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Slowakei Mit Antiziganismus auf politischem Erfolgskurs

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Rechtsextremer Wahlsieger der Regionalwahl in Banská Bystrica: Marian Kotleba von der Partei "Volkspartei Unsere Slowakei". (Quelle: picture alliance / dpa)

Von Matej Smorada, Niels Gatzke, Pavel ?imove

Atmosphäre in der Gesellschaft

Nach der Wende und nach der Gründung der Slowakischen Republik im Jahre 1993 mussten Politikerinnen und Politiker im Prozess der Umwandlung zu einem demokratischen Rechtwesen und zur Marktwirtschaft viele unpopuläre und in der Gesellschaft nicht willkommene Reformen durchführen. Populistische Parteien gewannen in diesem Prozess an Einfluss, denn ihre vorgeschlagenen „Lösungen“ waren und sind einfacher zu verstehen. Nach 60 Jahren Faschismus und real existierendem Sozialismus waren und sind totalitäre Vorstellungen in der Gesellschaft leider fest verankert. So wird der Wert der Demokratie an sich von weiten Teilen der slowakischen Gesellschaft nicht geschätzt.

Von fünf Millionen Menschen, die in der Slowakei leben, gehören rund ein Fünftel einer Minderheit an. Dies sollte eigentlich dazu führen, einen spannenden kulturellen Austausch in der Gesellschaft zu pflegen und ein  vielfältiges Miteinander zu leben. Es ist aber leider anders. Die meisten Bürgerinnen und Bürger verstehen sich im Gegensatz zu vielen westlichen Staaten nicht als politische Nation, sondern als ein ethnisches Volk, dass die Slowakei gründete. Der slowakische Premier Robert Fico, der Vorsitzende der allein regierenden Partei „Richtung – Soziale Demokratie“ (SMER – Sociálna demokracia) ist der Meinung, man hätte den unabhängigen Staat „… vorrangig nicht für Minderheiten, so sehr wir sie auch schätzen, gegründet, sondern für die slowakische staatsbildende Nation.“ Leider spürt man diese Ausgrenzung der Minderheiten überall und das nicht nur in der Politik. Die Atmosphäre ist Minderheiten gegenüber angespannt, eher feindlich und das demokratische Bewusstsein gering.

Selbstverwaltungswahlen in Banská Bystrica

Die Selbstverwaltungskreise der Slowakei entsprechen auf der administrativen Ebene etwa den deutschen Bundesländern. Im Selbstverwaltungskreis Banská Bystrica leben mehr als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung der Slowakei. Sein Zentrum Banská Bystrica ist die sechstgrößte Stadt des Landes. Die Wahlbeteiligung in beiden Runden der Wahlen zum Vorsitzenden des Selbstverwaltungskreises lag bei 25 Prozent. Marian Kotleba bekam in der Stichwahl über 55 Prozent der Stimmen, das heißt, dass ihn von mehr als 530.000 Wahlberechtigten 71.397 wählten. Das ist zwar nur ein Achtel der Wahlberechtigten des Selbstverwaltungskreises, seine gesetzliche Legitimation ist zwar erfüllt, aber sie ist gesellschaftlich niedrig. Unterschätzt werden sollte sein Sieg aber nicht.

Wer ist Marian Kotleba?

Uniform und Schnurrbart zeigen die meisten Fotos, wenn man den Namen des Siegers der letzten Wahlen im Selbstverwaltungskreis Banská Bystrica, Marian Kotleba, in eine Suchmaschine eintippt. Viele im In- und Ausland schlagen Alarm. Die Slowakei wird plötzlich zum Objekt des negativen Interesses. Warum kam es dazu?

