Am Donnerstag den 4.Juni 2020 fand am Landgericht Berlin ein Prozess gegen den Neonazi Sven Liebich statt. Es ging um ein Bild von der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, dass Liebich kombiniert mit einer falschen Tatsachenbehauptung in einem von ihm gegründeten Shop vertrieb.
Bereits Tage vor Prozessbeginn mobilisierte Liebich vor allem in seiner Telegram-Gruppe seine rassistischen Anhänger*innen, den Prozess zu besuchen. Gekommen sind tatsächlich knapp 20 Personen. Auch ein Presseteam vom ZDF wollte das Treiben rund um den Prozess dokumentieren. Doch schon am Eingang des Gerichts kam es zu Angriffen auf das Presseteam.
Angriffe auf Presseteam durch Liebichs Fans und Justizbeamten
Wiederholt schlugen die rechtsextremen Anhänger*innen gegen die Kamera und versuchten Kabel aus ihr herauszuziehen. Auf Videos von Sven Liebich, der vor dem Gerichtsgebäude einen Livestream machte, und auf Aufnahmen des freien Journalisten Henrik Merker ist zu sehen, wie die rechten Fans immer wieder in die Kamera griffen. Auch ein Justizbeamter drückte die Kamera nach unten und behinderte das ZDF-Team so am Dreh. Folgt man Liebichs Darstellung, klingt alles ganz anders: Da sind sowohl seine Anhänger*innen als auch er ausgesprochen friedlich, nur die Journalist*innen angeblich aggressiv ist. Aber genau das gehört zu Liebichs Kommunikations-Strategie: Tatsachen einfach umzudrehen, um so die eigene Szene befrieden und sich selbst als den Guten dastehen zu lassen – selbst wenn es Belege vom gegenteiligen Verlauf gibt.
Der Prozess: Es geht um den Verschwörungsmythos, Anetta Kahane würde das Internet zensieren
In dem Prozess ging es um falsche Tatsachenbehauptung, um den in der rechten und antisemitischen Szene verbreiteten Mythos, Anetta Kahane und die Amadeu Antonio Stiftung, der sie vorsitzt, würden das Internet kontrollieren und zensieren. So kommt es bei Rechtsextremen an, wenn sich Initiativen für eine demokratische Debattenkultur engagieren. Die Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich seit Jahren im Bereich Hate Speech, doch dass sie tatsächlich der Politik und Konzernen wie Google, Facebook und Twitter diktieren könnte, was im Netz gesagt werden darf und was nicht, ist absurd. Dennoch hält sich diese Behauptung hartnäckig. Nicht unwesentlich ist dabei sicherlich, dass Anetta Kahane Jüdin ist und somit perfekt in das antisemitische Weltbild der Aktivist*innen der rechten und verschwörungsideologischen Szene passt.
Antisemitische Beleidigungen durch die Liebich-Fans
Und auch vor Prozessbeginn machten Teile der die Liebich-Entourage antisemitische Gesten in Richtung der nicht-rechten Prozessbeobachter*innen. Besonders schockierend war hier die Aggressivität eines minderjährigen Jungen. Offenbar von seinem Vater abgeschaut, griff der den Pressevertretern ständig vor die Objektive und versuchte sie verbal einzuschüchtern. Laut Liebich ist er erst elf Jahre alt.
Die große Liebich-Inszenierung
Würde das Urteil zu seinem Ungunsten ausfallen, krakelte Liebich vor Gericht, würde das beweisen, dass wir in einer Diktatur leben würden. Der Richter verwies darauf, dass dies trotz des Urteils nicht der Fall sei. Vielmehr gehe es ja um ein strafbares Verhalten Liebichs. Generell wirkte der gesamte Auftritt Liebichs vor und im Gericht wie eine einzige Inszenierung – für sich selbst, für seine Fans, für seine Zuschauer*innen im Livestream. Immer wieder redete er sich in Rage und schnitt selbst dem Richter das Wort ab.
