Eine gute Nachricht: Muslimfeindliche Einstellungen sind unter Jugendlichen weniger verbreitet als in der Gesamtbevölkerung. Das zeigt eine repräsentative Forsa-Umfrage für eine Studie der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (AEJ). Zusätzlich zu der repräsentativen Studie wurde auch eine Umfrage unter Jugendlichen durchgeführt, die in der Evangelischen Jugend organisiert sind, die allerdings nicht repräsentativ ist. Trotzdem bietet ein Vergleich der Ergebnisse interessante Einblicke.
Bei Zuschreibungen von Gewalt und Terrorismus gegenüber Muslim*innen zeigt sich nur geringe Zustimmung unter Jugendlichen in Deutschland. 13 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu „Muslime bedrohen unsere Freiheiten und Rechte“. Sieben Prozent der Befragten glauben, „dass die meisten muslimischen Jugendlichen islamistischen Terror gut finden“. Bei anderen Aussagen, die zwar inhaltlich weniger drastische Ablehnung transportieren, aber auch Muslim*innen pauschal vorverurteilen, ist die Zustimmungsrate höher. 37 Prozent der Befragten stimmen zu, dass Muslim*innen „lieber unter sich“ bleiben und 38 Prozent glauben, dass muslimische Frauen unterdrückt seien. Im Vergleich ist die Zustimmung unter den Mitgliedern der Evangelischen Jugend geringer, aber ähnlich ausgeprägt.
Der Unterschied bei den Zahlen lässt sich unter anderem durch einen höheren Frauenanteil in der Stichprobe und die durchschnittlich höhere Bildung erklären, so Olga Janzen, Autorin der Studie: „Das sind Faktoren, die, wie wir wissen, für weniger Vorurteile verantwortlich sind“. Aber auch geringere Zustimmungsraten unter den Befragten zu vermeintlich „weicheren“ Statements haben Konsequenzen, so Janzen im Gespräch mit Belltower.News: „Vorurteile sind nicht immer auf extremen Ebenen angeordnet, sondern sie können auch viel seichter daherkommen. Trotzdem pauschalisieren sie eine Gruppe und unterstellen Menschen in dieser Gruppe bestimmte Eigenschaften, die Abwertung produzieren und Diskriminierung legitimieren.“
Die Studie zeigt, dass Jugendliche weniger Vorurteile gegenüber Muslim*innen haben als die Gesamtbevölkerung. Ein Trend, der sich verstetigen könnte, sieht Janzen in diesen Zahlen allerdings nicht, denn auch andere Forschungen sind zwar immer wieder zu diesem Ergebnis gekommen, zeigen aber auch, dass sich die größere Offenheit offenbar nicht immer im Erwachsenenalter durchsetzt. „In den letzten 20 Jahren konnten wir keine Abnahme solcher Einstellungen beobachten. Das heißt, wir können nicht davon ausgehen, dass sich das Problem mit der Zeit erledigt“, so Janzen.
Einen Einblick bietet die Studie in die religiösen Einstellungen von Jugendlichen und deren Einfluss auf Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. So zeigt sich etwa bei Befragten, die eher fundamentalistische Ansichten zu ihrer Religion haben, also etwa glauben, dass es nur ein „wahre“ Religion gäbe oder davon ausgehen, dass ihre heilige Schrift wortwörtlich zu nehmen sei, eine höhere Tendenz zu Abwertungen. Diese Jugendlichen tendieren eher dazu, Geflüchtete abzulehnen, zeigen sich antifeministisch und stimmen auch antisemitischen Vorurteilen zu. Jugendliche, die eine tolerantere Einstellung zu ihrer Religion pflegen – da ist übrigens mit 83 Prozent die große Mehrheit auch unter den Befragten aus der Evangelischen Jugend – tendieren auch ansonsten zu progressiveren Haltungen. Außer beim Thema Homosexualität. Hier zeigt sich, dass Ablehnung gegenüber Schwulen und Lesben unter religiös eingestellten Jugendlichen und zwar auch bei solchen ohne „enges Religionsverständnis“ verbreitet ist.
Die Studie macht deutlich, dass Kontakte zu Muslimen ein wirksames Gegenmittel für Muslimfeindlichkeit sind. Vor allem gemeinsame Freizeitaktivitäten und Kontakte in sozialen Medien haben demnach positive Auswirkungen. 72 Prozent der Befragten gaben an, über soziale Medien mit Muslim*innen und ihrem Glauben in Kontakt zu kommen. Doch Kontakte finden auch offline statt, zum Beispiel in Moscheen. Nicht-muslimische Jugendliche, die schonmal eine Moschee besucht haben – das sind immerhin 45 Prozent der Befragten – haben auch weniger Vorurteile gegenüber Muslim*innen.
Wieder einmal zeigt sich auch, dass autoritäre Einstellungen und Verschwörungsmentalität einen Einfluss auf Vorurteile haben, auch bei Jugendlichen. Das geht mit dem Gefühl politischer Machtlosigkeit einher. Je machtloser sich Jugendliche fühlen, desto eher pflegen sie Vorurteile. Ein wichtiger Hinweis der Studie, der zeigt, wie zentral Jugendarbeit für eine funktionierende Demokratie ist.
Denn die Studie belegt klar, dass Jugendliche mit einem Bewusstsein für Diskriminierungen, also Jugendliche, die verstehen, was Rassismus, Muslimfeindlichkeit und andere Formen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bedeuten, deutliche weniger Vorurteile haben. Es ist eine Zielgruppe, die relativ leicht über schulische und außerschulische Bildungsmaßnahmen erreicht werden könnte, um so ein nachhaltiges Verständnis von Rassismus und Diskriminierung zu schaffen und faktisch für Vorurteile zu sensibilisieren.
Das bestätigt auch Janzen und fasst zusammen: „Es braucht Jugendarbeit, die Möglichkeiten von politischer Einflussnahme aufzeigt. Jugendarbeit, die sich für eine vielfältige und offene Gesellschaft einsetzt, die in der Lage ist, Diskriminierungserfahrungen von marginalisierten Gruppen aufzuzeigen und dafür zu sensibilisieren. Und eine Jugendarbeit die in der Lage ist, Begegnungen zu schaffen. Das Stichwort lautet rassismuskritische Bildung.“