Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

[tacheles_3] „Das iranische Regime verfügt über ein großes und gefährliches Netzwerk in Deutschland.”

Von|
[tacheles_3] (Quelle: Unsplash)

Der barbarische Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ließ die Welt sprachlos zurück. Selbst ein Jahr später sind noch nicht alle Folgen absehbar. Auch wenn zum aktuellen Zeitpunkt nicht alle Einzelheiten zu den Hintergründen des Angriffs klar sind, ist kaum abzustreiten, dass dem antisemitischen Regime der Islamischen Republik Iran eine bedeutende Schlüsselrolle zufällt. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Regime in Teheran so deutlich zum Hauptsponsor der Hamas entwickelt, dass die Terrororganisation inzwischen als iranischer Stellvertreter anzusehen ist. Von finanzieller Unterstützung über Waffenlieferungen bis hin zu taktischer Ausbildung, die heutige Hamas ist ein Produkt der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) und ihres libanesischen Juniorpartners Hisbollah. Die Frage, inwieweit Teheran in die Details der Planungen des Angriffs vom 7. Oktober eingebunden war, verliert vor diesem Hintergrund an Relevanz. Deutlich ist von vornherein: Der Terror der Hamas ist immer Teil des iranischen Krieges gegen Israel. Dieser Krieg muss als umfassendes Projekt angesehen werden, das weltweit verfolgt wird.

Teil des Schlachtfelds ist immer auch schon Deutschland. Hier besteht eine Gefahr, die seit Langem schwelt und der vonseiten der Politik bisher nicht souverän genug begegnet wird. Seit mehreren Jahrzehnten stellt ein mitunter terroristisch agierendes Netzwerk der Islamischen Republik Iran um die IRGC und der Hisbollah eine massive Bedrohung für die öffentliche Sicherheit in Deutschland und Europa dar. Vor allem seit den frühen 2010er Jahren nimmt dieses Bündnis neben der Exilopposition des Iran zunehmend auch jüdische Organisationen und Einzelpersonen sowie Personen und Organisationen mit Verbindungen zu Israel als mögliche Anschlagsziele ins Visier. Die genaue Größe des iranischen Netzes ist unbekannt. Veröffentlichte Zahlen der deutschen Behörden lassen auf weitverzweigte Strukturen schließen. Alleine zwischen 2018 und Ende 2022 wurden in Deutschland Ermittlungsverfahren gegen 24 mutmaßliche iranische Agentinnen und Agenten eingeleitet. Anfang 2023 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz Hinweise auf insgesamt 160 Personen mit direkten Verbindungen zur IRGC in Deutschland. Verdachtsfälle gegen Diplomaten sind in diesen Angaben nicht berücksichtigt.

In der jüngsten Zeit scheint darüber hinaus ein besorgniserregender Strategiewechsel stattzufinden. Bisher waren häufig direkt Angehörige der Revolutionsgarden selbst im Einsatz. Wo immer dies nicht ausreichend war, wurden vor allem Personen aus der schiitischen Diaspora als Agenten angeworben. So war beispielsweise ein pakistanischer Student für die im Juli 2016 bekannt gewordene Ausspähung des ehemaligen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Reinhold Robbe verantwortlich. Die im Januar 2018 aufgedeckten Observationen israelischer und jüdischer Einrichtungen wurde durch Spione der Al-Quds-Brigaden der IRGC durchgeführt. Berichte aus mehreren europäischen Staaten lassen jetzt auf eine intensivierte Zusammenarbeit mit Strukturen der organisierten Kriminalität schließen. Im Frühjahr 2024 warnte der schwedische Geheimdienst nach einem Bombenfund und einer Schießerei vor der israelischen Botschaft in Stockholm explizit vor einer solchen Zusammenarbeit. In beiden Fällen stammten die Täter aus der Bandenkriminalität. Auch ein Angriff auf die israelische Botschaft in Belgien im Mai 2024 wurde von einem Täter aus der organisierten Kriminalität begangen.

Ganz Europa ist von dieser Entwicklung betroffen. Erst kürzlich belegten Recherchen des Spiegels, dass auch in Frankreich Personen aus dem Drogenhandel zur Ausspähung möglicher Anschlagsziele angeworben wurden. Konkret soll der Franzose Abdelkarim S. die Immobilie eines Unternehmens einer jüdischen Familie in München observiert haben. Zudem hatte er weitere Adressen mutmaßlicher Ziele in Berlin bei sich. Ob auch dort Observationen stattfanden, ist nicht bekannt. Eine direkte Verbindung zur organisierten Kriminalität existiert auch bei dem Brandanschlag auf die Synagoge in Bochum Ende 2022. Der Täter Babak J. wurde durch das vor einem deutschen Haftbefehl in den Iran geflohene Hells-Angels-Mitglied Ramin Y. angeworben und mit der Tat beauftragt.

