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Spremberg Prozesse gegen „Widerstand Brandenburg“

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Angstzone Spremberg: Immer wieder kommt es am Busbahnhof zu Neonazi-Übergriffen. (Quelle: wikimedia commons/SPBer)

Am 2. Juli diesen Jahres war es soweit: Das Amtsgericht Cottbus spricht sein Urteil gegen Martin G., einen der Hauptakteure der Spremberger Neonaziszene. Zu einem Jahr und drei Monaten wird G. verurteilt, weil er zwei Jahre zuvor einem Jugendlichem mit rumänischem Migrationshintergrund das Handy geraubt hatte. Das Ganze ereignete sich auf einer Gartenparty. Der Jugendliche wurde zunächst auf einem Stuhl sitzend gewürgt, bis er mit dem Stuhl hintenüber fiel. Danach schleiften ihn G. und ein weiterer Mann nach draußen. Dort fixierte ihn der Mittäter, während G. auf ihn einschlug. Anschließend entwendeten sie das Handy, das Opfer erlitt schwere Verletzungen im Gesicht. Anfang 2013 wird der 22-jährige Spremberger wieder auffällig: Aus rassistischen Motiven verpasst er einem jungen Mann einen Faustschlag. Mit dem Urteil wird das Bedrohungspotential, das von G. ausgeht, zwar endlich vom Gericht anerkannt, ins Gefängnis muss er trotzdem nicht. Er legt Berufung ein. Die Verhandlung ist für den 9. Dezember angesetzt.  Dieser Weg muss selbstverständlich auch Neonazis offen stehen. Richter Christian Grauer ist allerdings der Meinung, es sei nur eine Frage der Zeit, bis jemand anderes von Martin G. einen Fausthieb verpasst bekomme, nur weil sie anders aussehe oder nicht in dessen Weltbild passe.

Neonazis in ihrem Machtgefühl bestärkt

Und eigentlich gäbe es gute Gründe G. wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft zu schicken: Schon im Vorfeld des Prozesses versuchte er, Zeug*innen per SMS einzuschüchtern. Er bedrohte sie, sie sollten keine belastenden Aussagen tätigen. Dies wirkt umso glaubwürdiger, als dass die Zeug*innen um die hohe Gewaltbereitschaft der Neonazis um G. wissen. Im März 2013 wird ein alternativer Jugendlicher am Busbahnhof von vier Rechten geschubst, einer der Angreifer schlägt ihm mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Wenige Tage vorher hatten dieselben Neonazis den Jugendlichen als „linkes Stück Scheiße“ beschimpft. Seit Anfang 2012 sind für Spremberg 17 rechte Gewalttaten dokumentiert. Die Mitglieder der Gruppe, aus der heraus diese geschehen, sind weitestgehend namentlich bekannt. Die Taten werden aber kaum geahndet, es vergehen Jahre bis sie vor Gericht kommen. Dies bestärkt die brutal vorgehenden Neonazis noch in ihrem Machtgefühl.  Als eine Zeugin in der Verhandlung von den Drohungen durch G. berichtet, resultieren daraus jedoch keine Konsequenzen für G.. Das Gericht sieht sich nicht einmal zu einer Rüge genötigt.

 „Eine tickende Zeitbombe“

Knapp zwei Monate nach dem Urteil gegen G.: Am späten Abend wird ein junger Mann, der regelmäßig Attacken von Neonazis ausgesetzt ist, auf der Straße von zwei Maskierten angegriffen. Beide Angreifer tragen T-Shirts der Cottbuser Rechtsrock-Band „Frontalkraft“. Einer der Männer schlägt dem Opfer mit der Faust ins Gesicht und sagt: „Man sollte sich in Spremberg nicht mit den falschen Leuten anlegen.“ Der junge Mann wird bereits seit längerem von den Neonazis bedroht, sie kommen aus demselben Umfeld, in dem sich auch G. bewegt. G. ist bereits einschlägig vorbestraft: 200 Euro musste er für einen Angriff auf einen Polizisten im November 2012 zahlen, der ihm einen Platzverweis wegen rechter Parolen auf einer Privatparty erteilt hatte. Im Juni 2013 wurde G. wegen Körperverletzung, Nötigung und Propagandadelikten zu 9 Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er im Jahr 2012 auf einer Feier in Terpe vier Personen durch Schläge, Tritte und den Wurf eines Bierglases verletzt hatte. Während der Tat streckte er den Arm zum Hitlergruß und rief „Heil Hitler“.

Neonazi-Angriffe mit hoher Brutalität

Deutlich ist aber: Mit einer Gefängnisstrafe gegen G. wird sich das Neonazi-Problem in Spremberg keineswegs erledigt haben. So ist mit Marcus S. eine weitere zentrale Figur der Spremberger Szene wegen Körperverletzung angeklagt. Der für Ende Oktober angesetzte Prozess wurde aber verlegt, der neue Termin ist noch offen. Wie ein roter Faden durch die Aufarbeitung rechter Gewalt in Spremberg zieht sich die überaus langwierige Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden. Im sogenannten „Erebos-Prozess“ mussten die Geschädigten ebenfalls über zwei Jahre auf eine Gerichtsverhandlung warten. Fünf junge Leute wurden im Mai 2012 nach einem Punkkonzert im Spremberger Jugendclub „Erebos“ von rechten Schlägern überfallen. Sie konnten sich gerade noch in ihr Auto retten, welches die maskierten Täter mit Schlaginstrumenten und Tritten zertrümmerten. Einer von ihnen wurde durch einen Hieb mit einem Schlagstock an der Hand verletzt, alle erlitten Verletzungen durch Glassplitter. Nur ein Tatverdächtiger konnte ermittelt werden. Der Angriff erregte bundesweit Aufsehen, weil er sich in eine Reihe rechter Übergriffe einfügte: Kurz zuvor hatte die „Lausitzer Rundschau“ über die Strukturen der lokalen Neonaziszene berichtet, es folgten Angriffe auf das Büro der Lokalredaktion in Spremberg. So wurden rechte Sprüche an die Fensterscheiben geschmiert und Tierinnereien vor der Eingangstür verteilt. Im Juli 2012 wurde ein Journalist der „Lausitzer Rundschau“ vor dem Redaktionsgebäude von einem Vermummten abgepasst und mit einem Böller beworfen. Der Sprengkörper verfehlte in nur knapp.