Marian Kotleba ist mit zwei Hochschulabschüssen ein gebildeter Mensch und Vorsitzender der Partei „Volkspartei – unsere Slowakei“ (?udová strana na?e Slovensko). Früher war er „Führer“ der inzwischen von Obersten Gericht verbotenen Partei „Slowakische Gemeinschaft – Nationale Partei“ (Slovenká Pospolitos? – Národná strana). Verboten wurde sie, da ihr Programm nicht mit der demokratischen Verfassung der Slowakei übereinstimmte. In ihrem Programm wollte die Partei nämlich das Wahlrecht der slowakischen Bürgerinnen und Bürger einschränken.Schaut man weiter im Internet nach Marian Kotleba, fallen einem seine zahlreichen antisemitischen Andeutungen auf, in denen er die Deportationen der Juden in Konzentrationslager für die optimale Lösung hält und den faschistischen slowakischen Staat würdigt. Antisemitismus, Hitlers Rassentheorie und die Huldigung des Faschismus, das sind Themen, mit denen man allerdings nur Rechtsextreme beeindruckt, aber nicht die einfachen Slowaken, denn die Slawen waren für Hitler keine Arier. Zu solchen Fragen aber äußert Kotleba sich heute  nicht mehr. Um wieder in das politische Spektrum zu gelangen, musste er seinen Extremismus und sein Auftreten in der Gesellschaft ändern. Antiziganismus und Kritik der heutigen slowakischen Politikerinnen und Politiker sind jetzt seine zwei Schwerpunkte.

Die Themen des Wahlkampfes

Die Arbeitslosenzahl beträgt in der Slowakei fast 15 Prozent und liegt im Selbstverwaltungskreis Banská Bystrica bei 20 Prozent. Arbeit für jeden, der arbeiten will, versprach Kotleba. Wie er das schaffen will? Mal sehen, er vermied bisher konkrete Äußerungen. Sein Gegenkandidat Vladimír Ma?ka von der Regierungspartei SMER-SD ist ein typisches Beispiel für einen slowakischen  Funktionär – er war bis zu diesen Wahlen gleichzeitig Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Vorsitzender des Selbstverwaltungskreises Banská Bystrica und stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei SMER-SD. Er sagte, dank eines guten Mitarbeiterteams funktioniere dies problemlos. Viele Wählerinnen und Wähler waren da wahrscheinlich anderer Meinung. Wie auch viele andere Kandidaten und Kandidatinnen stellte er keine Alternativen zur Lösung der konkreten wirtschaftlichen Probleme vor. Marian Kotleba stellt sich als eine Alternative dar für diejenigen, die das demokratische System auch prinzipiell für korrupt halten und davon ausgehen, dass sich ihre Lebenssituation in der Demokratie nicht verbessert, oder auch für diejenigen, die nicht dazu bereit sind, bei der Verbesserung der Lebensbedingungen mitzuhelfen, die nicht länger warten möchten – oder die einfach rechtsextrem sind.

Die Korruption ist in der Slowakei weit verbreitet. Man bezahlt den Arzt oder die Ärztin, um eine gute Behandlung zu kriegen, man bezahlt den Politiker oder die Politikerin, um ins Geschäft zu kommen. Wer das nicht sieht, schließt bewusst seine Augen. Kotleba ist bis jetzt nicht korrupt. 

Doch die meisten Punkte sammelte er im Wahlkampf mit Antiziganismus. Die Roma bilden nach Schätzungen ein Zehntel der Gesellschaft. Die „Unanständigen“, die „Nicht-Anpassungswilligen“, wenn diese Wörter jemand benutzt, dann redet er oder sie in der Slowakei über Roma. Viele in der slowakischen Gesellschaft empfinden Hass gegenüber den Roma. Sie leben meistens in segregierten Gemeinden oder Stadtvierteln. Dort liegt die Arbeitslosigkeit bei 90 Prozent. Kein Wasser, keine Arbeit, keine Bildung, keine Vorbilder. Davor haben viele Menschen Angst, damit wollen sie sich nicht auseinandersetzen und sie wollen nicht dazu beitragen, dies gemeinsam zu verändern – das Problem soll nur „abgeschafft“ werden. Die Menschen wollen nicht hören, dass die politische Integration der Roma mehr Geld und mehr professionelles und bürgerschaftliches Engagement über Jahrzehnte erfordert und das der Erfolg nicht garantiert ist, um ein gutes Zusammenleben und Miteinander zu schaffen.

