Mögen sich die Neonazis der freien Szene, der Kameradschaften und der Autonomen Nationalisten noch so jugendkulturell-modern kleiden, so sich mit Globalisierungskritik oder Umweltschutz-Engagement einen heutigen Anstrich geben – dass sie am Ende trotzdem genauso NS-verherrlichend und ewiggestrig denken wie Altnazis, zeigt jedes Jahr wieder exemplarisch der Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, der gerade vom „aktionsorientierten“ Teil der Szene immer wieder gern zum Anlass genommen wird, um sich nach Herzenslust unangepasst und vom „System“ verfolgt zu fühlen und als PR-Offensive zu sprühen, zu kleben und zu demonstrieren, so weit es die Möglichkeiten zulassen.
In Berlin haben Neonazis in Neukölln Propaganda und Gewalt verbreitet. Wie schon vor einem Jahr wurde die Fensterfront der Chile-Freundschaftsgesellschaft »Salvador Allende« e.V. eingeschlagen. An mehreren Stellen in Neukölln hinterließen die Nazis Wandschmierereien. Betroffen davon waren u.a. antifaschistische Projekte in der Friedelstraße, die Galerie Olga Benario in der Richardstraße sowie die Neuköllner Geschäftsstelle der Partei DIE LINKE („Rache für Rudolf Heß“ und die Bezirksbüros von Bündnis 90/Die Grünen („Freiheit für Rudolf Heß“ und Keltenkreuze) und der SPD.
In der Heinrich- und der Eitelstraße in Berlin-Lichtenberg stellten Polizisten am Mittwoch mehrere Plakate mit rechtem Inhalt fest, die an Straßenlaternen angebracht worden waren. Beamte einer Einsatzhundertschaft entdeckten zudem Symbole verfassungswidriger Organisationen im Köpenicker Müggelschlößchenweg, wo Unbekannte ein Hakenkreuz und SS-Runen auf einen Kleidercontainer gesprüht hatten, berichtet der RBB.
Die Polizei Duisburg meldet, dass eine Beschäftigte des Wilhelm-Lehmbruck-Museums am Dienstag, den 17.08.2010, auf dem Gelände des Museums etwas versteckt platziert 46 kleine, ca. 30cm hohe Holzkreuze entdeckt hatte. Im Umfeld lagen kleine weiße Zettel auf dem verregneten Boden, auf denen kaum noch leserlich stand: „Rudolf Hess / Märtyrer des Friedens“. Vor einigen der Kreuze standen Grablichter.
In Sachsen-Anhalt hat es an zahlreichen Orten Nazi-Schmierereien im Zusammenhang mit dem Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß gegeben, berichtet die Mitteldeutsche Zeitung. Allein in Magdeburg seien in der Nacht zum Mittwoch an sieben Stellen rechtsradikale Symbole und Parolen festgestellt worden, sagte ein Polizeisprecher in Magdeburg. Dem Innenministerium zufolge hat es auch in mehr als zehn anderen Städten des Landes ähnliche Aktionen gegeben, darunter in Merseburg, Dessau-Roßlau, Wittenberg und Staßfurt. Auch Plakate mit rechten Parolen seien geklebt worden. In Sachsen-Anhalt ist rund um den Todestag jede öffentliche Versammlung verboten, die Bezug auf Heß nimmt und der Verherrlichung des NS-Regimes dient.
In Dessau-Roßlau waren es laut Polizeiangaben an mehr als 20 Orten rechtsextreme Parolen, Sprühfarbe Bildnisse und Schriftzüge mit Bezug zum Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß.
Sachsen: Die Polizei in Delitzsch, meldet, dass an die Fassade einer Verkaufseinrichtung auf einer Fläche von 7,8 m x 1,4 m wurden mit schwarzer Sprühfarbe Schriftzüge anlässlich des Todestages von Rudolf Heß gesprüht wurden, ebenso auf einem Garagenkomplex. In Borna, Geithain, Kohren-Sahlis, Bad Lausick und Frohburg wurden vom ortsansässigen Nazis Plakate verklebt und Parolen gesprüht. Auch in Döbeln wurden Plakate geklebt, in Wurzen Wände beschmiert.
Österreich: Bislang unbekannte Täter haben zwölf Straßenschilder in Unkel und zwei in Linz vermutlich in der Nacht auf Dienstag mit dem Schriftzug „Rudolf-Heß-Straße“ überklebt, berichtet der General-Anzeiger.
Spanien: Nach eigenen Angaben in einem Video im Internet plakatierten Autonome Nationalisten in Madrid revisionistische Plakate mit dem Konterfei von Rudolf Heß.
Internet
Unter falschem Absender haben Unbekannte am Dienstag per E-Mail rechtsextreme Propaganda verschickt. Getarnt als angebliche Post verschiedener Lokalzeitungen, u.a. der Mainpost, des Rheinischen Merkur, der „Nordbadischen Nachrichten“ und der „Stuttgarter Nachrichten“, erhielten mehrere Leser unaufgefordert einen Aufsatz des NPD-nahen Autors Olaf Rose zugeschickt. Darin wird der ranghohe Nazi Rudolf Heß (Stellvertreter von Adolf Hitler) zum Märtyrer stilisiert. Leser beschwerten sich, die Polizei ermittelt nun, ob der Straftatbestand der Volksverhetzung damit erfüllt sei.
Auf Twitter brüsten sich Neonazis unter dem Stichwort #hesswochen oder #hess10 mit ihren Taten zum Thema – wo sie durch welche Städte gelaufen sein oder Plakate hochgehalten haben – allerdings ohne, dass das Widerhall außerhalb der Szene gefunden zu hat.
Demonstrationen
Am Wochenende haben Rechtsextreme zwei Demonstrationen mit Heß-Bezug geplant. In Karlsruhe lautete das Aufmarsch-Motto „Trotz §130 – Mord bleibt Mord“ – mit der lächerlichen Volte, man meine den §130 des Ordnungswidrigkeitsgesetzbuches (Verletzung von Aufsichtspflichten in Unternehmen) statt den des Strafgesetzbuches (Volksverhetzung). Aktuell ist der Aufmarsch von der Stadt verboten, die darin eine Gedenkveranstaltung für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß erkannte, auf der das Versammlungsrecht missbraucht werde, um nationalsozialistische Ideen zu verherrlichen, berichtet etwa die Südwestpresse. Proteste werden trotzdem organisiert.
In Neumünster ist das offizielle Motto der Neonazis der Todestag von Friedrich dem Großen am 17. August 1786 – gemeint ist aber auch hier ohne Zweifel der 1987 gestorbene Heß. Die Demonstration ist erlaubt, massive Gegenproteste werden erwartet, auch eine Blockade soll versucht werden.
Ergänzung 23.08.2010:
Mehr Neonazi-Aktionen rund um Rudolf Heß-Todestag:
Stendal: Neonazis hängen Bettlaken mit Parolen an Straßenbrücken.
Stralsund: Neonazi-Aufmarsch mit 70 Teilnehmenden, von der Polizei gestoppt.
Demmin: Neonazis sprühen nachts Parolen, wo vormittags „Stolpersteine“ verlegt werden sollen.
Neumünster: Neonazi-Aufmarsch fand nicht statt, weil der Veranstalter „alkoholisiert“ war. (ND, shz, kn-online, Bild.de).
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