blatt vor den Mund nimmt, attackiert er in Nürnberg statt Juden zunächst einmal den US-amerikanischen Investor und Philanthropen George Soros. Dieser sei „für alle Kriege, die […] in den letzten 70 Jahren auf diesem Erdenball […] inszeniert wurden, die angezettelt wurden und die in großer Brutalität und mit großer Brutalität geführt wurden“, verantwortlich. Außerdem hat er nach seiner Auffassung “überall seine Finger, seine Dreckigen, im Spiel“.
Eine abwegige Vorstellung, bedenkt man, dass George Soros seinen ersten Krieg mit 18 Jahren hätten führen müssen, zu jener Zeit, als er Philosophie an der London School of Economics and Political Science studierte.
Nach seinem Rundumschlag gegen Soros, den er letztendlich zum jüdischen Verbrecher erklärt, holt Hafenmayer gegen die vielen anderen aus, die „uns das Leben schwer machen“. Diese und deren Erfüllungsgehilfen säßen in den Geschäftsetagen ganz ganz oben und ziehen die Fäden. „Egal, ob eine Angela Merkel eine Jüdin ist oder nicht“, meint er mit überzeugendem Unterton.
Alfred Schäfer in Aktion.
Alfred Schaefer poltert „It’s time to exterminate the kikes“
Neben Henry Hafenmayer zählt der nächste Redner, der in Nürnberg die Ladefläche des LKWs erklimmt, zu den Personen in dieser Szene, die tabulos, ohne Rücksicht auf das Strafrecht, das aussprechen und zeigen, was sie für richtig halten. Genau aus diesem Grund steht der 63-jährige Alfred Schaefer derzeit zum zweiten Mal in diesem Jahr vor Gericht. Nach einer erstinstanzlichen Verurteilung wegen Volksverhetzung in Dresden, wirft ihm eine Münchener Strafkammer in 14 Anklagepunkten vor, sich volksverhetzend geäußert zu haben. In drei der 14 inkriminierten Fälle kommen verfassungsfeindliche Straftaten hinzu.
Bevor der Deutsch-Kanadier, der mittlerweile am bayerischen Starnberger See seine Zelte aufgeschlagen hat, mit erhobenem rechten Arm seine kurze Rede beendet, betont Schaefer, dass er nicht nach Nürnberg gekommen ist, um eine Rede zu halten, sondern „um die Werbetrommel zu rühren für eine Show. […] Es ist die Inquisition Geschwister Schaefer.“ Mit Inquisition meint er den Volksverhetzungsprozess gegen ihn und seine Schwester Monika, der seit Anfang Juli vor einem Münchener Gericht verhandelt wird.
Bei dieser Verhandlung, sagt der weißhaarige Mann mit Sonnenbrille und Safarihut, ist er bestimmt der „glücklichste Mann in dem Raum und jeder hat seine Rolle. Die Inquisitoren. Ich hab die Rolle, […] der verbrannt werden soll. Meine Schwester ist auch da. Sie soll auch verbrannt werden.“ Und weil diejenigen, die ihn und seine Schwester schuldig sprechen, die aufkommende Wut auf sich ziehen, werden sie „hängen am Hals bis zum Tode“.
Kaum ist diese Drohung ausgesprochen, folgt die nächste ungeheuerliche Behauptung, die Schaefer an diesem Samstag aufstellt. Während er in Folge 20 der WsK-Videokonferenzen am 6. Juni 2018 herumspekulierte, dass es in den USA immer mehr Schreier gäbe, bei denen es hieße, „it’s time to exterminate the jews“, sagt er auf dem Nürnberger Willy-Brandt-Platz:
„In den USA, wenn … Durch die Zensur sind sie selbst geblendet und verstehen es nicht. In den USA da sind die Schreier immer lauter: It’s time to exterminate the kikes.“ Zu diesem Aufruf zum Genozid gegen Juden (“kike“ ist ein englisches Schimpfwort für Jude) fügt er hinzu: “Okay. Das darf ich gar nicht sagen. Oi, jetzt werde ich eine Haftstrafe gleich kriegen. Aber es macht nichts. Sie wollen mich sowieso für sechs Millionen Jahre in den Kerker schmeißen.“
Sucht man im Internet nach dem eigentlich Unsagbaren von Schaefer, so bekommt man als Suchergebnis bei Google keinerlei genaue und in den sozialen Medien lediglich wenige relevante Treffer. Davon also, dass in den USA “die Schreier immer lauter“ werden, kann nicht die Rede sein.
Zum Ende seiner kurzen Ansprache, Alfred Schaefer ist schon im Begriff die provisorische Bühne zu verlassen, möchte er „noch eine Kleinigkeit“ loswerden. Seinem dringenden Bedürfnis zu demonstrieren, wie hoch der Hund von Pawlow springen kann, hebt Schaefer den rechten Arm wie bei einem Hitlergruß und sagt: „Dieser Köter kann so hoch springen.“ Damit jeder seine Darbietung mitbekommt, dreht er sich mit erhobenem Arm einmal nach links, dann nach rechts, bevor er unter anhaltendem Applaus und vereinzeltem „Heil“-Ruf die Ladefläche des LKWs verlässt.
Weder bei diesen, auch für Laien erkennbaren, volksverhetzenden und zur Gewalt aufrufenden Äußerungen, noch bei den mutmaßlich strafbaren Aussagen der nächsten Protagonisten, die vors Mikrofon treten, schreitet die Polizei ein und beendete das Erwartbare.