Antiziganismus

Viele Politiker von links bis rechts tätigten romafeindliche Aussagen. Um die Runde abzuschließen, lesen wir in der sehr bekannten Wochenillustrierten „+7DNI“ die Worte des Präsidentschaftskandidaten einer weiteren Oppositionspartei, der „Christlich-demokratischen Bewegung“ (Kres?ansko demokratické hnutie) Pavol ?arnogurský. Ihm zufolge erlebte das slowakische Schulwesen, die Literatur und die Kultur in der ersten Slowakischen Republik von 1939 bis 1945 eine bis dahin ungesehene Entwicklung. „Man könne nicht bezweifeln, dass die Möglichkeiten des Schaffens unvergleichbar größer waren als in der Zeit des Sozialismus.“ Er lobt also gegenüber zigtausenden Lesern die slowakische faschistische Diktatur. In dieser Zeit wurde nicht nur die jüdische Bevölkerung als Folge der Politik dieses Staates ausgerottet, sondern man findet Massengräber von totgeschlagenen Roma aus dieser Zeit in der ganzen Slowakei. Die überlebenden Roma wurden nur durch eine Großepidemie in den Sammellagern vor den Gaskammern von Auschwitz gerettet.

In der Kulturhauptstadt Europas 2013, Ko?ice, steht eine der neuesten Betonmauern, die den Stadtteil Luník VIII vor problematischen Einwohnern und Einwohnerinnen des Nachbarstadtteils Luník IX „schützen“ soll, die sich den Weg zu den Supermärkten durch diese Siedlung verkürzen. In Luník IX leben vor allem Roma. Die EU-Kommissarin für Bildung, Kultur und Jugend sowie für Mehrsprachigkeit, Androulla Vassiliou, schrieb der Kulturhauptstadt Europas und ihrem Stadtteil Luník VIII einen Protestbrief mit der Aufforderung, die Mauer abzureißen. In der Slowakei sind in den letzten 14 Jahren einige solcher Mauern in den Gemeinden und Städten gebaut worden. Vor allem nach dem EU-Beitritt, wo Millionen von Euro an EU-Förderungen gerade zur Verbesserung des Zusammenlebens geflossen sind. Kotleba sagte schon in der Wahlkampagne 2009 ganz offen auf seinen Plakaten „mit deinem Vertrauen schaffe ich es bestimmt, (unter anderem) die ungerechte Bevorzugung nicht nur von Zigeuner-Schmarotzern zu beseitigen.“ Es wurde gegen diese Parolen geklagt, ohne Erfolg. Kotleba meint es ernst.

Wahlerfolg

Marian Kotleba als Kandidat der Partei „Volkspartei – unsere Slowakei“ bekam die größte Unterstützung der Wähler in den Wahlkreisen, die bei weitem nicht die ärmsten in dieser  Region sind. Ihn unterstützten in der reichsten Stadt und Sitz des Selbstverwaltungskreises sogar fast zwei Drittel der Wähler und Wählerinnen. Er gewann nicht in den Wahlkreisen, in denen die Arbeitslosigkeit 30 Prozent und mehr erreicht. Und auch dort nicht, wo schätzungsweise die meisten Roma dieser Region leben. Also nicht dort, wo die Menschen im Alltag mit ihnen am häufigsten in Berührung kommen. Ebenso nicht in den Wahlkreisen, in denen die ungarischen Minderheiten beträchtliche Anteile an der Gesamtbevölkerung bildet. Marian Kotleba überzeugte vor allem die Menschen, die rassistischen Ressentiments gegenüber den Roma glauben, ohne mit ihnen wirklich in Berührung zu kommen.

Die Autoren:

Matej Smorada – Vorstandsmitglied der Bewegung Mensch (Hnutie HUMAN), der slowakischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), zurzeit Stipendiat im Programm ,,Europa gestallten – Politische Bildung in Aktion“ der Robert Bosch Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bei der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg – Vorpommern.

Niels Gatzke – Berater im Regionalzentrum für demokratische Kultur Vorpommern-Greifswald der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg – Vorpommern.

Pavel ?imove – Vorstandsmitglied der Bewegung Mensch (Hnutie HUMAN), der slowakischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM).

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Wenn über Sinti und Roma in Deutschland gesprochen wird, dann werden meist dieselben stigmatisierenden Beschreibungen gewählt. Antiziganistische Vorurteile halten sich hartnäckig. Dies zeigen auch erste Ergebnisse einer aktuellen Studie. Um dies zu ändern müsse eben auch mehr mit anstatt über Sinti und Roma gesprochen werden, betonen viele ihrer Vertreter*innen. Dies geschieht aber viel zu selten. Daher ist das Wissen über Kultur und Geschichte der größten europäischen Minderheit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft viel zu gering. Auch das wollen Sinti und Roma- Vereine und Stiftungen jetzt ändern.

Von Joschka Fröschner

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