Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Steigende Spritpreise Deutschland wird an der Tankstelle verteidigt

Von|
(Quelle: Pixabay)

Die deutsche Volksseele wird an der Tankstelle verteidigt. Von der BILD-Zeitung („Den Preis für den Krieg zahlen wir an der Zapfsäule!“) über den Saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans, dessen wackeliges Handyvideo vom 8. März über die hohen Benzinpreise viral ging, bis zur AfD: sie alle haben den Kampf für den Individualverkehr auf die Agenda gesetzt. Gerade die Rechtsaußen-Partei sieht endlich wieder ihre Chance gekommen, neue politische Inhalte abseits eines Gejammers gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zu etablieren. Anstatt die dringend überfällige Debatte über eine Energiewende, die Profite von Ölkonzernen oder den Ausbau des Öffentlich-Privaten Nahverkehr zu führen, instrumentalisieren reaktionäre Kräfte die aktuellen Entwicklungen, um gegen Umweltschutz, und Geflüchtete mobilzumachen und Panik vor einem drohenden Ausnahmezustand zu schüren.

Güterknappheit

Ein über 117.000 Mal angesehenes Video auf der Plattform Telegram zeigt einen LKW-Fahrer, der voller Sorge in die Kamera spricht. Die steigenden Benzinpreise würden nicht nur seine Arbeit verunmöglichen, da er auf günstiges Benzin angewiesen sei, um Waren in die Supermarktregale zu bringen. Eine kommende Warenknappheit sei de facto kaum zu verhindern. Das Video, das ursprünglich auf dem Kanal „NRW schaut nicht weg“ veröffentlicht und in zahlreichen reichweitenstarken Kanälen und Gruppen geteilt wurde, malt ein düsteres Bild der kommenden Wochen. Deswegen hätte sich der Truckerfahrer mit seinen Kolleg:innen organisiert, um für günstigeren Treibstoff zu protestieren. Ein User kommentiert das Video: „Ich […] hoffe, es werden ganz viele LKW-Fahrer mitmachen, die Supermarktregale werden sich ordentlich leeren, damit auch die letzten ‘Deppen’ endlich aus der Bequemlichkeit ihrer Komfort-Zone  erwachen werden, wenn es um ihre Nahrung und ‘Luxus-Artikel’ geht und ihr geliebtes Toilettenpapier oder Nudeln, die sie dann nicht mehr in Massen einkaufen können, weil die Regale leer bleiben … Zudem am Besten leere Tank-Zapfsäulen, ein paar Tage würden ja da auch schon reichen, wenn des deutschen Michels Tank leer bleiben muss und er keine Fun- oder Shopping-Touren mehr machen oder als durchgeboosterter Möchtegern-Elite-Mensch nicht mehr in sein Lieblings-Restaurant zum speisen fahren kann“.

Auch die von einem „Kampf gegen die Autofahrer“ fantasierenden Aktivist:innen der rechtsextremen Partei „Freien Sachsen“ schüren auf ihrem 148.200 Mitglieder umfassenden Telegram-Kanal Panik vor potentiellen Versorgungsengpässen und stellt die Bundesregierung als für die Benzinpreise verantwortlich dar: „Wenn nicht unverzüglich gegengesteuert wird, bleiben bald die Regale leer. Diejenigen, die seit Längerem Krisenvorsorge betrieben und / oder versuchen, ihre Versorgung möglichst unabhängig sicherzustellen, dürften sich durch die aktuelle Entwicklung bestätigt sehen. Wir müssen uns aber bewusst werden, dass diese Krise künstlich ist: Die Regierung hält den Preis für Sprit- und Energiekosten bewusst hoch und erfreut sich an Mehrsteuereinnahmen, statt existenzbedrohte Bürger zu entlasten. Das sagt eigentlich alles über diese angeblichen Volksvertreter aus!“

Zahlreiche Menschen aus dem verschwörungsideologischen Prepper-Umfeld scheinen sich also regelrecht über die steigenden Lebensmittelpreise, die vor allem prekarisierte Menschen treffen werden, zu freuen. Einerseits wittern sie eine Chance, die angelegten Vorräte im Prepper-Bunker aufbrauchen zu können, andererseits wünschen sie sich eine durch Hunger und Verelendung herbeigeführte „Erweckung“ der deutschen Bevölkerung. Mit dem Telegram-Kanal „Blackout News“ gibt es inzwischen eine eigene Plattform, die sich ausschließlich den Themenfeldern Energiewende, Benzinpreise und Verkehrspolitik widmet – ausschließlich aus verschwörungsideologischer bis rechtsextremer Perspektive. Panikmache, Hetze gegen Grüne, Linke und die Bundesregierung, Wissenschaftsfeindlichkeit und Fake News sind das Programm, das fast 8.400 Abonnent:innen in den Feed gespült wird.

Negative Campaigning

Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, dass es die Ölkonzerne sind, die für die Spritpreiserhöhung zu verantworten sind, glauben Querdenker:innen, die „grüne Ökodiktatur“ trüge Schuld an den erhöhten Preisen. Angesichts der Tatsache, dass die Umweltbewegung oder die Grünen ohnehin fest etablierte Feindbilder von Querdenken, der petromaskulinistischen Autobewegung, als auch der AfD sind, ist dies naheliegend. Vor allem die AfD nutzt die aktuelle Debatte, um gegen die Grünen zu polemisieren und sich als Partei für Autofahrer:innen zu inszenieren. In einer Pressemitteilung appelliert die Partei für Steuersenkungen und fordert: „Damit Energie wieder bezahlbar und sicher wird, muss die Bundesregierung den Irrweg der Energiewende verlassen, wieder in die Kernenergie einsteigen und den Weiterbetrieb moderner Kohlekraftwerke ermöglichen.“ Gerd Mannes von der bayerischen AfD-Fraktion schreibt auf Facebook und Telegram: „GRÜNE  Steuern und Abgaben würgen die Wirtschaft in Deutschland ab und führen zur Verarmung der Bürger…“. Sein hessischer Kollege Jan Nolte poltert: „Jetzt ist nicht die Zeit, 200 Mrd in irgendwelche Klima-Luftschlösser zu investieren, die nur in der Fantasie grüner Ideologen einen Effekt haben. So plant es aber derzeit die Ampelkoalition.“ Und in typischer Opferinszenierung seiner Partei fügt er hinzu: „2,20€ für Diesel und das war heute noch die günstigste Tankstelle. Die Bundesregierung kann von Glück sagen, dass die Medien jedes politische Aufbegehren der Deutschen, sofern es nicht bestimmte, regierungskonforme Themen betrifft, pauschal in die Nähe des Rechtsextremismus rücken.“

