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[tacheles_3] „Clubs, in denen sich Jüdinnen*Juden sicher fühlen, sind rar geworden”

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[tacheles_3] (Quelle: Unsplash)

Clubs und linke Räume, die sich gegen Antisemitismus positionieren, sich gar israelsolidarisch zeigen, geraten schnell ins Visier der BDS-Kampagne. So auch der Berliner Technoclub ://about blank, der schon seit Jahren auf den Boykottlisten der Israel-Feind*innen steht. Wir haben mit Betreiber Sulu Martini über mangelnde Solidarität, finanziellen Druck und Buttersäureattacken gesprochen.

Belltower.News: Ihr wart schon vor dem 7. Oktober 2023 Anfeindungen der BDS-Kampagne ausgesetzt. Wie kam das und was hat sich seitdem verändert?
Sulu Martini: Im September 2018 haben wir uns gegen die damalige BDS-Kampagne „DJs for Palestine” positioniert und eine queere Partyreihe, die diese Kampagne unterstützt hat, abgesagt. Damit begann die Boykott-Dynamik und wird seither immer wieder durch BDS-Aufrufe befeuert. Nach dem 7. Oktober 2023 hat sich das drastisch zugespitzt, sowohl von der Wucht als auch durch das verwendete Vokabular. Es gibt seitdem massiv mehr Diffamierungen und Lügen über das ://about blank, mehr Leute, die diesen Narrativen aufsitzen und den Boykott befeuern. Im Zusammenhang mit den einseitigen Schuldzuschreibungen sowie der teilweisen Verherrlichung, Verharmlosung oder Rechtfertigung des Hamas-Terrors innerhalb der Clubkultur werden alle, die sich gegen Antisemitismus äußern und diesen Deutungen widersprechen, als „Zionisten” oder „Faschisten” und damit als feindlich markiert. Es kostet uns seit über einem Jahr sehr viel Kraft, die mit dieser Zuspitzung verbundenen Einschüchterungen und die kursierenden Narrative zurückzuweisen. Gleichzeitig bekommen wir insbesondere von jüdischen Berliner*innen und von Israelis Zuspruch und Dankbarkeit für unsere klare Haltung. Denn die clubkulturellen Räume, in denen sich viele Jüdinnen*Juden willkommen und sicher fühlen, sind seit dem 7. Oktober sehr rar geworden.

Das ://about blank wird als israelsolidarischer Ort verstanden, aber eigentlich äußert ihr euch gar nicht zum konkreten Israel-Palästina-Konflikt, oder?
Wir äußern uns zu den Deutungen des Konflikts innerhalb der Clubkultur, in denen leider auch oft antisemitische Bilder und Narrative Einzug halten. Benennung und Bekämpfung des Antisemitismus in seinen verschiedenen Ausprägungen sind oftmals eine Leerstelle innerhalb der Kulturszene oder werden sogar aktiv abgewehrt. Die Clubszene folgte dabei einer auch in der gesamten (Kultur-)Linken verbreiteten Tendenz, auf die Komplexität von Konflikten mit radikaler Simplifizierung und Verklärung zu reagieren – Antisemitismus ist auf dem Weg, eine Konsensideologie zu werden.

Dabei ist die Clubszene direkt betroffen. Am 7. Oktober wurden beim Terrorangriff auf das Nova Festival 364 Menschen getötet und 40 entführt.
Das mörderische Massaker auf dem Nova Festival war absolut präzedenzlos und müsste eigentlich allen in der Clubszene verdeutlichen, welcher antisemitische Vernichtungswahn im Islamismus der Hamas steckt. Dass das so gut wie gar nicht passiert ist, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, sondern dass Teile der Clubszene den 7. Oktober sogar als dekolonialen Widerstand verklären, hat uns entsetzt. Und dass wir von vielen Clubs und auch der Berliner Clubcommission [der Verband der Berliner Clubkultur, Anmerkung der Red.] keine Solidarität gegen die Angriffe erfahren, bestärkt diese Entfremdung. Deren Statements zum 7. Oktober kommen ohne Benennung von Antisemitismus und Judenhass aus, wie auch die Awareness Akademie der Clubcommission Antisemitismus bislang nur als Unterform von Rassismus wegsortiert hat.