Opferschutz-Richtlinien nicht eingehalten

Im September 2014 tagt nun endlich das Amtsgericht Cottbus wegen des Erebos-Angriffs. Trotzdem ist das Gericht  nicht in der Lage, einen adäquaten Saal bereit zu stellen. Wegen Baulärm ist es für die Geschädigten schwierig, bei ihrer Aussage von der Richterin überhaupt gehört zu werden. Eine der Betroffenen, Gina L., berichtet dem Gericht von Alpträumen, die sie bis heute plagen. Auch die Anderen sagen aus, sich seither vor allem abends in Spremberg nicht mehr frei bewegen zu können. Aus Angst vor möglichen Racheakten haben sie, wie es die Opferschutz-Richtlinien vorsehen, die Schwärzung ihrer Adressen in den Gerichtsakten beantragt. Schließlich darf der Angeklagte Sascha K., der der Spremberger Neonaziszene zugerechnet werden kann, ebenfalls die Akten einsehen. Dies ist jedoch nicht geschehen: Die Anträge wurden einfach abgeheftet, ohne entsprechende Schritte in die Wege zu leiten. Wieder einmal zeigt sich, dass es nicht ausreicht, nur Richtlinien zum Schutz von Opfern rechter und rassistischer Gewalt zu beschließen. Auch die Implementierung der Richtlinien muss geregelt sein. Dies ist in Brandenburg offensichtlich nicht geschehen.

Peinliche Panne im Prozess

Der einzige Angeklagte schweigt vor Gericht. Alle anderen Tatverdächtigen, allesamt dem harten Kern der Spremberger Neonaziszene zugehörig, haben sich durch Alibis von Freund*innen und Verwandten aus der Affäre gezogen. Das Schweigen ist, wie sich herausstellt, die richtige Strategie: Sascha K. wurde wenige Tage nach dem Angriff in einem Neonazi-Treffpunkt in unmittelbarer Tatortnähe von der Polizei aufgegriffen. An seinen Füßen Schuhe, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Abdrücken auf dem beschädigten Auto passen. Allein das Gutachten, das Schuhe und Abdruck zweifelsfrei einander zuordnen könnte, wurde von den Ermittlungsbehörden nie in Auftrag gegeben. „Hätte zu lange gedauert“, beim LKA gebe es einen Rücklauf, deshalb betrage die Zeit zur Fertigstellung des Gutachtens anderthalb Jahre, so die lapidare Begründung. Bei zwei Jahren Wartezeit auf den Prozess für die Betroffenen der Gewalttat blanker Hohn. Das Gutachten muss nun trotzdem in Auftrag gegeben werden, bis dahin vertagt sich das Gericht und der Angeklagte bleibt auf freiem Fuß. Möglicherweise werden weitere Jahre vergehen, bis die Betroffenen wieder in den Gerichtssaal zur Aussage müssen. Abschließen können sie mit der rechten Gewalttat auf diese Weise nicht. Wie wenig sich die rechte Szene von dem Prozess einschüchtern lässt, zeigt sich kurz darauf: Wieder wird das Spremberger Redaktionsgebäude der „Lausitzer Rundschau“ angegriffen, Scheiben werden eingeschlagen und rechte und antisemitische Parolen gesprüht.

Nicht zumutbare Belastung Betroffener rechter Gewalt

Der fehlende Opferschutz und die langen Verfahrensdauern stellen eine nicht zumutbare Belastung für die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt dar, betont auch die Beratungsstelle „Opferperspektive e.V.“. Die Mitarbeiterin des Vereins Ulrike Imhof gibt zu bedenken: „Die langen Wartezeiten erschweren nicht nur die Rekonstruktion von Tathergängen, sie bestärken vor allem die rechte Szene in ihrem Gefühl der Unantastbarkeit.“ In Spremberg sind die zentralen Figuren der militanten Neonaziszene seit Jahren bekannt. An Anzeigen gegen sie mangelt es nicht. Mit dem Verbot der „Spreelichter“ im Juni 2012 wurde ihnen eine Organisationsstruktur genommen. Dies hat aber wenn überhaupt nur kurzfristig zu einer Verunsicherung unter den örtlichen Neonazis geführt. Durch regelmäßige und mit hoher Brutalität ausgeübte Übergriffe ist es ihnen gelungen, eine Atmosphäre der Einschüchterung zu schaffen. In ihrem Überlegenheitsgefühl wird die Gewalt der Neonazis immer beliebiger, die Anlässe für Angriffe immer geringfügiger, falls es überhaupt noch welche gibt. „Justiz und Ermittlungsbehörden sind gefordert, Betroffene rechter und rassistischer Gewalt besser zu schützen, und ein Zeichen zu setzen, dass in Südbrandenburg neonazistische Gewalttäter nicht geduldet werden. Die rechte Hegemonie in Spremberg muss aufgebrochen werden, damit sich nicht-rechte und alternative Jugendliche wieder angstfrei bewegen können, “ fordert daher Ulrike Imhof.

 

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