Die rechtsextreme NPD hat spätestens 2004 mit ihrem Einzug in den Sächsischen Landtag den Sprung in die gesellschaftliche Mitte geschafft. Zwei Jahre später erreichte sie den Einzug in den Landtag zum Entsetzen aller demokratischen Parteien auch in Mecklenburg-Vorpommern. 2009 wird erneut gewählt, und das gleich mehrmals. Neben der Sorge, dass die NPD auf Bundesebene erhebliche Stimmengewinne erzielen könnte, und der Befürchtung, dass die sächsische NPD weiterhin im Landtag bleibt, treibt die Demokraten auch eine andere Frage um: Wird es der NPD in diesem Jahr in Thüringen zum dritten Mal gelingen, in einen deutschen Landtag einzuziehen?
Strategie der Rechten: Eroberung der Gesellschaft ?von unten?
Diese Sorge ist durchaus berechtigt. Denn die NPD verfolgt schon seit vielen Jahren eine Strategie, die von der Mehrheit der Bevölkerung immer noch kaum wahrgenommen wird. Die Partei versucht mit zunehmendem Erfolg, die Gesellschaft ?von unten her? zu erobern. Sie gründet lokale Organisationen und greift kommunalpolitische Themen auf. Längst haben sich NPD-Mitglieder in das Leben der Menschen vor Ort eingeschlichen und diskutieren fleißig mit, wenn beispielsweise in Stadtrats- und Kreistagssitzungen über die geplante Umgehungsstraße beraten wird. Rechtsextreme engagieren sich in Vereinen, im Elternbeirat oder in der freiwilligen Feuerwehr. In Gemeinden mit ausreichend demokratischem Bewusstsein werden Leute, die antidemokratisches und völkisches Gedankengut propagieren, nicht geduldet. Immer häufiger jedoch wird mit den Rechtsextremen vor Ort zusammengearbeitet, denn man kennt sich ? zumindest in den Kleinstädten und Dörfern ? und stimmt nicht selten mit den Ansichten der Rechten überein.
Diese schleichende Infiltration kann langfristig dazu führen, dass sich die NPD im unmittelbaren Lebensbereich der Menschen verankert und an Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnt. In Sachsen hat diese Strategie erheblich zu den Wahlergebnissen von 2004 beigetragen. Auch in Thüringen will die Partei von unten nach oben gewinnen: vor Ort, im Kleinen, Vertrauen schaffen, zum Beispiel bei Kommunal- oder Bürgermeisterwahlen, um im August 2009 den Erfurter Landtag zu erobern. Laut thüringischem Verfassungsschutzbericht 2007 hat die rechtsextreme Zeitschrift ?Thüringen Stimme? bereits vor zweieinhalb Jahren darauf hingewiesen: ?Wenn es der Partei gelänge, ?kommunal Fuß zu fassen? und sich ?als unübersehbare politische Kraft in Thüringen zu etablieren?, sei 2009 der Einzug einer ?nationalen Opposition? in den Erfurter Landtag realistisch, so die Verfasser.?
Seitdem, so der Bericht weiter, setze die Thüringer NPD verstärkt auf die Umsetzung zweier Strategien, die ?Wortergreifungsstrategie? und die ?Graswurzelstrategie?. Das Ziel der Wortergreifungsstrategie ist es, auf Stadt- und Gemeinderatssitzungen und anderen Veranstaltungen demokratischer Kräfte verbal zu intervenieren und diese im eigenen Sinne zu instrumentalisieren. Die ?Graswurzelstrategie? wurde bereits angesprochen: Rechtsextreme versuchen, mit alltagsnahen Themen und einem seriösen Auftreten zu einem wichtigen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu werden. Beispiele hierfür gibt es auch in Thüringen zuhauf. So gehören laut dem thüringischen Verfassungsschutzbericht 2007 ?Mitglieder und Sympathisanten der NPD dem Verein ?Schöner Leben in Erfurt e.V.? an?. Ein erster, flüchtiger Blick auf die Vereinshomepage mag noch ein harmloses Bild vermitteln. Der Verein stellt sich dort als Plattform für verschiedene Gruppen, Verbände und Einzelpersonen dar. An anderer Stelle werden die Zielsetzungen schon klarer: So heißt es auf der Homepage, der Verein wolle ein Zeichen setzen, dass ?heimatverbundene Politik nicht länger an ?politischer Korrektheit? und demütiger Anpassung scheitert?. Zudem habe laut Verfassungsschutzbericht der NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda Mitte 2007 ein ?Bürgerbüro? in Erfurt eröffnet; nach Angaben des Vereins finden dort Freunde und Interessierte sowohl die Geschäftsstelle des Kreisverbands als auch die des Vereins ?Schöner Leben in Erfurt?.
