Bereits über eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn sah man am vergangenen Samstag (17.2.2018) auf dem Postplatz in der Dresdener Innenstadt die ersten Teilnehmenden des rechtsextremen Aufmarsches. Gebannt warteten die angereisten Aktivisten auf die „prominenten“ Gäste, die der organisierende Shoaleugner Gerhard Ittner in seinem Aufruf als Redner angekündigt hatte. Richard Edmonds, Mitbegründer der britischen BNP, reiste extra aus Großbritannien an und aus Kanada war der Shoaleugner Alfred Schaefer in die sächsische Landeshauptstadt gekommen, um vor den versammelten Anhängern zu sprechen. Dass es dazu nicht mehr kam, lag daran, dass bereits die ersten Gäste inkriminierte Formulierungen benutzen. Nach „Dresden ist die Stadt des echten Holocaust“ und „Es gab einen Holocaust in den 1940er Jahren, der es verdient hat, ein Holocaust genannt zu werden. […] Und einer in diesem Land und in Europa war derjenige auf deutsche Zivilisten“ sah die Polizei Volksverhetzung als gegeben an und löste die Demonstration nach gut 75 Minuten auf.
Zuvor entrollten Gegendemonstrierende am Rande des Postplatzes Spruchbänder und eine Band sorgte mit rhythmischen Klängen für gute Stimmung. Bis zum Beginn des kruden antisemitischen Spektakels füllte sich der polizeilich gut gesicherte Platz mit etwa 250 Teilnehmenden. Überwiegend waren es unscheinbare Menschen älteren Semesters. Gingen Journalisten mit ihren fetten Kameras an ihnen vorbei, raunte es gelegentlich „Lügenpresse“. Einige Wenige hielten Plakate hoch, auf denen beispielsweise die Inhaftierung von Shoaleugnern angeprangert wurde. Mützen und Fahnen in den Farben des deutschen Reichs – ein typisches Kennzeichen sogenannter Reichsbürger – komplettierte weitestgehend das sichtbar getragene politische Statement der Anwesenden.
Mit knapp einstündiger Verspätung und dem Verlesen der Auflagen eröffnete Versammlungsleiter Hartmut Wostupatsch die Kundgebung. Im Stakkato machte der Würzburger Neonazi darauf aufmerksam, dass Parolen, wie „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ verboten seien. Außerdem sei dem vorbestraften Shoaleugner Gerhard Ittner, Initiator der Veranstaltung, verboten worden, zu sprechen.
Wegen seines frühen Auftritts war der aus Berlin angereisten Grundschullehrer Nikolai Nerling nicht vom vorzeitigen Abbruch der Kundgebung betroffen und konnte so den Anwesenden erzählen, wie er es schaffte „aufzuwachen“. Vor seinem Erweckungserlebnis habe er viel gefeiert, gesoffen, geraucht und sich viele Pornos angeschaut. Seit seinem Wandel habe er keine Rückenschmerzen mehr und könne wieder aufrecht gehen. Sein einstudiertes „Glaubensbekenntnis“ klang so wie das vieler anderer Konvertiten, die sich oft nach einem auf und ab im Leben radikalisierten. Menschen/Glaubenseiferer, die ihr altes Leben verdammen und im Heute märtyrerhaft für ihre neue „Ideale“ zu kämpfen.
Teilnehmer der „Trauerfeier“.
Da Nerling seit geraumer Zeit auf Demonstrationen und via Youtube menschenverachtende und antisemitische Propaganda verbreitet, hat ihn die Berliner Schulverwaltung bis zur Klärung aller Sachverhalte vom Schuldienst freigestellt. Die dadurch freigewordene Zeit bezeichnete der Youtube-Blogger in seiner Dresdener Rede stolz als “Hetzefrei”, also freie Zeit für Hetze.
Nachdem er seinen eigenen Auftritt beendet hatte schlüpfte der selbsternannte Volkslehrer in die Rolle des referierenden und übersetzenden Lehrers, verlas zunächst ein Grußwort von Fredrick Toben, den er als einen langjährig aktiven „Geschichtsforscher“ anmoderierte. Der in Deutschland als Gerold Friedrich Töben geborene und nach Australien emigrierte Toben gehört zum Who is Who der international gut vernetzten Shoaleugner-Szene. 1994 gründete er in seiner Wahlheimat das „Adelaide Institute“ samt dazugehöriger Website. Neben zwei bis drei anderen ist die rechtsextreme Webseite dieses „Instituts“ eine der zentralen Informationsquellen für Shoaleugner und wird aus diesem Grunde von einigen Internet-Suchmaschinen nicht angezeigt.
Beim Verlesen des Grußwortes, in dem von „angebliche Untaten der Deutschen“ und dem Verschweigen der „wahren historischen Geschehnisse“ die Sprache war, kam der Berliner Grundschullehrer ausgerechnet bei einem Satz ins Stocken. Die Vermutung liegt nahe, dass Toben in seinem schriftlich verfassten Statement den Holocaust relativiert hat. „Lasst uns heute unsere Opfer von Dresden, aller deutschen Bombenopfer des wahren …“ liest Nikolai Nerling flüssig vom Blatt ab – hält kurz inne – und sagt „Verbrennens gedenken“. Das dieses Stocken Raum für Spekulationen lässt, liegt auch daran, dass Nerling bei seiner späteren englisch-deutschen Übersetzung dreimal „Holocaust“ mit „Verbrennen“ übersetzte.