Quelle: Screenshot Facebook

Joana Coatar, ebenfalls AfD-Bundestagsmitglied, ruft auf Twitter dazu auf, das Büro des Bundeskanzlers Olaf Scholz mittels eines Mailprogramms zu belästigen, um ihn über den aktuellen Benzinpreis zu informieren. Auch Finanzminister Christian Lindner, der sich gegen eine Mehrwertsteuersenkung auf Benzin und Diesel ausgesprochen hat, bleibt deswegen nicht von Belästigung durch Rechts verschont. Björn Höcke schreibt: „Vor diesem Hintergrund dürfte sich wohl auch bei dem einen oder anderen FDP-Wähler eine neue Erkenntnis einstellen: Ohne sie gäbe es diese bürgerfeindliche Clown-Regierung nämlich nicht. Und wenn Finanzminister Lindner angesichts der explodierenden Energiekosten weder den Steuerzahler entlastet, noch das sinnlose Verprassen der Staatseinnahmen verhindert, schlägt er seinen einstigen Wähler frech ins Gesicht.“

Geflüchtetenfeindlichkeit und Verschwörungsnarrative

Die Narrative der AfD werden, wenig überraschend, auch bei Querdenken und Neonazis wiederholt und um konkret artikulierte Verschwörungsnarrative, als auch geflüchtetenfeindliche Schuldzuschreibungen ergänzt. Denn wenn Rassist:innen Nichtdeutsche für auch nur irgendein Problem verantwortlich machen können, ergreifen sie diese Gelegenheit direkt beim Schopf. Der von David Berger und Heiko Schrang geförderte Nachwuchs-Reaktionär Niklas Lotz twittert zum Beispiel: „Mir fehlen die Worte: Lindner sagt, er lehne die Senkung der Steuern auf Benzin ab, weil man sonst andere Dinge im Haushalt kürzen müsste. Wie wäre es denn mal lieber die Ausgaben für Migration zu kürzen? Warum an den eigenen Bürgern sparen?“ Dies suggeriert: aufgrund von Ausgaben für Geflüchtete sei nicht genug Geld für die Sorgen Deutscher vorhanden, deren vermeintliche Bedürfnisse als relevanter ausgelegt werden, als die von Menschen mit Fluchtstatus. Er schlägt damit den gleichen Tonfall an wie ein rechtsextremes Medienkollektiv, das auf Telegram verlautbaren lässt: „Vielleicht sollte diesem Politamateur [Lindner] mal jemand erklären, daß genügend Geld für die Deutschen da wäre, wenn man volksschädliche Ausgaben wie für Asylschmarotzer oder den Krampf gegen Meinungsfreiheit (‘Kampf gegen Rechts ™’) restlos streichen würde….“. Gerade diese Aussagen machen deutlich, wie wesensverwandt sich Querdenken und die extreme Rechte sind.

Quelle: Screenshot Telegram

Trucker-Convoy gegen Spritpreise

Inspiriert von den kanadischen Trucker-Convoys wollen nun Kraftfahrer:innen ihre Fahrzeuge nutzen, um gegen die steigenden Benzinpreise zu protestieren. Der Spediteur Gerd Fischer hatte versucht, zum 16. März eine Autobahnblockade zu initiieren. Ungefähr 50 Lastwagen hätten den Verkehr auf mehreren Autobahnen lahmlegen sollen. Jedoch musste diese Aktion abgesagt werden. Dennoch versperrten mehrere Lastwagen sowohl die A2, als auch die A42, wie der WDR berichtete. Die Polizei ermittelt wegen Nötigung.

Davon unbeeindruckt wird in der Telegram-Gruppe „Freedom Convoy Germany“, die momentan 3.850 Mitglieder verzeichnet, bereits die nächste Aktion geplant. Am 22. März ruft die Gruppe dazu auf, die Vertretung der EU-Kommission in Bonn zu blockieren, um neben Benzinkosten gegen Impfpflicht, Enteignung, „Tortur für Kinder und Jugendliche“ und allgemein Freimaurer und den „Great Reset“ zu protestieren.

Quelle: Screenshot Telegram

Ob dies funktionieren wird, ob sie durch einen verursachten Stau die Sympathie der Bevölkerung für sich gewinnen werden, und vor allem, ob die Fahrt nach Bonn ein adäquates Mittel gegen steigende Benzinkosten ist, bleibt abzuwarten.

Weiterlesen

Gastbeitrag Angst, Flucht, Widerstand — Eine Woche Ukraine

Sergiy Slipchenko und seine Kolleg:innen von Kyiv Independent berichten über den russischen Angriffskrieg, der bereits jetzt tausende Opfer gefordert hat und über eine Million Menschen zur Flucht zwingt. In einem Gastbeitrag für Belltower.News beschreibt der ukrainische Journalist die erste Woche des Krieges.

Von|
Eine Plattform der