Eine solche Zusammenarbeit mit der organisierten Kriminalität bringt für das Regime in Teheran besonders zwei große strategische Vorteile. Zum einen entfällt direkt ein nicht zu unterschätzender Aufwand für Aufbau und Unterhalt umfangreicher Terrorstrukturen im Ausland. Für die Ausstattung und Koordination vor Ort sind nun primär neue Partner zuständig. So bietet die Nutzung etablierter krimineller Netzwerke eine kostengünstige Alternative aus vorhandenen und eingespielten Strukturen. Auch ist damit der zu erwartende Schaden im Falle einer Aufdeckung geringer als bei einer Operation iranischer Dienste. Zum anderen bietet der Einsatz von Stellvertretern ein ideales Szenario einer plausiblen Abstreitbarkeit der eigenen Verantwortung, besonders auch durch die einschlägige Vorbelastung der Netzwerke. Es scheint durchaus denkbar, dass das Regime so eine staatsterroristisches Motivation einer Tat komplett hinter vermeintlich banaler Kriminalität verschwinden lassen könnte. In der Konsequenz ergibt sich eine nicht zu unterschätzende Schutzfunktion für die bestehenden IRGC-Netzwerke. Diese blieben selbst bei einer Eskalation der Gewalt unbelastet. Daher dient der verstärkte Einsatz von Stellvertretern wohl auch nicht dem Ersatz eigener Strukturen, sondern vielmehr deren Ergänzung.

Diese Entwicklungen sind besonders vor dem Hintergrund der Ereignisse seit dem 7. Oktober alarmierend und führen zu einer gravierenden Verschlechterung der Sicherheitslage für jüdisches Leben in Deutschland. Es wäre nicht das erste Mal, dass Strukturen und Stellvertreter der Islamischen Republik auch mit größeren Mitteln jüdische und israelische Ziele außerhalb von Israel angreifen. Zu den folgenschwersten Attentaten dieser Art gehören zweifellos die Sprengstoffanschläge auf die israelische Botschaft und das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires in den Jahren 1992 und 1994. Mutmaßlich wurden sie als Kooperation von Al-Quds-Brigaden und Hisbollah durchgeführt. Zu befürchten ist, dass Teheran auch hierzulande seinen antisemitischen Feldzug weiter eskaliert. Denkbar sind beispielsweise Anschläge als Vergeltung nach der Tötung des Hamas-Chefs Ismail Haniyeh in Tehran. Die israelische Selbstverteidigung gegen Hamas und Hisbollah bietet genügend Vorwand für Racheakte.

Klar ist: Das iranische Regime und seine Revolutionsgarden verfügen über ein großes und gefährliches Netzwerk in Deutschland und Europa. Davon geht eine deutliche Terrorgefahr aus. Die bisherigen Anschläge und auch die aufgedeckten Vorbereitungen zeigen dies sehr deutlich. Besonders vor dem Hintergrund des Kriegs der Islamischen Republik gegen Israel ist perspektivisch sogar eine deutliche Verschärfung der Lage zu befürchten. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dafür ist es notwendig, die umfassende antisemitische Kampagne, die das iranische Regime seit Jahrzehnten verfolgt, umfänglich ernst zu nehmen. Nur durch darauf aufbauenden politischen und strafrechtlichen Druck kann der Bedrohung angemessen begegnet werden. Denn klar ist auch: Das Netzwerk der Revolutionsgarden ist verwundbar, der Strategiewechsel ist noch nicht abgeschlossen. Dazu muss die Politik jedoch zeitnah entschlossen handeln und die entscheidenden Knotenpunkte ausschalten. Unerlässlich ist daher zusätzlich zu einer EU-Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation ein kurzfristig zu verhängendes Betätigungsverbot gegen die IRGC in Deutschland. Dies würde endlich die entscheidende Rechtssicherheit liefern, um auch getarnte Strukturen effektiver bekämpfen und so Sicherheit für jüdisches Leben in Deutschland und Europa gewährleisten zu können.


Jan Rauffer ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik. Für das Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) arbeitet er zum Themenkomplex Iran. Das MFFB ist eine Organisation für Politikberatung und politische Bildung. Außerdem organisiert das MFFB öffentliche Veranstaltungen und Debatten. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Gefahren des Antisemitismus, Islamismus, des Rechtsextremismus und die damit verbundenen Gefährdungen der Demokratie.

Weiterlesen

466643668

Lagebild Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober

Seit dem 7. Oktober schwinden Berührungsängste zwischen islamistischen, antiimperialistischen und sich selbst als progressiv verstehenden Milieus: Eine folgenschwere Radikalisierung, die insbesondere Jüdinnen und Juden bedroht.

Von|
Eine Plattform der