Die NPD gewinnt häufig auch durch gezielte Kampagnen an Sympathien in der Bevölkerung. Im Rahmen einer von der Partei durchgeführten Mitgliederkampagne konnten nach eigenen Angaben 300.000 Exemplare einer Zeitung mit dem Titel ?Jetzt reicht?s!? verbreitet werden, in der in erster Linie die Themen Familien- und Bildungspolitik, Jugendarbeitslosigkeit und die Förderung des Mittelstands thematisiert wurden. Seit 2005 gibt der Landesverband die ?Thüringen Stimme? heraus, die über parteiinterne Veranstaltungen informiert, tagespolitische Themen aufgreift und Kleinanzeigen ?von und für Kameraden? veröffentlicht. Die beiden Beispiele verdeutlichen, wie sehr die NPD es inzwischen versteht, auf die Interessen und Nöte der Bevölkerung einzugehen und diese für ihre menschenfeinlichen Ziele zu benutzen.
Grund zur Sorge: Gute Chancen für die NPD Thüringen
Wie zielgerichtet sich die NPD auf die bevorstehenden Wahlen vorbereitet, wird bei einer Betrachtung der Strategie für die Kommunalwahlen 2009 sehr deutlich. Die Thüringer NPD wird sich demnach auf die Landkreiswahlen und die Gemeindewahlen in kreisfreien Städten konzentrieren. Zur Umsetzung dieses Ziels richtete sie bereits 2007 zahlreiche Schulungen aus; für 2008 hatte der Landesverband ein entsprechendes Programm angekündigt, das unter anderem die Themen ?Politikschulung?, ?Argumenteschulung? und ?Rhetorikschulung? beinhaltete.
Der ursprünglich zwischen NPD und DVU vereinbarte ?Deutschland-Pakt?, der den Verzicht der NPD zu Gunsten einer Aufstellung der DVU für die Thüringer Landtagswahl vorgesehen hatte, ist inzwischen hinfällig geworden. Zwar beinhaltet die Landesliste zwei DVU-Kandidaten und einige wenige Parteilose, die große Mehrheit allerdings sind Kandidaten der NPD, von denen einige enge Kontakte zur militanten Kameradschaftsszene pflegen. Die NPD Thüringen tritt mit ihrem einschlägig vorbestraften Spitzenkandidaten Frank Schwerdt an, der in einer Rede zu seiner geplanten Arbeit unter anderem davon sprach, die in Erfurt lebenden Migranten in ihre Herkunftsländer abzuschieben (im Sprachgebrauch der Rechtsextremen wird das beschönigend ?rückführen? genannt). Der 64-Jährige wurde Ende der neunziger Jahre wegen Volksverhetzung sowie Herstellung und Verbreitung von NS-Propagandametarial zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt.
Angesichts der sich dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Situation, die bei vielen Menschen Ängste vor sozialem Abstieg zutage fördern wird (Ängste, die von der NPD zudem massiv geschürt werden), und angesichts der Tatsache, dass laut einer aktuellen Forsa-Umfrage die Rechtsextremen in Thüringen derzeit auf immerhin 4 Prozent kämen, ist Grund zur Sorge geboten. Und noch etwas sollten wir uns in Erinnerung rufen: Bei der Bundestagswahl 2005 erreichte die NPD mit 3,7 Prozent der Zweitstimmen in Thüringen ihr deutschlandweit zweitbestes Ergebnis. Das Potenzial war also damals bereits vorhanden, und die Strukturen konnten seither erheblich ausgebaut werden, was sich zum Beispiel gut am Mitgliederzuwachs des Landesverbands ablesen lässt. Gehörten der NPD Thüringen 2005 noch 240 Mitglieder an, hat sich diese Zahl innerhalb von nur zwei Jahren mehr als verdoppelt (2007: 550 Mitglieder).
Das ?Fest der Völker? und andere Absurditäten
So paradox es zunächst erscheinen mag: Deutsche Rechtsextremisten unterhalten enge Kontakte zu Gleichgesinnten aus Belgien, den Niederlanden, England, Schweden, Tschechien, Ungarn, Italien ? die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Ein gutes Beispiel für die europaweite Vernetzung der Rechten findet sich in Thüringen: das ?Fest der Völker?. Die Veranstaltung ist nicht ausschließlich ein Rechtsrockfestival mit einheimischen und internationalen Rock- und Hatecorebands, sondern gilt als wichtiges Vernetzungstreffen für Neonazis aus ganz Europa. Das ?Fest der Völker? basiert auf dem rechtsextremen Konzept des Ethnopluralismus, das für die kulturelle und ethnische Homogenisierung von Staatsgemeinschaften eintritt, multikulturelle Gesellschaften aber strikt ablehnt. Nur so ist zu erklären, warum sich deutsche Rechtsextremisten mit den Nachfahren der ehemaligen Feinde treffen, um in Thüringen gemeinsam zu feiern.
Erstmals fand das Fest im Juni 2005 in Jena statt, es musste 2008 aufgrund des starken zivilgesellschaftlichen Widerstands in der Stadt jedoch nach Altenburg ausweichen. Der Veranstalter ist die NPD; sie hat bereits für die kommenden Jahre vorgesorgt, indem sie das ?Fest der Völker? bis 2015 einmal jährlich in Jena angemeldet hat. Diese langfristige Planung ist exemplarisch für die Strategie der rechten Szene. Wer es mit ihr aufnehmen will, darf sich nicht der Illusion hingeben, dass die Rechten bald wieder verschwinden werden, im Gegenteil: ein langer Atem ist nötig, um sie wirksam zu bekämpfen. Der Jenaer Bürgermeister Albrecht Schröter unterstrich diese Tatsache, als er auf der ?GehDenken?-Demonstration am 14. Februar 2009 in Dresden das zivilgesellschaftliche Engagement der Jenaer Bevölkerung lobte, welches entscheidend dazu beigetragen habe, dass das ?Fest der Völker? 2008 in die Kleinstadt Altenburg ausweichen musste.