Hitlers “Mein Kampf“ ist für Fabio Pietro G. “Vorlage für die Freiheit“
Der Schweizer Fabio Pietro G., der das Publikum mit “ja, hallo zusammen oder sali zammen“ begrüßt, weiß seine Mitstreiter zu begeistern. Wie bei den Rednern zuvor hat G. das Bedürfnis, etwas loszuwerden, was andernorts nicht öffentlich gesagt werden darf.
Obwohl mit zwei Reden bestens präpariert, die G. in seiner Mappe bei sich hat, spricht er frei. Neben den Längen der Manuskripte gibt es ein anderes Problem, weswegen er die Texte stecken lässt: „Wenn ich die raushole und vorlese“, so räumt er freimütig ein, „dann geh ich nicht nach Hause heute Abend. Dann ist finito. […] Deshalb versuche ich ein bisschen moderat aufzutreten.“
Moderat bedeutet bei Fabio Pietro G., eine fünf-minütige Empfehlung für Hitlers Hasstraktat “Mein Kampf“ abzuliefern.
“Ich hab mal … Ich lese gern Bücher“, fängt er sachte an zu erzählen. “Und deshalb, als mir mal jemand so ein kleines schwarzes Buch angeboten hat, das hat irgendein verrückter Österreicher 1924 in Landsberg am Lech geschrieben, … Da musste ich mir von vielen Kollegen und vielen Seiten sagen lassen, ja pass auf, ganz gefährlich. Kannst du nicht lesen. Habe ich dann doch getan. Und da war ich erst mal verwirrt.“
Zum Höhepunkt fallen dann Sätze wie: “Ich habe da keine Berührungsängste. Warum muss ich was fortwerfen, wenn was Gutes drin steht?“ Oder: “Das Buch hat mir geholfen zu wissen, in welche Richtungen ich forschen muss.“ Und letzten Endes ist dieses Buch, also Hitlers “Mein Kampf“, für G. “die Vorlage für die Freiheit! Dieses Buch, da steht alles drin!“
Davon und von dem, dass die dunklen 12 Jahre des Nationalsozialismus “der erste Freiheitskampf eines Volkes gegen das Böse schlechthin“ gewesen ist, davon ist Fabio Pietro G. fest überzeugt.
Beifall für Marianne W. nach “Die Vergasung der Juden ist eine Lüge“
Die nächste und vorletzte Rednerin bei der Abschlusskundgebung des Shoahleugner-Aufmarsches in Nürnberg hat sich spontan gedacht, dass auch ihre Geschichte hier her gehört. Marianne W., deren Prozess wegen Volksverhetzung kurz bevorsteht, stellt sich am Anfang mit ihrem typisch fränkischen Dialekt als eine gebildete Frau Mitte 60 vor. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin beherrscht sechs weitere Sprachen.
Marianne W.
Bevor es auch bei ihr zur Sache geht, erzählt Marianne W. von der Freundschaft mit einem jüdischen Kontingentflüchtling aus Russland und davon, wie diese Freundschaft wieder zerbrach. Danach hatte sie angefangen, zu recherchieren, betont W. Sie besorgte sich Bücher von Revisionisten und Schicht für Schicht sei sie auf Lügen gestoßen. Und als sie sich sicher war, “dass das alles eine Lüge ist“, traf sie den jüdischen Kontingentflüchtling noch einmal, überrumpelte ihn und sagte: “Die Vergasung der Juden ist eine Lüge! Und du weißt es. Und du bist beteiligt.“ Kaum ist der erste dieser drei Sätze verklungen, fangen Leute im Publikum an zu applaudieren. Vereinzelt hört man “Bravo“-Rufe.
Wegen fortgeschrittener Zeit soll Marianne W. nach dieser Story, in der sie die Shoah leugnet, den Platz auf dem LKW räumen. Doch eine allerletzte Geschichte will sie noch loswerden. “Nicht die Deutschen oder die Germanen haben andere Völker versklavt, sondern“, davon ist sie fest überzeugt, „das Judentum, das Sklavenhändler und Sklavenhalter war. […] Und so ist es bis heute. Wir werden bevormundet. Uns wird unser Erarbeitetes abgenommen von ein und denselben.“
Shoahleugnung von Marianne W. bei rechtem Antisemiten-Aufmarsch in Nürnberg
Polizei leitet Ermittlungen wegen Volksverhetzung und NS-Verherrlichung erst nach Anzeige ein
Nach vier Stunden und einem abschließenden Lied von Axel Schlimper verschnüren die Teilnehmenden ihre Plakate und rollen die Transparente ein. Während die Polizei nach einem Hinweis szenekundiger Journalisten die Personalien Alfred Schaefers wegen des gezeigten Hitlergrußes notiert, verabreden sich andere, den für sie erfolgreichen Tag in einem Nürnberger Biergarten ausklingen zu lassen. Vom Gegenprotest ist schon seit einiger Zeit nichts mehr zu sehen.
Als Fazit bleibt der Eindruck zurück, dass es 2018 in Deutschland wieder möglich ist, offen und ungestört auf der Straße die Shoah zu leugnen, den Nationalsozialismus zu verherrlichen und den Genozid an Juden zu fordern. Obwohl den örtlichen Behörden hätte klar sein müssen, dass es ziemlich sicher zu Straftaten kommen wird, und obwohl über 20 Minuten lang mutmaßlich Straftaten verübt wurden, schritten die Vertreter der Nürnberger Behörden nicht ein. Erst als Journalisten Anzeige gegen einen der Redner erstatteten, wurden erste Ermittlungsmaßnahmen getroffen.