Institut stellt Studie zu Ursachen rechtsextremer und rassistischer Übergriffe vor
Das Göttinger Institut für Demokratieforschung stellte gestern in Berlin nun die Ergebnisse einer Studie mit dem Titel „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“ vor. Im Auftrag Iris Gleicke (SPD), Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, soll die Frage über mögliche Ursachen geklärt werden. Ergebnis: es seien vor allem „spezifische regionale Faktoren, die in Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind“ und sich auf die Hemmschwelle rechtsextremer Gewalttaten auswirkt.
Die Studie basiert der Analyse der Aussagen von Politiker_innen, Wissenschaftler_innen und Vertreter_innen der Zivilgesellschaft, die mit dem Rechtsextremismus vor Ort konfrontiert sind. Über einen Zeitraum von dreizehn Monaten wurden knapp vierzig Menschen aus Freital, Heidenau und Erfurt befragt und die Antworten analysiert.
Vor allem regionale Faktoren als Ursache
Aber was sind die “spezifisch regionalen Faktoren”? Die Forscher fanden vor allem die Überhöhung der eigenen Identität und ein ausgeprägter Abwehrreflex gegen das Fremde, Andere und Äußere. Folge dieser Überhöhung: eine sinkende Toleranzschwelle, auch gegenüber physischer Gewalttaten. Dazu käme auch ein erkennbarer Hang zu autoritärem Denken, eine selektive Erinnerungskultur und der Wunsch nach einer positiven Identität.
„Monarchieähnliches Zusammengehörigkeits- und Harmoniebedürfnis“
Besonders interessant die häufig wiederkehrende Schilderung von „Konflikt- und Kritikvermeidung“. Personen und Institutionen, welche sich mit dem Problem rechtsextremer Strukturen vor Ort auseinandersetzen und sich engagieren, werden dabei häufig als „Nestbeschmutzer“ gesehen. (Politischer) Streit, Konflikte und Widersprüche werden lieber vermieden als bearbeitet. So beispielsweise ein Auszug aus einem Interview: Die offene Streitkultur, […] die ist schwach ausgeprägt. Sondern wenn man streitet: aber bitte nicht so schlimm und immer gucken, ob [der König] noch geneigt ist, das sich anzuhören. … Die Monarchiezeiten waren nicht die schlechtesten.“
Es gebe ein „monarchieähnliches Zusammengehörigkeits- und Harmoniebedürfnis.“ Wiederkehrende Äußerungen über die Neutralisierung politischer Konflikte stützen dies. Demokratie werde als gut empfunden, aber auch als etwas, das mit den Menschen geschieht und nicht als etwas, das die Menschen mitgestalten können.
Mangelnde Aufarbeitung der DDR-Geschichte
Als Ursache benennen die Verfasser_innen besonders die „Sozialisation in einer buchstäblich geschlossenen Gesellschaft wie der DDR“. Sie “kann als ein Faktor für die Erklärung nicht stark genug betont werden“. Einerseits sei sich in der DDR nicht in gleicher Weise mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt worden wie im Westen. Andererseits seien ethnozentrische Weltbilder hier vor allem vertreten, „weil die Migrationspolitik der DDR auf genau solchen ethnozentrischen Prinzipien basierte: Völkerfreundschaft ja, aber alle Migrantinnen sind als Gäste zu betrachten“. Einen weiteren Faktor bilde die erfahrene systematische staatliche Diskriminierung, die nach der Wende unzureichend aufgearbeitet wurde.
Benachteiligungsgefühle
Der festgestellte latente Rassismus äußere sich auch in der Betonung sogenannter Etablierten -Vorrechte. Das Gefühl, als älter Eingesessener, mehr Rechte fordern zu können als Hinzugezogener, wird befördert durch die Romantisierung der eigenen Identität, den Wunsch nach Konfliktvermeidung und durch Gefühle der Benachteiligung, auch gegenüber Westdeutschland.
Vor allem in Freital und Heidenau äußerten die Befragten enttäuschte Erwartungen nach 1990 und sprachen von einem kollektivem Benachteiligungsgefühl. Dies betreffe auch eine starke Skepsis gegenüber Migration. Migrant_innen werden als „bei der Güterverteilung gegenüber ‚uns‘ privilegiert“ wahrgenommen. Dabei werde „fast nie ‚Wir sozial Benachteiligte‘, sondern ‚Wir Deutsche‘“ geschlussfolgert. Entsprechend haben sie Unterschiede zwischen strukturschwächeren und wohlhabenderen Regionen gefunden.
Kritik an den sächsischen Behörden
Im Kontext der Bearbeitung rechtsextremer Vorfälle stellen die Autor_innen eine immer wieder kehrende Kritik an den ostdeutschen Institutionen und Behörden fest. Das Problem Rechtsextremismus werde seit langem von offiziellen Stellen unterschätzt und Angebote der zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Aufklärungs- und Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus, würden immer noch eher behindert als gefördert.
In Freital etwas arbeiten die Behörden mit einer sehr engen Definition des rechtsextremen Begriffs, der viel Agitation zulässt. Ebenso gebe es Einschüchterungsversuche der Szene gegenüber für Demokratie Engagierten.
Claus Dethleff vom Verein „Laubegast ist bunt“ in Dresden bestätigt die Wichtigkeit der Behörden vor Ort, vor allem der Versammlungsbehörden und der Polizei. Ein entschlossenes behördliches Handeln sei ein Weg, problematischen Rückhalt aus der Bevölkerung etwa für die Pegida-Bewegung aufzulösen. In Jena, Leipzig und Hoyerswerda änderte sich die Situation vor Ort durch die Neubewertung der Erinnerungskultur und die klare Positionierung lokaler Politiker_inen gegen rechtsextreme Tendenzen. Dies seien Erfolgsbeispiele.
Handlungsvorschläge für den Umgang vor Ort
Im Fazit setzen die Autor_innen auf die (individuelle) Konfliktfähigkeit und das Üben einer offenen Diskussionskultur. Langfristig betonten sie die Bedeutung der Lokalpolitiker_innen und fordern ein ganzes Handlungs-Bündel: Zentrale Auseinandersetzungen mit einem politisch offenen Umgang, politische Bildung und differenzierte Erinnerungskultur. Konkret sollen Positivbeispiele noch stärker betont, Sozialarbeiter unterstützt und Geschichte stärker aufgearbeitet werden. Dies trage dann dazu bei, den individuellen Umgang mit politischen Konflikte zu verbessern.
Michael Lühmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des „Instituts für Demokratieforschung, – bestätigt, dass seitens der Lokalpolitik eine verstärkte Konfrontation stattfinden müsse, um die Konfliktscheu in der Auseinandersetzung aufzulösen. Passivität und falsch verstandene Neutralität der Politik gegenüber Rechtsextremismus können fatale Folgen haben, betont Gleicke. Dies könne in der politischen Debatte nicht einfach beiseite gewischt werden, nur weil die Diagnose einer „ostdeutschen Besonderheit eine politisch unangenehme Schwere in die öffentliche Debatte bringt.“