Die Awareness Akademie soll die Entwicklung diskriminierungssensibler Strukturen innerhalb der Clubkultur” unterstützen und wird unter anderem vom Berliner Senat finanziert, heißt es auf ihrer Website. Das Problem geht ja aber weit über Berlin hinaus.
Zum Beispiel beim weltweit führenden Veranstaltungsportal Resident Advisor, das einseitige, Israel dämonisierende Initiativen aus der Clubkultur featured. BDS bekommt hier offene Unterstützung für seine Agenda und kann seine Position ausbauen.
Wegen der stark zugespitzten BDS-Narrative und der weit verbreiteten Schwarz-Weiß-Sicht, die das aktuelle Kriegsgeschehen zwischen Israel und Hamas betreffen – entweder pro Palästina oder pro Israel, gibt es bei vielen eine große Zurückhaltung, sich überhaupt zur Thematik zu äußern. Niemand will, wie das ://about blank oder das Conne Island, als „zionistisch” geframed und dann Opfer eines Shitstorms werden. Dazu kommt eine Ahnungslosigkeit, was die komplexe Konfliktgeschichte angeht und Antisemitismus insgesamt, sowie die Sehnsucht, nicht auf der „falschen Seite” zu stehen. Daher wurden und werden die Überlebenden des 7. Oktober und des Nova Festivals innerhalb der Clubszene weitgehend alleine gelassen. Das ist beschämend und hat die Ansprüche einer sich als progressiv verstehenden Szene grundlegend blamiert.

Gab und gibt es Anfeindungen? Wie geht ihr damit um?
Seit mehr als einem Jahr erleben wir massive Anfeindungen, vor allem im Zusammenhang mit Veranstaltungen, die sich mit Antisemitismus auseinandersetzen oder die das Massaker vom 7. Oktober thematisieren. Das sind zum einen immer neue Wellen von Postings auf unseren Social-Media-Profilen, wenn wir eine entsprechende Veranstaltung ankündigen oder uns zur Sache äußern. In aller Regel sind das Verleumdungen, Diffamierungen, Beleidigungen, nicht selten auch Häme oder Freude über ein baldiges Aus des Clubs. Diese Hetze setzt sich auch in Parolen und Pamphleten vor der Tür und an den Außenwänden fort, mit Graffitis am Gebäude wie „Fuck U Antideutsch” oder „about blank = Genozid”, teilweise auch im Club. Plakate von uns werden an vielen Orten abgerissen oder beschmiert, es kursieren Anti-Blank-Aufkleber. Bei einer Kundgebung vor dem Club zur antisemitismuskritischen Veranstaltung „A Lack of Empathy?” skandierte eine Gruppe u.a „You deserve the Autobahn” oder „Zionisten sind Faschisten”. Gegen einen Solirave für Ärzte ohne Grenzen und Cadus, die im Gazastreifen seit einem Jahr Nothilfe leisten, wurden Flugblätter vor dem Club verteilt. Teilweise gibt es diffuse Bedrohungen, dazu gehört sicherlich das für die Intifada-Anhänger zu einem Schlüsselsymbol gewordene rote Hamas-Dreieck, gesprüht an der Fassade, welches wir zu einem Herz verändert haben. Unmittelbar nach einem Filmscreening zum Angriff auf das Nova Festival gab es eine Buttersäure-Attacke, in den Wochen danach immer wieder Fäkalienwürfe auf das Gelände. Menschen, die Blank-Utensilien oder erkennbare Kleidungsstücke tragen, werden teilweise bedroht oder bespuckt. Allgemein gibt es ein starkes Mobbing, weil Leute (auch) im ://about blank arbeiten oder veranstalten.