Als nächstes kündigte Nerling Vitali Killer an, der das Publikum „mit einem Gedicht erfreuen“ werde. Killer, der sein kurzes Gedicht „Der schwarze Tag von Dresden“ vortrug, war bei dem Wort „Holocaust“ weniger zimperlich als der „Volkslehrer“. Mit starkem russischen Akzent sprach er von einem schmerzhaften Tag für die schönste Elbestadt, von den Leichenbergen, die verbrannt worden waren und endete mit: „Dresden ist die Stadt des echten Holocaust und großer Geist der Wahrheit und Betrüger“. Diese letzten Worte in seinem Gedicht, dass vom Publikum mit Beifall bedacht wurde, veranlasste die Polizei zur Aufnahme der Personalien des Dichters und zum Schreiben einer Anzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.
Ähnlich erging es der nächsten Rednerin, die bei der Shoaleugner-Kundgebung als Überraschungsgast auftrat. Eigentlich haben sie gar nicht damit gerechnet, in Dresden zu sprechen, sagte Michèle Renouf. Bevor die gebürtige Australierin vors Mikrofon trat, kündigte sie der Berliner Grundschullehrer Nerling als eine Frau an, „die alle Größen der wahren Geschichtsforschung kennt und sie mit ihrer Arbeit unterstützt“. In der einschlägigen Szene gilt die ehemalige Schönheitskönigin als charismatische Unterstützerin.
In ihrer Ansprache relativierte und leugnete Michèle Renouf mehrfach den Holocaust und billigte Verbrechen der Nationalsozialisten. So sagte sie nach der Anpreisung ihrer DVD „Dresden Holocaust 1945 – An apology to Germany is due“:
„There was one Holocaust in 1940’s and he deserves to be called a Holocaust. […] And one in this country and in Europe was the one on the German civilians. They were burned alive. That is what a Holocaust is. A burning alive. And only the German civilians were burned alive. Only the Germans may call it a Holocaust.“
Damit nicht genug, rechtfertigte Renouf im weiteren Verlauf ihres Vortrags die Internierung von Jüdinnen und Juden in Konzentrationslagern:
„So as I say, when your government or your federation, which is the world government, declares a war on another country, you personally may not want to be part of the war. But unfortunately, that’s how it is in wartime. So that every Jew, therefore, was made by the Jewish Federation a fifth colonists. Therefore it is normal practice in wartime to put your fifth-colonists into concentration camps. That is normal. That it’s not exceptional cruelty by the Germans.“
Übersetzt wurden Renoufs Worte von Nikolai Nerling, der bis zu seiner Suspendierung im Januar 2018 Grundschülern in Berlin neben Sport und Musik gelegentlich auch Englisch beibrachte. An den Stellen, von denen er scheinbar der Ansicht war, sie könnten heikel werden, gab es von ihm eine Interpretation statt Übersetzung. Besonders auffällig war, mit welchem Begriff er „Holocaust“ übersetzte. Ein Wort, das bei Renouf insgesamt siebenmal vorkam. Zweimal belies es Nerling bei dem Wort „Holocaust“. Die anderen Male sprach er von „Verbrennung“ oder überging das Wort ganz.
Als Renouf später die Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden rechtfertigte, weigerte sich Nerling zu übersetzen. „Und ich glaube, das darf ich jetzt gar nicht übersetzen“, sagte er mit irritierter Mimik. „Denn … ähm … das würde vielleicht Schwierigkeit ergeben – leider“, fügte er hinzu. „Nee, das möchte ich nicht übersetzen.“
Aus dem sichtlich erregten Publikum raute es „doch, ja“ und „du bist zu wichtig“.
Die Teilnehmenden waren nach der Rede Renoufs schon im Aufbruch zum Aufmarsch durch Dresden begriffen, als die Polizei mit Lautsprecherdurchsagen darauf hinwies, dass die gesprochenen Inhalte der letzten Reden erst einmal auf mögliche Strafbarkeit überprüft werden müssten.
Derweil seien weitere Reden und das Abspielen von Musik nicht gestattet, schallte es aus dem Polizeiwagen.
Während Michèle Renouf zur Personalienkontrolle in Gewahrsam genommen wurde, entwickelten sich auf dem Kundgebungsplatz tumultartige Szenen. Organisator Gerhard Ittner beschimpfte die eingesetzten Polizisten als „Bullenschweine“ und „Volksverräter“. Die Menge stimmte ein.
Kurz Zeit später war dann ganz Schluss mit der Veranstaltung. Die Polizei löste die Demonstration auf und forderte die pöbelnde Menge auf, in Kleingruppen von nicht mehr als fünf Personen unverzüglich den Platz zu verlassen. Erst rebellierte man. Dann wurde lautstark verkündet, im nächsten Jahr wiederzukommen. Schließlich verließen auch die letzten Teilnehmenden widerwillig den Aufmarschplatz und es kehrte allmählich Ruhe in der Dresdener Innenstadt ein.
Epilog
Zwei Tage nach dem Dresdener Aufmarsch wurde auf dem Youtube-Kanal „Der Volkslehrer“ ein Zusammenschnitt vom Aufmarsch veröffentlicht, mit Aufnahmen von Nikolai Nerling. Das knapp 52-minütige Video enthält Vitali Killers komplettes Gedicht, inklusive der mutmaßlich holocaustrelativierenden Formulierung, dass Dresden „die Stadt des echten Holocaust“ sei. Eine Distanzierung von diesem Inhalt fand weder im Video noch in der Beschreibung zum Video statt. Einen Tag später war dieser Film auf der Übersichtsseite des Kanals nicht mehr zu sehen. Stattdessen wurde eine gekürzte Fassung hochgeladen, in der Killers Gedicht herausgeschnitten worden war. Der ursprüngliche, inzwischen auf „nicht gelistet“ gestellte Zusammenschnitt, wurde zwischenzeitlich (23. Feb. 2018) über 16.000 Mal abgerufen und rund 950 Mal kommentiert.