„Blood and Honour“ sei ja nur eine lose Vereinigung
Obwohl der vorsitzende Richter nicht amüsiert war, setzte der bereits mehrfach verurteilte Neonazi zu einem langen Monolog an. Darin ging es um den angeblichen Einfluss der Amadeu Antonio Stiftung auf die öffentliche Meinung, etwa über das journalistische Portal der Stiftung, Belltower.News. Er zeigte sich empört darüber, dass auf Belltower.News regelmäßig darauf hingewiesen wird, dass Liebich Mitglied der seit dem Jahr 2000 verbotenen Organisation „Blood and Honour“ war. Schließlich sei „Blood and Honour“ ja nur eine lose Vereinigung, so Liebich vor Gericht. Unerwähnt ließ er, auf die rechtsextreme Militanz des internationalen Netzwerkes hinzuweisen, dass bis heute in Deutschland trotz Verbot aktiv ist.
Zwar gibt Liebich an, kurz nach dem Verbot aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein, doch seine extrem rechten Umtriebe dauern bis heute an (auf halleluegt.blogsport ist die rechtsextreme Karriere von Liebich nachzulesen). Durch seine Aktivitäten schaffte es Liebich, in den Verfassungsschutzberichten von Sachsen-Anhalt erwähnt zu werden. 2002 schreibt der Verfassungsschutz zu Liebich, seine Gruppe sei „[…] eindeutig neonazistisch ausgerichtet. Im Gegensatz zu den bisherigen in Halle etablierten Gruppierungen […] schart Liebich einen Personenkreis um sich, der nicht in feste Strukturen eingebunden ist.“ Und im folge Jahr heißt es im Verfassungsschutzbericht: „Liebich verfolgt seit Jahren vorrangig drei Ziele: die Organisierung der Rechtsextremisten im Raum Halle unter seiner Führung, eine Renaissance der „Anti-Antifa“-Arbeit innerhalb der rechtsextremistischen Szene, den Ausbau seiner Händlertätigkeit mit szenetypischen Produkten wie einschlägigen CDs, Publikationen und Kleidung.“
Der Geschäftsmann Liebich
Mittlerweile betreibt Liebich den Hetz-Blog „Halle-Leaks“ und den Online-Versand „Politaufkleber“, auf dem er extrem rassistische und antisemitische Motive verkauft, wie beispielsweise gelbe Judensterne mit den Aufschriften „Diesel-Fahrer“ oder „Ungeimpft“. 2011 gründete er die Firma l & h-shirtzshop GmbH, um die es im Prozess ging. Besucht man die Website, wirkt sie unverdächtig. Hier werden Abi-, Party- und Sauf-Shirts neben sexistischen und „unbequemen“ Motiven wie „Lügenpresse“- „keine Meinungsfreiheit“-Aufdrucken vertrieben, genauso wie das Konterfei von Theodore Kaczynsk, auch bekannt als „der Unabomer“. Seit Ende 2019 ist Liebich jedoch als Geschäftsführer abberufen. Neue Geschäftsführerin ist seine Schwester, Sandra Liebich. Sie ist seit der Gründung Mitgesellschafterin der GmbH. Liebich ist also formell nur noch ein einfacher Angestellter der Firma.
Liebich in die Schranken weisen
Dennoch saß Liebich am Donnerstag, ausgestattet mit einer Vollmacht, für die Firma vor Gericht. Auch wenn das Gericht zum Schluss der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, dass es sich noch einmal beraten will, so hat es in der mündlichen Verhandlung doch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es die gegen die l & h-shirtzshop GmbH ergangene einstweilige Verfügung bestätigen wird.
Liebich ist erstaunlich unbehelligt geblieben
Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass Liebich vor Gericht ist. Die Strafverfolgung seiner Delikte ist allerdings oft aussichtslos und bislang nur selten erfolgreich. Meist landen die Anklagen wegen der rassistischen und antisemitischen Inhalte die von ihm in seinen Firmen vertrieben oder in Reden verbreitet werden, bei der Staatsanwaltschaft Halle. Hier werden die meisten Verfahren gegen Liebich nur allzu oft eingestellt. Um so wichtiger ist es, nicht aufzugeben, gegen Liebich juristisch vorzugehen und ihn in die Schranken zu weisen.