Was heißt das für euch?
Diese permanenten Angriffe gehen sowohl an die psychische als auch an die materielle Substanz eines Ladens, der nie profitorientiert gewirtschaftet hat. Und sie führen dazu, dass wir viel weniger Ressourcen haben, um unsere Energie in die Weiterentwicklung des Clubs zu stecken. Im Laufe des vergangenen Jahres haben nicht wenige Partycrews vor dieser Dynamik kapituliert und sich aus dem ://about blank zurückgezogen. DJs, die für einen bevorstehenden Auftritt bei uns auf Social Media attackiert werden, canceln unter diesem Druck. Agenturen fürchten, ihre DJs zu „verbrennen“, wenn sie im ://about blank spielen. Es ist ein zerstörerisches und einschüchterndes Klima entstanden, mit dem BDS-Akteur*innen die Diskurshoheit erlangen und Strukturen und Orte, die widersprechen, kleinkriegen wollen.

Wie reagiert ihr?
Wir versuchen diesem ständigen Druck mit Aufklärung, Einladung zum Diskurs und einer klaren Zurückweisung der Narrative zu begegnen – und immer wieder das direkte Gespräch anzubieten, wenn Leute uns mit Unterstellungen begegnen oder canceln. Das ist ungeheuer mühsam, selten ergiebig und oft frustrierend. Hilfreich ist hingegen, sich mit den Orten und Gruppen auszutauschen und zu vernetzen, die in einer ähnlichen Lage sind. Da entstehen notgedrungen neue Bündnisse, die klarmachen, wie groß die Bedrohung für linke und subkulturelle Orte durch die BDS-Kampagne geworden ist.

Ihr habt euch dazu entschieden, offen mit eurer Situation anhand Statements oder in Gesprächen mit der Presse umzugehen. Warum?
Die Versuche, unsere Situation und auch die Verwerfungen innerhalb der Clubkultur in Form eines Austauschs untereinander zu klären, sind weitgehend gescheitert. Wir haben vergeblich, wenn schon nicht auf Solidarität und Unterstützung, so doch zumindest auf einen gemeinsamen Nenner innerhalb der Szene gesetzt, der die Angriffe zurückweist. Die Verunsicherung und der emotionale Stress durch den äußeren Druck sind immer größer geworden und der Kommunikationsaufwand, immer wieder falschen Narrativen und Unterstellungen zu begegnen, ist ungeheuer hoch. Hinzu kommen die sehr konkreten Ängste und Sorgen vor realen Angriffen. Andauernde DJ-Absagen und Veranstaltungsausfälle führen zu enormer Mehrarbeit und ausbleibenden Einnahmen. Und die wirtschaftliche Lage nach Corona ist ja ohnehin schwierig, durch das veränderte Ausgehverhalten, die Verteuerung des Nachtlebens, weniger Partytouris in der Stadt sowie eine stärkere Eventisierung und eine Zunahme des Konkurrenzdrucks. Das alles hat sich durch die Boykott-Auswirkungen zu einer existenziellen Krise verschärft – über die wir zu einer breiteren Öffentlichkeit sprechen müssen, weil es hier auch um mehr geht als das ://about blank. Nämlich um die Wirkungsmacht von letztlich antisemitisch motivierter Propaganda innerhalb linker und subkultureller Szenen.

Was wünscht ihr euch von der Zivilgesellschaft?
Auf unserem Wunschzettel steht ganz oben die Bereitschaft zu einem offenen und respektvollen Diskurs und zu der Fähigkeit, inhaltlichen Widerspruch auszuhalten und sich auf eine komplexe Argumentation einzulassen. Wir halten unsere antisemitismuskritischen Positionen auch gegenüber linken und clubkulturellen Akteur*innen für notwendig und zumutbar und verstehen uns weiterhin als Teil der Linken, und diesen Anspruch geben wir allen Anfeindungen zum Trotz nicht auf. Zugleich ist uns wichtig, nicht auf diesen im Moment sehr zermürbenden Konflikt reduziert zu werden. Das ://about blank ist ein Begegnungsort für eine vielfältige, linke, queere und emanzipatorische Sub- und Gegenkultur, die sich gerade nicht am Mainstream anlehnt, sondern auf die Überwindung normativer Weltbilder, rechter Hegemonien und menschenfeindlicher Ideologien ausgerichtet ist. Der gegenwärtige Vormarsch rechter und autoritärer Kräfte macht es umso notwendiger, solche Orte zu verteidigen und zu stärken.

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