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Social Networks Das Dritte Reich im Web 2.0

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Die Geschichte, die Facebook am Ende eine Menge Geld kosten wird, beginnt mit einem Quiz. Diese kleinen Applikationen sind beliebt bei den Nutzern des sozialen Netzwerks. Sie dauern nur wenige Minuten, und am Ende weiß man, welche Stadt am besten zu einem passt oder ob man ein Daiquiri- oder ein Biertrinkertyp ist. Ein an sich harmloser Zeitvertreib. Brisant wird es, wenn das Quiz Namen „Which Nazi are you?“ trägt, das Resultat „Adolf Hitler“ lautet und die Facebook-Bekannten bisher keine Ahnung von den rechtsextremen Gedanken hatten, die der Quizzer in seinem Kopf spazieren trägt.

„Which Nazi are you?“

Als Marketing-Experte Chris M. eben jenes Quizergebnis auf dem Profil einer Bekannten entdeckt, wäre er fast vom Stuhl gefallen. „Ich hab dann ein bisschen genauer geguckt und hab lauter Gruppen in ihrem Profil entdeckt, die stramm in die rechte Ecke gehen.“ Chris, der lieber anonym bleiben will, ist alarmiert. Sofort beginnt er, in dem weltgrößten sozialen Netzwerk nach weiteren Nazi-Gruppen zu suchen. Was er findet, erstaunt ihn: „Ich wusste, dass es dieses Problem gibt. Aber gerade das Ausmaß, auch teilweise die Art und Form der Inhalte, haben mich schon sehr schockiert.“

Gruppen für alle rechten Abarten

Für alle rechten Abarten existieren Gruppen, in denen sich die Mitglieder austauschen, andere Gesinnungsgenossen treffen und ihre kruden politischen Ansichten festigen. Die Holocaust-Leugner vernetzen sich bei „No Holocaust“, es gibt Hitler-Fangruppen, andere feiern Rudolf Hess oder die Waffen-SS. Und überall: Hakenkreuze, SS-Runen, „Sieg Heil“-Sprüche.

Insgesamt 200 Gruppen sammelt Chris, lässt die Liste auf dem Weblog boocompany.com veröffentlichen, zusammen mit einem öffentlichen Brief an die Facebook-Investoren. Die sagen dazu kein Wort, die Gruppen dagegen verschwinden über Nacht.

Marketing-Experte postet bei boocompany.com

Doch zu spät: Die Nachrichtenagentur dpa greift den Naziskandal auf, die Nachricht macht die Runde, erste Werbekunden springen ab. Unter anderem die Deutsche Telekom. „Wir haben uns entschieden, diese Anzeigenkampagne zu stoppen, weil wir darauf aufmerksam geworden sind, dass diese im rechtsradikalen Umfeld dort veröffentlicht wurden“, sagt Frank Domagala, Pressesprecher von T-Home.

Für Facebook ein doppeltes Problem. Einerseits ein Imageschaden. Andererseits bedroht der Fall auch das Geschäftsmodell. Werben Firmen doch dort, weil sie gezielt Menschen erreichen wollen. Leider aber haben sie keinen Einfluss darauf, wo ihre Anzeigen genau erscheinen. Stattdessen werden Cluster gebildet: Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf. Wer ins Raster passt, bekommt die entsprechende Werbung angezeigt. Egal ob er sich für rechte Gruppierungen oder abstrakte Malerei interessiert.

Das Problem der unsteuerbaren Werbung

Die Werbekunden verlassen sich dabei auf Agenturen wie Microsoft Advertising, die die Anzeigenflächen für Plattformen wie Facebook vermarkten. Doch auch hier herrscht Ahnungslosigkeit in welchem Umfeld die Werbung tatsächlich erscheint. Schriftlich teilt Microsoft mit: „Wir waren von den unpassenden Inhalten auf den Seiten unseres Vermarktungs-Partners schockiert und bieten auf dem Umfeld ‚Gruppen‘ bis auf Weiteres keine Werbung mehr an.“

Der SPD wird das System zum Verhängnis. Vor zwei Wochen startete sie die große Web-Kampagne für Frank-Walter Steinmeier: Facebook-Seite und
passende Werbebanner sollen dem Kanzlerkandidaten auch bei Menschen unter 40 zu Prominenz verhelfen. Doch die Werbung erscheint auch, wenn man bei Facebook unter „Nazis“ sucht. Ein hässliches Bild: Der Kanzlerkandidat direkt neben Hakenkreuzen. Viele User sehen das, nur die SPD nicht: „Dieser Sachverhalt war uns derart nicht bekannt“, teilt die Wahlkampfzentrale in einer knappen Stellungnahme mit.

Die Partei zieht Konsequenzen und stoppt alle Anzeigen, genauso wie Mobilfunkanbieter O2 und Fast-Food-Riese McDonald?s. Ein Desaster für den Netzwerk-Monopolisten.

Nazis in allen Netzwerken

Doch Facebook ist nicht allein mit dem Phänomen: MySpace, YouTube, die VZ-Gruppe, Lokalisten oder Wer-kennt-wen ? überall finden sich rechtsextreme Inhalte. In der Mein-VZ-Gruppe „Auf Frankreich fahr ich nur in Ketten“ diskutieren Nutzer, welcher Panzer sich am besten für einen militärischen Überfall eignet. Auf MySpace machen rechtsextremen Rockgruppen mit Namen wie „Revierkampf“ oder „Preussenstolz“ Werbung für sich. Und YouTube versucht seit Jahren vergeblich, verbotene Lieder und rechte Propaganda-Videos fernzuhalten. Denn auch die Rechtsextremen wissen, wie attraktiv das Web für junge Menschen ist. Mit professionell erstellten Videos versuchen sie, naive Jugendliche von ihrer Weltanschauung zu überzeugen.

Verfassungsschutz: Mehr Mühe geben

„Es ist ausgesprochen schwer, auch für die Betreiber dieser Foren, diese schwarzen Schafe immer rauszusortieren“, sagt der Verfassungsschutzpräsident von Niedersachsen, Günter Heiß. „Ich würde allerdings sehr dafür plädieren, dass man sich hier etwas mehr Mühe gibt, denn das, was wir täglich im Internet sehen, spricht eigentlich dafür, dass die Betreiber dieser Seiten nicht besonders bemüht sind, so etwas zu verhindern.“

Auf Nachfrage teilen fast alle mit, hart und unerbittlich gegen verbotene Inhalte vorzugehen. Die Mein-VZ-Gruppe lösche rechte Inhalte, wenn sie „Kenntnis darüber erlangen“. Bei YouTube spricht man von extra dafür „geschultem Personal“. MySpace verwendet nach eigenen Angaben Softwarefilter und automatische Bildscanner. An einer ähnlichen Lösung will derzeit auch Facebook arbeiten. Bis dahin hat man alle Werbeeinblendungen in den Gruppen eingestellt ? der finanzielle Druck zeigt Wirkung.

Dieser Text erschien auf ZEIT online.

Zum Thema:

| Internet: Bester Vertriebskanal für rechtsextreme Musik und Propaganda
Hier auch Informationen, wo auf den oben genannten Netzwerken rechtsextreme Seiten gemeldet werden können!

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