Thüringen ist Schauplatz zahlreicher weiterer Großveranstaltungen der rechtsextremen Szene. Es lässt sich nur darüber spekulieren, warum diese Veranstaltungen besonders häufig in Thüringen abgehalten werden, aber es ist anzunehmen, dass die zentrale Lage des Bundeslandes eine wichtige Rolle spielt. Neben dem ?Fest der Völker? sind ?Rock für Deutschland? und der ?Thüringentag der nationalen Jugend? zwei anschauliche Beispiele dafür, dass die Szene insbesondere für die Gewinnung junger Menschen auf die Kombination von rechtsextremer Musik und politischer Agitation setzt. Die Rechnung geht auf, denn die Teilnehmerzahlen bei diesen Veranstaltungen steigen stetig. Die jährlichen Festivals ziehen Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet an, teilweise auch aus dem Ausland. Es treten nicht nur Rechtsrock-Bands und Liedermacher auf, sondern auch Redner aus dem Spektrum der NPD und der Freien Kameradschaften. Gelegentlich wird das Motto ?Rock für Deutschland? auch abgewandelt in ?Rock gegen Krieg? ? wobei hier in erster Linie die Kriege der USA angeprangert werden, inklusive die Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Deutschland dagegen wird selbstverständlich als Friedensengel und Opfer dargestellt.
Die Zivilgesellschaft reagiert ? das Land zögert
Rechtsextreme und rassistische Gewalt ist auch in Thüringen in den letzten Jahren angestiegen. Wer diese Gewalt als bloßes Randproblem der rechten Szene abtut, verkennt die in der Gesamtgesellschaft weit verbreiteten menschenfeindlichen Einstellungen. Diese, so lautet die These der Grünen Landessprecherin Astrid Rothe-Beinlich in einer Situationsbeschreibung des Rechtsextremismus in Thüringen aus dem März 2008, seien ?mitverantwortlich dafür, dass braune Hetze und rassistische und völkische Parolen oft unwidersprochen hingenommen werden und dass bei rassistischen Ressentiments nicht eingegriffen wird.? Immerhin gaben 2006 im (jährlich erscheinenden) Thüringen-Monitor 17 Prozent der Befragten an, dass sie mit rechtsextremen Ideen offen sympathisierten, 13 Prozent sehen sich als Nichtdemokraten, und 7 Prozent als Antidemokraten.
Diese Einstellungen und der zunehmende Organisationsgrad der rechten Szene soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Thüringen zahlreiche Initiativen und Projekte zur Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft gibt. Der THO (Opferhilfsdienst Thüringen) beispielsweise berät Menschen, die rechtsextremen und rassistischen Gewalttaten zum Opfer gefallen sind. MOBIT, die Mobile Beratung in Thüringen für Demokratie ? gegen Rechtsextremismus, entwickelt Bildungsangebote zum Umgang mit Rechtsextremismus, informiert Beratungseinrichtungen zu diesem Thema und unterstützt unter anderem ?Schule ohne Rassismus ? Schule mit Courage?. In zahlreichen kleineren Initiativen, wie zum Beispiel im Aktionsbündnis Courage in Pößneck, engagieren sich Jugendliche für mehr Demokratie und gegen rechtsextreme Dominanz in ihrem Ort. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen ruft die Initiative ?Deine Stimme gegen Nazis? dazu auf, sich gegen die Wahl rechtsextremer Parteien stark zu machen.
Dieses Engagement ist ermutigend. Doch vor dem Hintergrund der exemplarischen Beispiele aus dem Strategienspektrum der NPD, der zahlreichen braunen Veranstaltungen und Kampagnen, und aus den Umfragen zu rechtsextremen Einstellungen in der Thüringer Bevölkerung drängt sich eine wichtige Frage auf: Warum hat Thüringen als einziges ostdeutsches Bundesland kein eigenes Programm gegen Rechtsextremismus? Das Land steuert zwar Gelder für die vom Bund finanzierten Lokalen Aktionspläne bei, zögert jedoch, das Problem Rechtsextremismus mit einem eigenen Programm auf die Tagesordnung zu setzen. Vielleicht wird es ein solches Programm geben, wenn die demokratischen Parteien aufgewacht sind ? nach einem möglichen Einzug der NPD in den Erfurter Landtag am 30. August 2009. Zu spät ist es dann zwar nicht, aber es wird viel schwieriger sein, die Partei und ihre Unterstützer zu bekämpfen, wenn sie erst einmal ihren Fuß in der Tür haben.
| Schwerpunkt: Neonazis im „Superwahljahr“ 2009
Strategien von und gegen NPD und Co.
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