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Streit um Thierse Vater Courage

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Ein Kommentar von Heribert Prantl

Dem Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse wird vorgeworfen, er habe die Würde seines Amtes verletzt, weil er sich an einer Sitzblockade gegen Neonazis beteiligt hat. Die Meinungen darüber, was die „Würde des Amtes“ ausmacht, gehen auseinander.

So manche denken an saubere Fingernägel, einen gepflegten Gesamteindruck und eine gewisse Etikette. Es passt in der Tat nicht zur Würde des Amtes, wenn ein unrasierter Minister beim Staatsbesuch mit kurzer Hose und Baseballkappe herumrennt. Es passt nicht, dass ein Parlamentspräsident Kaugummi kaut, wenn er die Sitzung leitet.

Steter Kämpfer gegen rechts

Wenn sich die Würde aber in diesen Äußerlichkeiten erschöpfte, wäre es egal, was für ein Mensch der Amtsträger ist: Dem äußeren Habitus kann jeder Strolch genügen, so er nur Manieren hat.

Es liegt also nahe, unter der „Würde des Amtes“ auch eine innere Haltung zu verstehen. Die kann man Thierse nicht absprechen. Er gehört zu den Politikern, die seit vielen Jahren den Rechtsextremismus engagiert bekämpfen. Er hat das schon zu einer Zeit getan, als die braune Gefahr noch abgetan wurde und der Staat noch keine Bündnisse gegen Neonazis initiiert hatte.

Wenn er sich also auf die Straße setzt, um gegen einen Neonazi-Aufmarsch zu protestieren, ist das erstens Ausdruck einer inneren Haltung und zweitens ein wirksamer Hinweis darauf, wie virulent der Rechtsextremismus ist. Thierses Gegner war ja nicht die Polizei, wie seine Kritiker glauben machen wollen, sein Gegner waren die Rechtsextremisten – und die sind Gegner des gesamten Parlaments, dessen Vizepräsident der widerborstige Thierse ist.

Sicherlich: Der Neonazi-Aufmarsch (eine Demokratie muss so etwas bisweilen ertragen) war von den Behörden genehmigt und musste daher von der Polizei geschützt werden. Das heißt aber nicht, dass man dagegen nicht gewaltlos protestieren dürfte. Es steht seit den Beschlüssen des Verfassungsgerichts vom 10. Januar 1995 fest, dass Sitzblockaden keine Gewalt darstellen und daher nicht mehr als Nötigung bestraft werden dürfen.

Die verurteilten Sitzblockierer gegen die Raketen-Nachrüstung, vom Literaturnobelpreisträger bis zur einfachen Hausfrau, mussten nach diesem Spruch nachträglich freigesprochen werden. Seltsamerweise sind diese Freisprüche, es handelt sich um die Festtage in der Geschichte des zivilen Widerstands, im öffentlichen Bewusstsein kaum verankert.

Natürlich ist eine Aktion nicht schon deswegen besonders wertvoll, weil sie nicht strafbar ist. Man darf auch heute noch darüber streiten, ob es richtig ist, wenn ein Ministerpräsident (wie einst Franz Josef Strauß) blockierenden Lastwagen-Fahrern Wurstsemmeln bringt. Man darf auch über Thierses Sitzblockade streiten. Aber man muss ihm zubilligen, dass er sich selbst an das hält, was er predigt: Dass man den öffentlichen Raum nicht den Extremisten überlassen darf.

Wer Zivilcourage zeigt, muss mit Unbill rechnen. Thierse teilt eine Erfahrung, die viele couragierte Bürger machen.

Dieser Text erschien am 05. Mai 2010 in der „Süddeutschen Zeitung„. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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